Atomunfall: Wie man sich im Notfall verhält

Was passiert bei einem Atomunfall? Wie verhält man sich im Notfall und welche Schutzmaßnahmen gibt es? Antworten auf diese und andere Fragen zum Thema nuklearer Reaktorunfall finden Sie hier.

von Atomunfall © Bild: iStockphoto.com/kunertus

Inhaltsverzeichnis:

Was passiert bei einem Atomunfall?

Bei einem Atomunfall wird unkontrolliert radioaktive Strahlung freigesetzt und so die Umwelt kontaminiert. Kommt es zu einem schwerwiegenden Unfall, spricht man von einem Super-GAU (GAU = größter anzunehmender Unfall) . In Folge kann die radioaktive Kontamination zu schweren Umwelt- und Gesundheitsschäden führen.

In einem Atomreaktor erfolgt eine gesteuerte Kernspaltung, die Wärmeenergie erzeugt. Diese wird wiederum in elektrische Energie umgewandelt. Bei der Kernspaltung trifft ein Neutron (ein Baustein des Atoms, das keine elektrische Ladung trägt) auf ein spaltbares Nuklid (Atomsorten) wie etwa Uran oder Plutonium. Ein Uran-235-Kern besteht aus 92 Protonen und 143 Neutronen und ist zunächst stabil. Wenn aber ein weiteres Neutron auf den Kern trifft, spaltet sich das Uran in zwei leichtere Kerne, nämlich in Barium und Krypton auf. Bei dieser Reaktion werden ebenfalls zwei bis drei Neutronen frei, die wiederum neue Urankerne spalten können. Jede Spaltung setzt eine Energie von bis zu 200 Mega-Elektronenvolt (MeV) frei.

Kernspaltung
© iStockphoto.com/PeterHermesFurian Der Prozess der Kernspaltung

Ein Super-GAU kann beispielsweise durch eine Kernschmelze ausgelöst werden. Eine Kernschmelze passiert dann, wenn Reaktorkühlung und Notkühlung ausfallen. Die nach Unterbrechung der Kernspaltung entstehende Nachzerfallswärme führt dazu, dass die Brennstäbe (mit Kernbrennstoff gefüllte Rohre im Kernreaktor) überhitzen und schmelzen. Kann die Schmelze nicht aufgefangen werden beziehungsweise wird das Reaktorgefäß zerstört, gelangt das hochradioaktive Material unkontrolliert in die Umgebung und gefährdet Mensch und Umwelt.

Die beiden bekanntesten Unfälle in Kernkraftwerken waren der Reaktorunfall in Tschernobyl am 26. April 1986 und die Nuklearkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011.

Um Störfälle zu klassifizieren, haben die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 1990 die sogenannten INES-Stufen eingeführt. INES steht für "International Nuclear and Radiological Event Scale" und umfasst 7 Stufen. Je höher die Stufe ist, desto schwerwiegender ist der Störfall.

INES-Stufen
Stufen Klassifizierung Folgen für Mensch und Umwelt
0 Abweichung - ohne Bedeutung für die Sicherheit
1 Anomalie oder Störung geringe Überschreitung der gesetzlich festgelegten Grenzwerte, Strahlenexposition einer Einzelperson der Bevölkerung
2 Störfall Bedeutsame Kontamination innerhalb der Anlage in einem von der Auslegung dafür nicht vorgesehenen Bereich; Strahlenexposition von AKW-Mitarbeiter oder Einzelperson aus der Bevölkerung
3 Ernster Störfall Schwerwiegende Kontamination in einem von der Auslegung dafür nicht vorgesehenen Bereich; geringe Wahrscheinlichkeit für eine bedeutende Strahlenexposition der Bevölkerung; Strahlenexposition für beruflich strahlenexponiertes Personal
4 Unfall Schmelzen oder Schäden des Kernbrennstoffs mit einer daraus resultierenden Frei- setzung von mehr als 0,1 % des Kerninventars; Geringe Freisetzung radioaktiver Stoffe; Mindestens ein Todesfall durch Strahlenexposition.
5 Ernster Unfall Schwere Schäden am Reaktorkern und Freisetzung großer Mengen radioaktiver Stoffe innerhalb der Anlage mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine bedeutende Strahlenexposition der Bevölkerung; Mehrere Todesfälle durch Strahlen- exposition
6 Schwerer Unfall Bedeutende Freisetzung radioaktiver Stoffe, die wahrscheinlich die Einleitung der geplanten Gegenmaßnahmen erfordert
7 Katastrophaler Unfall Erhebliche Freisetzung radioaktiver Stoffe mit weitreichenden Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt; wie z.B.: Reaktorunfall in Tschernobyl oder Fukushima

