Frauen gegen Putin

Mutige Frauen wie Julia Nawalnaja, Kaja Kallas und Annalena Baerbock stellen sich offen gegen Putin. Ein wichtiger Kampf. Denn das russische Regime versucht unter anderem mit Frauenfeindlichkeit, die liberalen Demokratien auszuhöhlen.

von Julia Nawalnaja © Bild: FREDERICK FLORIN / AFP / picturedesk.com

Nur wenige Stunden, nachdem russische Staatsmedien den Tod ihres Mannes vermeldet haben, betritt Julia Nawalnaja die Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz. Offensichtlich angegriffen von der noch nicht offiziell bestätigten Nachricht. Aber aufrecht. Gerade. Sehr entschlossen und mit einer unmissverständlichen Botschaft: Putin werde bezahlen für das, was er ihrem Land, ihrer Familie und ihrem Mann angetan habe.

Ein paar Tage später. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas spricht in Hamburg. Seitdem Putin sie zur Fahndung ausgeschrieben hat, ist sie womöglich noch präsenter als früher. Reist unermüdlich durch Europa und versucht, auf die Gefahren seines Regimes hinzuweisen. „Um gegen das Böse aufzustehen“, sagt sie den Festgästen im opulenten Festsaal des Hamburger Rathauses an diesem Abend, „muss man nicht ein Held auf dem Schlachtfeld sein. Wir alle haben die Kraft, nicht still zu bleiben, sondern etwas zu tun.“ Zwei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, eine Botschaft: Putins Regime muss um jeden Preis bekämpft werden. Es sind auffallend viele Frauen, die dieser Tage mutig Haltung zeigen. Sowohl im Kontext der russischen Opposition als auch in Hinblick auf die europäische Spitzenpolitik.

Julia Nawalnaja
© IMAGO/Belga

ZUR PERSON Julia Nawalnaja
Bisher sah die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin ihren Platz vor allem an der Seite ihres Mannes, des russischen Oppositionsführers Alexey Nawalny. Lediglich nach seiner Vergiftung 2020 trat sie öffentlich dafür ein, dass er in einem deutschen Krankenhaus behandelt wurde. Nach seinem Tod im Februar 2024 betrat sie selbst die politische Bühne mit mehreren viel beachteten Reden, u.a. vor dem EU-Parlament, wo sie vor Putin warnte: „Sie haben es mit einem blutigen Monster zu tun.“ Wofür Nawalnaja politisch genau steht, ist noch nicht klar. Aufgrund ihrer Biografie kommt ihr innerhalb der russischen Opposition aber eine besondere Rolle zu.

Gewalttätiges Klima

Die deutsche Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer hat selbst in Russland gelebt und kennt das Land gut. Jahrelang hat sie beobachtet, wie das Land immer nationalistischer, sexistischer und autokratischer wurde. Ohne darüber zu schreiben. Aus Angst vielleicht, als Feministin abgestempelt zu werden und in der russischen Politik wichtige Kontakte zu verlieren, schreibt sie im Vorwort jenes Buchs, in dem sie ihre Analyse dann doch festgehalten hat. „Die chauvinistische Bedrohung“, erschienen letzten Herbst, versucht, dem gewalttätigen Klima in der russischen Gesellschaft auf den Grund zu gehen.

»Verachtung gegenüber Frauen spielt in dem russischen Regime eine sehr große Rolle«

„Verachtung gegenüber Frauen spielt in diesem Regime eine sehr große Rolle“, sagt Fischer. „Die Männer, die in Russland die Macht halten, schreiben sich selbst sehr patriarchal die Rolle der Herrschenden zu, während sie Frauen in der Rolle derer sehen, die beherrscht werden und sich unterordnen müssen. Feminismus ist in Russland nach wie vor ein extrem negativ besetzter Begriff.“ Noch entschlossener, sagt Fischer, gehe das Regime nur gegen die LGBTQI-Bewegung vor. Und Fischer argumentiert einleuchtend, warum diese Frauenfeindlichkeit ein gesellschaftliches Problem darstellt, das weit über sich hinausweist: Chauvinismus, also eine toxische Mischung aus Nationalismus, Sexismus und Autokratie, führe zur Entgrenzung von Gewalt, schreibt sie in ihrem Buch. „Chauvinistische Gewalt beginnt in der Privatsphäre, setzt sich im öffentlichen Raum und auf der internationalen Ebene fort und wirkt von dort in die Privatsphäre zurück.“