QUELLE: Deutsches Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung; IAEA

Wie kann man im Notfall vorsorgen?

Laut dem "Österreichischem Zivilschutzverband" (ÖZV) ist es ratsam, für den Fall einer Krisensituation richtig vorzusorgen - denn bereits kleinere regionale Notfälle könnten die öffentliche Versorgung unterbrechen. Eine adäquate Bevorratung mit Getränken und Lebensmitteln ist wesentlich, um im Ernstfall zwei Wochen problemlos überbrücken zu können.

Die 10 wichtigsten Vorrats-Tipps des ÖZV sind:

  1. Es sollten 1,5 Liter Trinkwasser pro Tag und Person eingelagert werden.
  2. Die eingelagerten Lebensmittel sollten zumindest ein Jahr haltbar sein. Es sollten 2.500 Kalorien pro Tag und Person kalkuliert werden. Monatelang haltbare Lebensmittel sind beispielsweise Zucker, Reis, Teigwaren, Kondensmilch, Schmelzkäse, Dosenfleisch, Dauerwurst oder getrocknete Hülsenfrüchte.
  3. Der Haushalt sollt im Idealfall über eine stromunabhängige Kochgelegenheit wie einen Gaskocher verfügen.
  4. Man sollte auch Wasser zur Hygiene und zum Kochen mit einkalkulieren.
  5. Hygieneartikel wie Müllbeutel, Plastikteller und Plastikbesteck sollten ebenfalls vorrätig sein.
  6. Um bei einem Stromausfall Informationen empfangen zu können, empfiehlt der ÖZV Batterieradios.
  7. Hausapotheke und Verbandskasten sollten gut ausgestattet und regelmäßig kontrolliert werden.
  8. Bargeld sollte im Notfall ebenfalls griffbereit sein.
  9. Die Dokumentenmappe sollte vollständig und idealerweise wasserdicht verpackt sein.
  10. Gegenseitige Hilfe - vor allem in der Nachbarschaft - ist im Notfall das Wichtigste.

Wie verhält man sich richtig und welche Schutzmaßnahmen gibt es?

Die österreichischen Behörden treffen je nach Ausmaß des radiologischen Notfalls Schutzmaßnahmen - auch im Fall eines Atomangriffes. Generell wird die Bevölkerung über diverse Informationskanäle wie Fernsehen, Teletext, Radio, Printmedien und der Website des Bundesministeriums darüber informiert, wie man sich im Notfall verhalten soll.

Gewarnt werden kann in ganz Österreich im Katastrophenfall auch über Sirenensignale:

  • Minuten - gleich bleibender Dauerton: Warnung - Herannahende Gefahr! Schalten Sie ihr Radio- oder Fernsehgerät ein und informieren Sie sich über die weiteren Verhaltensmaßnahmen.
  • 1 Minute - auf- und abschwellender Heulton: Alarm - Gefahr! Suchen Sie schützende Bereiche oder Räumlichkeiten auf. Informieren Sie sich über Radio oder TV, welche Schutzmaßnahmen Sie ergreifen sollen.
  • 1 Minute - gleich bleibender Dauerton: Entwarnung - Ende der Gefahr! Beachten Sie weiterhin die Durchsagen im Radio oder TV, da es vorübergehend bestimmte Einschränkungen im täglichen Lebensablauf geben kann.