Buch "Die chauvinistische Bedrohung" von Sabine Fischer
© beigestellt

Das Buch:
Über die toxische Mischung aus Nationalismus, Sexismus und Autokratie, die in Russland herrscht, schreibt Sabine Fischer in „Die chauvinistische Bedrohung“* (Econ, 26,5 Euro)

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Erwerbs- und Hausarbeit

Auch die estnisch-finnische Autorin Sofi Oksanen beschäftigt sich in einem neuen Text mit diesem Thema. „Putins Krieg gegen die Frauen“, so sein Titel, ist ein umfangreicher und sorgfältig recherchierter Essay, der zeigt, wie Putins Russland Misogynie als zentrales Machtwerkzeug einsetzt. Schon in Sowjetzeiten, schreibt Oksanen, waren Frauen in Russland viel weniger gleichberechtigt, als die Propaganda behauptete. Arbeiten gehen durften sie zwar, aber nebenbei auch die gesamte Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit erledigen. Von politischen Spitzenpositionen waren sie ausgeschlossen. Im Politbüro, dem höchsten Führungsgremium der UdSSR, saßen während der gesamten Sowjetzeit nur vier Frauen.

Sofi Oksanen: „Putins Krieg gegen die Frauen“
© beigestellt

Das Buch:
Sexuelle Gewalt in der Ukraine als Waffe, Frauenfeindlichkeit als internes und externes Machtinstrument: Sofi Oksanen analysiert „Putins Krieg gegen die Frauen“*, (Kiepenheuer & Witsch, 25,5 Euro)

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In den 90er-Jahren, nach dem Fall des Kommunismus, fand eine gewisse Öffnung statt; mit der Machtübernahme Putins 2000 ging die Entwicklung aber rasch in Richtung Hypermaskulinität und aggressiver Frauenfeindlichkeit. Nicht nur in der politischen Inszenierung – die Fotos von Putin mit nacktem Oberkörper, hoch zu Ross, angelnd, badend, sind in unauslöschlicher Erinnerung –, sondern auch auf rechtlicher Ebene. 2017 etwa wurden Erstfälle häuslicher Gewalt von Straftaten zu Ordnungsdelikten heruntergestuft und damit entkriminalisiert.

Dennoch – oder gerade deswegen – waren es immer wieder Frauen, die gegen Putins autoritäres Regime opponierten. Russland-Kennerin Sabine Fischer erinnert an die Journalistin Jekaterina Dunzowa, die bei der Präsidentschafts-„Wahl“, die von 15. bis 17. März stattfindet, gegen Putin antreten wollte, bevor sie von der Wahlkommission vorzeitig aus dem Rennen gekickt wurde.

Jekaterina Dunzowa
© VERA SAVINA / AFP / picturedesk.com

JEKATERINA DUNZOWA. Die Journalistin wollte bei der Präsidentschaftswahl antreten, wurde aber von der Wahlkommission vorzeitig aus dem Rennen gekickt.

Oder an den feministische Antikriegswiderstand, der seit Februar 2022 aktiv ist. Die Frauen waren aufgrund ihrer jahrelangen Ausgesetztheit in der Lage, sich besonders schnell zu formieren, weiß Fischer aus Gesprächen mit Aktivistinnen. „Sie wussten, was auf sie zukommt. Während die politische Opposition, die sich großteils schon länger im Exil befand, aber auch andere zivilgesellschaftliche Strukturen sich in dieser traumatischen Situation erst einmal neu sortieren mussten. Der feministische Antikriegswiderstand ist tatsächlich ein bis heute existierendes und auch arbeitendes Netzwerk. Ohne dass es allerdings eine politische Breitenwirkung erzielt, die das Regime dazu bringen könnte, seine Kriegshandlungen einzustellen. Es ist eine kleine Gruppe, die politisch marginalisiert ist.“