Typische Schutzmaßnahmen bei radioaktiven Gefahren sind:

  • Aufenthalt in Gebäuden/Schutzräumen: Der Aufenthalt in Gebäuden schirmt Personen vor allem vor externer Strahlung beim Durchzug der radioaktiven Luftmassen und der am Boden abgelagerten radioaktiven Teilchen effektiv ab. Bei einem direkten Atomangriff empfiehlt das Innenministerium unbedingt den Aufenthalt in einem Schutzraum, auch zur Abschirmung der Gammastrahlung.
  • Behördliche Maßnahmen: permanente Überwachung Österreichs durch das Strahlenfrühwarnsystem, ein laborgestütztes Messnetz, Einsatz der Strahlenspürer, Ausgabe von Kaliumiodidtabletten, laufende Strahlenüberwachung von Lebensmitteln, Maßnahmen in der Landwirtschaft zum Schutz der Lebensmittel, etc.
  • Persönliche Maßnahmen: Genügend Vorräte (zum Beispiel Lebensmittel und Getränke), Hygienemaßnahmen (Hände, Gesicht und Haare waschen) zur Vermeidung von radioaktiver Kontamination

Weiterführende Informationen finden Sie hier:
Strahlenschutz-Ratgeber des Innenministeriums

Wie funktioniert die Messung von Radioaktivität?

Prinzipiell unterscheidet man zwischen Alpha-, Beta- und Gammastrahlung, die in dieser Reihenfolge immer durchdringender werden. Alphastrahlung kann bereits durch Papier abgeschirmt werden, Betastrahlung etwa durch einige Millimeter Glas, Aluminium oder Kunststoff. Gammastrahlung kann teilweise durch Stahl abgehalten werden und durchdringt selbst Granit.

Alpha-, Beta- und Gammastrahlung
© Shutterstock.com/OSweetNature Alpha-, Beta- und Gammastrahlung

Österreich verfügt seit den 1970er Jahren über ein ausgeprägtes Strahlenfrühwarnsystem mit 336 Messstationen und 10 automatischen Luftmonitorstationen in Grenznähe zur Überwachung der äußeren Strahlung (Gamma-Ortsdosisleistung ODL). Die aktuellen Messwerte von 111 Stationen können über eine Website des Umweltministeriums abgerufen werden: https://sfws.lfrz.at. Die durchschnittlichen Messwerte liegen nach Angaben des Ministeriums zwischen 70 und 200 Nanosievert pro Stunde. Messwerte ab 300 Nanosievert pro Stunde lösen im Frühwarnsystem einen Alarm aus.

Gemessen wird die Strahlendosis meist in Sievert (Sv) (pro Stunde). Die Einheit Sievert ist das Maß für die biologischen Wirkungen der radioaktiven Strahlung auf Menschen, Tiere und Pflanzen.

Geigerzähler
© iStockphoto.com/Nadiia Borodai Ein portabler Geigerzähler

Das Strahlenfrühwarnsystem arbeitet mit sogenannten Ortsdosisleistungsmessanlagen (ODL-System), welche vollautomatisch funktionieren und die Intensität der Gammastrahlung vor Ort messen. Während die ersten Messsonden noch Geiger-Müller-Zählrohre - umgangssprachlich als Geigerzähler bekannt - waren, besteht die neue, moderne Gerätegeneration aus einem einzigen Proportionalzählrohr, dass die Werte verarbeitet, speichert und bei Grenzwertüberschreitungen automatisch Alarm auslöst. Das Gerät kann Messwerte von 10 Nanosievert bis 10 Sievert pro Stunde abdecken.

Die Funktionsweise eines Geigerzählers beziehungsweise eines Proportionalzählrohrs beruht auf einem mit Gas gefüllten zylindrischen Metallrohr. Zählrohre dienen der Detektion von Gammastrahlung, da diese - anders als Alpha- oder Betastrahlung - das Metall durchdringen kann.

Zwischen zwei Elektroden - Anode (Draht im Rohr) und Kathode (Metallrohr) - wird eine Gleichspannung angelegt und so ein elektrisches Feld erzeugt. Wenn Strahlung wie etwa Gammastrahlung einfällt, erzeugt sie in der Gasfüllung freie Elektronen, die entsprechend ihrer negativen Ladung zur positiv geladenen Anode wandern. Positive Ionen wandern zur negativ geladenen Kathode. An den Elektroden kommt es zu einer Ladung, die in einen Spannungsimpuls umgewandelt wird. Dieser Impuls kann gezählt werden.

Geiger-Müller-Zähler
© Dirk Hünniger - self/Wikimedia Grafische Darstellung der Funktionsweise eines Geiger-Müller-Zählers

Quelle: https://commons.wikimedia.org/

Beim Proportionalzählrohr hängen die Zahl der erzeugten Ladungsträger und damit die Höhe des Spannungsimpulses von der im Gas abgegebenen Energie der einfallenden Teilchen (Gammastrahlung) ab. Die Zahl ist proportional dazu. Der Geiger-Müller-Zähler kann hingegen nur bestimmen, wie viele ionisierende Teilchen eingefallen sind. Er kann nicht die Energie bestimmen, die das Teilchen im Gas des Zählers abgegeben hat.

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Neben den Ortsdosisleistungsmessanlagen verfügt Österreich auch über Luftmonitorstationen. Sie liefern über Filteranlagen detailliertere Informationen über Art und Konzentration von radioaktiven Stoffen in der Luft. Die gefilterte Alpha-, Beta- und Gammastrahlung wird permanent mit mehreren Detektoren gemessen und die Messergebnisse mittels Auswertesoftware analysiert.

Ab wann wird Radioaktivität gefährlich?

Laut Gesundheitsministerium beträgt die durchschnittliche Strahlendosis der österreichischen Bevölkerung rund 4,5 mSv (Millisievert) pro Einwohner:in und Jahr. Die Strahlendosis setzt sich zusammen aus:

  • der natürlichen Strahlenbelastung: vor allem verursacht durch das natürlich vorkommende radioaktive Edelgas Radon. Das restliche Drittel ist zurückzuführen auf kosmische und terrestrische Strahlung.
  • der zivilisatorischen Strahlenbelastung: vor allem verursacht durch medizinische Strahlenanwendungen wie beispielsweise Röntgenstrahlung bzw. Computertomografie. Die Strahlenbelastung durch Kernwaffenversuche (in den 1945er- bis 1980er-Jahren) und den Reaktorunfall in Tschernobyl beträgt weniger als 0,01 mSv pro Jahr.

Eine hohe radioaktive Strahlenbelastung kann zu schweren gesundheitlichen Folgen oder sogar zum Tod führen.

Wirkung ionisierender Strahlen bei Kurzzeiteinwirkung (einige Stunden)
mehr als 7 Sv* absolut tödliche Dosis
4,5 Sv 50 % Todesfälle (auch bei Behandlung)
1 - 2 Sv schwere Blutbildveränderung, vereinzelt Todesfälle
500 - 1.000 mSv** merkbare Änderungen im Blutbild, Erholung nach einigen Monaten
200 - 300 mSv kurzzeitige Veränderungen des Blutbildes
*Die Strahlendosis wird meist in Sievert (Sv) angegeben. Die Einheit ist das Maß für die biologischen Wirkungen der radioaktiven Strahlung auf Menschen, Tiere und Pflanzen
** 1.000 mSv (Millisievert) entspricht 1 Sv (Sievert)

QUELLE: Bundesministerium für Inneres, Strahlenschutzratgeber (Stand: April 2007)

Welche Auswirkungen hat radioaktive Strahlung?