Weißrussland 2020

Die wichtigste und stärkste von Frauen getragene Protestbewegung gegen ein autoritäres Regime in Putins Einflussbereich fand 2020 in Weißrussland statt. „Wir hatten damals eine ähnliche Situation wie jetzt in Russland“, sagt Fischer. „Der aussichtsreichste Oppositionskandidat, Serhii Tichanowski, wurde festgenommen, seine Frau hat seine Position übernommen und wurde gemeinsam mit Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkala eine Führungsfigur der Demokratiebewegung. Das ist natürlich in der Symbolik klar gegen den Sexismus und das gewalthafte Patriarchat dieser autoritären Regime, ob jetzt Lukaschenko oder Putin, gerichtet.“

Maria Kolesnikowa
© IMAGO/ITAR-TASS

MARIA KOLESNIKOWA. Die weißrussische Oppositionelle ist inhaftiert. Wo sie sich genau befindet und wie es ihr geht, ist unbekannt.

Auch Swetlana Tichanowskaja war wie Julia Nawalnaja vorher nicht politisch in Erscheinung getreten, wuchs aber immer mehr in ihre neue Rolle hinein. „Mit Maria Kalesnikava hat sie sich mit einer explizit auch feministische Positionen vertretenden Frau zusammengetan, die Bewegung hatte damit also auch eine explizit feministische Komponente. Das Mobilisierungspotenzial dieser Bewegung war enorm, und dadurch, dass drei Frauen an ihrer Spitze standen, hat das eine ganz neue Dimension bekommen, weil der Kontrast zu diesem alternden, patriarchalen Diktator umso größer wurde.“

Revolution der Gleichberechtigung

Auch die ukrainische Revolution 2014 war „eine Revolution der Gleichberechtigung“, schreibt Sofi Oksanen in ihrem Buch, Julia Timoschenko diente zwei Mal als Ministerpräsidentin des Landes. Andere ehemalige Sowjetstaaten öffneten sich ebenfalls. In Litauen gab es schon 1990 eine weibliche Ministerpräsidentin – Kazimira Prunskienė –, Lettland bekam 1999 mit Vaira Vīķe-Freiberga seine erste Staatspräsidentin. Aus Sicht des Kreml eine bedrohliche Entwicklung.

Es ist kein Zufall, dass eine weitere Baltin, Kaja Kallas, die Ministerpräsidentin von Estland, derzeit zu den beharrlichsten Warnerinnen vor Putins Regime gehört. Der Widerstand gegen das autoritäre Russland ist ein wichtiger Teil ihrer Familiengeschichte: Ihre Großeltern wurden 1949 nach Sibirien deportiert. In einem Buch, das sie vor ein paar Jahren über ihre Zeit als EU-Parlamentarierin verfasste, schreibt Kallas: „Ich wurde tief in der Sowjetzeit geboren. Ich hatte keine Ahnung von Freiheit. Eine Reise außerhalb der Sowjetunion erschien mir wie eine Utopie, von der ich nicht einmal träumen konnte. Und dann haben wir als Teenager für unsere Freiheit gekämpft. Alles, was meinen Großmüttern genommen wurde, wurde für meine Generation möglich.“

Kaja Kallas
© IMAGO/Chris Emil Janßen

ZUR PERSON Kaja Kallas
Ein Blick auf die Landkarte und ein weiterer in Kallas’ Familiengeschichte reichen, um zu verstehen, warum die Estin seit Jahren so energisch vor Putin warnt: Ihre Großeltern waren zu Sowjetzeiten nach Sibirien deportiert worden, sie wuchs als Mädchen in den 80er-Jahren mit Sehnsuchtsgeschichten von Selbstbestimmtheit und (Reise-) Freiheit auf. Heute zählt die estnische Ministerpräsidentin, Tochter des früheren estnischen Ministerpräsidenten Siim Kallas, zu den schärfsten und lautesten Kritikern des Putin-Regimes. „Freiheit ist eine Sache, über die man nicht nachdenkt, solange sie nicht verloren ist“, sagte sie kürzlich im Zuge eines Aufenthalts in Wien