Je nach Art und Grad der Strahlenbelastung kann radioaktive Strahlung unterschiedliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben.

Eine Strahlenbelastung der Menschen erfolgt durch:

  • eine externe Strahlenexposition: eine radioaktive Wolke (Atompilz) und radioaktive Partikel, die sich auf dem Boden ablagern
  • eine interne Strahlenexposition: das Einatmen der radioaktiven Stoffe in der Luft und der Verzehr von radioaktiv belasteten Lebensmitteln

Alpha-, Beta- und Gammastrahlen können Zellen verändern und beschädigen - das gilt auch für die in der Zelle enthaltende DNA, in der unser Erbgut enthalten ist. Die gesundheitlichen Folgen der freigesetzten radioaktiven Strahlung sind:

  • akute Strahlenfolgen (deterministische Strahlenschäden): Appetitlosigkeit, Übelkeit, Durchfall, Kopfschmerzen, Haarausfall und letztlich Gewichtsverlust
  • Langzeitfolgen (stochastischen Strahlenschäden): Veränderung der Erbanlagen, Erbschäden und Krebserkrankungen

Wie können Jod-Tabletten helfen?

Kaliumjodid-Tabletten können im Fall eines schweren Kernkraftwerksunfall oder bei einem Angriff mit Atomwaffen zum Einsatz kommen. Allerdings sind sie kein Allheilmittel zum Schutz gegen radioaktive Strahlung.

Die Jod-Tabletten helfen dabei, den Jodspeicher in der Schilddrüse mit unverstrahltem Jod aufzufüllen. Gelangt verstrahltes Jod in den Körper, kann das zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen wie etwa einer Krebserkrankung führen. Die Tabletten schützen also vor strahlenbedingtem Schilddrüsenkrebs und bieten keinen umfassenden Strahlenschutz.

Laut Gesundheitsministerium sollten Personen über 40 Jahre die Kaliumjodid-Tabletten nicht mehr einnehmen, weil ihr Risiko an strahlenbedingtem Schilddrüsenkrebs zu erkranken sehr gering. Das Risiko von schweren Nebenwirkungen durch die Jod-Zufuhr ist hingegen hoch. Unter 18-Jährige, Schwangere und Stillende stellen die wichtigste Zielgruppe dar.

Die Einnahme der Jod-Tabletten sollte nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Gesundheitsbehörden erfolgen. Selbst im Fall eines schweren grenznahen Reaktorunfall ist die Notwendigkeit der Einnahmen nicht immer unbedingt gegeben, wie das Gesundheitsministerium mitteilt. Die Behörden geben im Notfall bekannt, welche Personen Kaliumiodid-Tabletten erhalten sollen und in welchen Regionen eine Einnahme notwendig ist.

Was bedeutet ein möglicher Atomunfall in der Ukraine für Österreich?

Laut Umwelt-, Klimaschutz- und Energieministerium wäre in Bezug auf den Strahlenschutz eine Freisetzung radioaktiver Stoffe am Standort Tschernobyl nur vor Ort von gesundheitlicher Bedeutung. Für Österreich besteht keine Gefahr. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass geringe Mengen der freigesetzten radioaktiven Stoffe über Luftströmungen nach Österreich gelangen und hier nachgewiesen werden könnten.

Das geringe Risiko betrifft auch mögliche Unfälle in den anderen Atomkraftwerken der Ukraine. Nach dem Brand im ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja Anfang März 2022 konnte in Österreich keine erhöhte Strahlenbelastung gemessen werden. Selbst für den Fall eines Atomunfalls in der Ukraine ist Österreich aufgrund der Entfernung und Wetterlage nur bedingt in Gefahr. "Aller Wahrscheinlichkeit nach besteht selbst bei einem schweren grenznahen Reaktorunfall keine Notwendigkeit, in ganz Österreich Kaliumiodid-Tabletten einzunehmen", wie das Gesundheitsministerium auf seiner Homepage mitteilt.

Die Kernkraftwerke der Ukraine:

Wie viele Atomkraftwerke gibt es rund um Österreich?

Österreich selbst hat kein Atomkraftwerk, ist aber von mehreren Atomkraftwerken umzingelt, einige davon sind über 30 Jahre alt und haben mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen. Folgende Kernkraftwerke rund um Österreich stuft die Umweltschutzorganisation "Global 2000" als Sicherheitsrisiko ein:

  • Beznau, Schweiz: Das AKW Beznau liegt rund 110 Kilometer von Österreichs Grenze entfernt und wird aufgrund seines hohen Alters - die Reaktorblöcke sind älter als 30 Jahre - als Hochrisikoreaktor bezeichnet.
  • Dukovany, Tschechien: Das AKW liegt nur 100 Kilometer nördlich von Wien und besitzt kein Containment (Sicherheitseinrichtung bzw. technische Barrieren gegen das Austreten radioaktiver Stoffe).
  • Bohunice, Slowakei: Das Kernkraftwerk Bohunice (Baujahr 1984/85) liegt rund 85 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt und gilt ebenfalls als Hochrisikoreaktor, weil es kein Containment besitzt.
  • Mochovce, Slowakei: Das AKW Mochovce hat 2 Reaktorblöcke in Betrieb und ist knapp 200 Kilometer von Wien entfernt. Hier fehlt auch ein Containment.
  • Paks, Ungarn: Das Kernkraftwerk Paks befindet sich rund 300 Kilometer von Wien entfernt und besitzt 4 Reaktorblöcke, die teilweise bereits über 30 Jahre alt. Containment gibt es keines.
  • Krško, Slowenien: Das AKW Krško, das rund 100 Kilometer Luftlinie von der südsteirischen Stadt Leibnitz entfernt liegt, zählt laut "Global 2000" zu den gefährdetsten Kernkraftwerken überhaupt. Der rund 40 Jahre alte Reaktor befindet sich in einem hochaktiven Erdbeben-Gebiet.

Farbcode der AKW-Karte:
ROT = Hochrisikoreaktor, Siedewasserreaktor 69 oder GE Mark I (Fukushima-Typ)
ORANGE = Hochrisikoreaktor, kein Containment
GELB = Hochrisikoreaktor, älter als 30 Jahre
BRAUN = Hochrisikoreaktor, Erdbebengebiet
GRAU = Reaktor in Betrieb
SCHWARZ = Reaktor abgeschaltet

Stand: 11.01.2022

Was geschah im Kernkraftwerk Tschernobyl?

Am 26. April 1986 kam es um 01:23 Uhr im Kernkraftwerk Tschernobyl, nahe der ukrainischen Stadt Prypjat, zu einem Super-GAU. Die nukleare Katastrophe ereignete sich im Reaktorblock 4. Der AKW-Unfall wurde später als INES-Stufe 7 bewertet. Die Ursache für den Super-GAU war die Simulation eines Stromausfalls, die außer Kontrolle geriet und schließlich zur Explosion des Reaktors führte.

AKW Tschernobyl, Reaktorblock 4
© iStockphoto.com/Zheka-Boss AKW Tschernobyl, Reaktorblock 4

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Zunächst behauptet die Kraftwerksleitung am Unfalltag noch, dass der Reaktor noch intakt sei. Das ganze Ausmaß der radioaktiven Katastrophe und der Grad der Verstrahlung wurden erst viel später bekannt: Mehrere Trillionen Becquerel (SI-Einheit der Aktivität einer bestimmten Menge einer radioaktiven Substanz) an Radioaktivität wurden binnen der ersten 10 Tage nach der Explosion freigesetzt. Über den Wind sind vor allem die Region nordöstlich von Tschernobyl und mehrere Länder in Europa mit radioaktiven Stoffen wie Caesium-137 und Iod-131 kontaminiert worden. Dabei zählte Österreich zu den am stärksten betroffenen Regionen in Westeuropa.