Inbegriff des Feindbilds

Nicht nur Kallas, auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock oder die frühere finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, die ihr Land nach dem 24. Februar 2022 ohne Zögern in die NATO führte, positionierten sich in den letzten Jahren als harte, kompromisslose Putin-Kritikerinnen. „Ich denke, bei all diesen Frauen ist es eine Mischung von Faktoren, die dazu führt, dass sie dem Putin-Regime gegenüber scharfe Positionen vertreten“, sagt Sabine Fischer. „Kallas repräsentiert ein Land, das sich durch Russland zu Recht bedroht fühlt. Ähnlich war es bei Sanna Marin in Finnland. Annalena Baerbock gehört zur Grünen Partei, die schon lange sehr kritische Positionen gegenüber Russland vertritt, aus Gründen der Menschenrechtspolitik, aber auch aus feministischen Gründen.“

Annalena Baerbock in Moskau
© imago images/SNA

BAERBOCK IN MOSKAU. Als Deutschlands Außenministerin im Jänner 2022 Russland besuchte, bekam sie die Verachtung des Regimes deutlich zu spüren.

Als junge, grüne, feministische Frau ist Baerbock der Inbegriff des politischen Feindbilds des russischen Regimes. Bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau im Jänner 2022 kurz vor Kriegsbeginn bekam sie dessen Verachtung voll zu spüren: Russlands Außenminister Sergej Lawrow mied den Augenkontakt mit ihr und blätterte demonstrativ in seinen Unterlagen, während sie redete. „Es spricht ja für sich, wie die Vertreter dieses Regimes auf der diplomatischen Bühne mit Frauen umgehen,“ sagt Fischer. „Feminismus und der Blick auf die gewalttätige Hypermaskulinität, mit der dieses Regime herrscht, ist bei diesen Frauen sicher auch ein Beweggrund, dagegen aufzutreten.“

Baerbock war es auch, die 2021, als sie als Kanzlerkandidatin eine härtere Vorgangsweise gegen Moskau forderte, zum Opfer einer Diffamierungskampagne wurde. Man behauptete, sie habe als Prostituierte gearbeitet, brachte gefälschte Nacktbilder von ihr in Umlauf und stellte ihre Qualifikation als Politikerin infrage. Untersuchungen zeigen, schreibt Sofi Oksanen, dass es im Hintergrund dieser Social-Media-Kampagne außerordentlich viele Verbindungen zum russischen Staat gab. „Antifeminismus ist ein sehr wichtiger Bestandteil der antiliberalen Politik des russischen Regimes“, erklärt Sabine Fischer. „Nicht nur in Russland selbst, sondern auch im Kampf gegen westliche Demokratien und in Russlands Unterstützung antiliberaler, antifeministischer, antidemokratischer und rechtspopulistischer politischer Kräfte in westlichen Demokratien. Das ist ein wichtiger Teil russischer Auslandspropaganda und Desinformationspolitik. Denn letztlich wenden sich diese Elemente russischer Politik ja nicht nur gegen Feminismus und Feministinnen, sondern sind Teil des Versuchs, liberale Demokratien und pluralistische Gesellschaften generell zu unterminieren.“

Mit anderen Worten: Die in russischen Trollfabriken konzipierten Angriffe auf europäische Politikerinnen zielen auf die Schwächung der liberalen Demokratien insgesamt. Der Kampf der Frauen gegen Putin ist eng mit der Zukunft Europas in seiner bestehenden Form verknüpft. Wo liberale Demokratien erodieren, schreibt Fischer in „Die chauvinistische Bedrohung“, können sich chauvinistische Gewalt, Nationalismus und Sexismus ausbreiten. Einzige Gegenstrategie: gemeinsam dagegenhalten und für Freiheits-, Menschen- und Minderheitenrechte, Gewaltenteilung und freie Wahlen, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität eintreten.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 10/2024.