Eine Chronologie der Ereignisse nach dem Super-GAU:

  • 26. April 1986: Kurz nach dem Unglück bis Ende 1987 waren rund 200.000 Aufräumarbeiter, sogenannte Liquidatoren, im Einsatz, um den stark radioaktiv verstrahlten Schutt wegzuräumen. Viele von ihnen starben später an den Folgen der radioaktiven Verstrahlung oder erkrankten schwer.
  • 27. April 1986: Die rund 3 Kilometer entfernt gelegene Stadt Prypjat mit damals rund 49.0000 Einwohnern wurde erst am Folgetag der Katastrophe evakuiert.
  • 28. April 1986: Die Behörden in Skandinavien haben hohe Radioaktivitätswerte registriert und die sowjetischen Behörden berichteten erstmals über das Reaktorunglück.
  • 29. April 1986: Die radioaktive Wolke erreicht Österreich.
  • Nach der Katastrophe begannen sogenannte Liquidatoren mit der Dekontamination der am stärksten betroffenen Gebiete.
  • 6. Mai 1986: Der Reaktorbrand konnte unter Kontrolle gebracht und die Freisetzung der Spaltprodukte großteils verhindert werden.
  • 21. Mai 1986: Die Evakuierung von Prypjat gilt offiziell als abgeschlossen.
  • 15. November 1986: Ein aus Stahlbeton bestehender Schutzmantel rund um Tschernobyl, auch als Sarkophag bezeichnet, wurde fertiggestellt.
  • 1988: Die Bauarbeiten an Block 5 und 6 werden eingestellt.
  • 1991: Nach einem Großbrand wird auch der Reaktorblock 2 stillgelegt.
  • 2000: Der letzte Reaktorblock 3 wird stillgelegt.
  • November 2017: Nach langer Bauzeit wurde ein neuer Sarkophag, der den alten ummantelt, errichtet.

Wie ist es zum Atomunfall in Fukushima gekommen?

Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 9,0 Japan und löste einen Tsunami aus. Knapp 19.000 Menschen kamen ums Leben. Die Flutwelle traf auch das AKW Fukushima I.

Fukushima AKW
© IMAGO/Kyodo News Das havarierte AKW Fukushima

In Block 1 bis 3 kam es zum Ausfall der Kühlsysteme und teilweisen Kernschmelzen. In Block 4 wurde das Abklingbecken für radioaktives Kühlwasser beschädigt. Infolgedessen wurden große Mengen an radioaktivem Material wie Cäsium-137 freigesetzt: Luft, Böden und Wasser sowie Lebensmittel in der Umgebung wurden kontaminiert - im Ausmaß von rund 10 bis 20 Prozent der Menge an freigesetzter Radioaktivität beim Super-GAU in Tschernobyl. Der Atomunfall in Fukushima Daiichi wurde ebenfalls mit der INES-Stufe 7 bewertet.

In der nach der Katastrophe errichteten Sperrzone, die in rund 30 Kilometern Entfernung um das Kraftwerk liegt, betrug die Umgebungsstrahlung 2011 mehr als 50 Millisievert (mSv) pro Jahr. Rund 150.000 Einwohner mussten das Gebiet rund um das AKW teils dauerhaft verlassen. Selbst laut Bericht des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz sind selbst 10 Jahre nach der Katastrophe rund 300 Quadratkilometer in der Region Fukushima weiterhin Sperrgebiet und dürfen nur eingeschränkt betreten werden. Im Sperrgebiet kann die zusätzliche Strahlendosis an gewissen Orten immer noch über 20 Millisievert pro Jahr betragen.