Ein Lied. Ein Sieg. Ein Land im Freudentaumel. Der Song Contest hat geliefert, was Politik gerade selten schafft: Stolz, Glanz, Gemeinschaftsgefühl. Schade nur, dass sich die Wirtschaft mit keiner Ballade sanieren lässt. Aber die Haltung – „Wir sind wieder wer“ – würde auch ihr guttun.
Fürs österreichische Selbstwertgefühl ist es eine großartige Sache. Für ein paar schöne Momente im oft zu tristen Alltag auch. Die Welt schaut zu. Minimum. Und ist zu Gast. Das nächste Mal halt in Wien. Oder Oberwart. Oder Wels. Egal. Klamme Kassen in Bund, Land, Gemeinden, ORF? Geschenkt. Schließlich geht es um Ruhm, Ehre, Rampenlicht. Und irgendwer muss ihn ja austragen, den Eurovision Song Contest 2026. Man befinde sich bereits in Gesprächen mit dem „offiziellen Österreich“, erklärte der ORF. Es geht dem Vernehmen nach um 25 Millionen Euro. Immerhin: Die Budget-Nebel lichten sich. Noch vor einer Woche wollte der ORF News gegenüber nicht einmal sagen, was ihm die Teilnahme am ESC – Deutschland beziffert seinen Beitrag mit einer halben Million – überhaupt wert ist. Jetzt überbieten sich alle im Gastgeber-Patriotismus. Jetzt, wo man der Welt zeigen kann, „was für ein tolles Land wir sind“ –, so das offizielle Österreich.
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt –, das geht hierzulande schneller als anderswo. Gerade erleben wir einen Euphorie-Tsunami. Da werden Selfie-Orgien der Regierung in die Welt gepostet und rosarote Best-Case-Szenarien gemalt: Wertschöpfung! Einnahmen! Umwegrentabilität! Und: „Wir sind wieder wer!“ Alles schön. Vielleicht etwas dick aufgetragen, aber gut. Nur: Warum nicht mit derselben Leidenschaft jene Probleme angehen, die uns bleiben – nach Sieg, Show und Schulterklopfen? Sorry für die kurze Störung der Party. Und ja, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Musste trotzdem sein.
Warum nicht mit derselben Leidenschaft jene Probleme angehen, die uns nach ESC-Sieg, Show und Schulterklopfen bleiben?
Katerstimmung statt Konjunktur
Mitten in die ESC-Euphorie platzte nämlich ein ungemütlicher Dämpfer aus Brüssel: Die EU-Kommission sieht Österreich 2025 – wie zuvor schon der IWF – am Ende der Wachstumsskala. Rezession statt Aufschwung. Schlechter als alle anderen. Die aktuellen Zahlen sind deutlich schlechter als noch im Herbst. Damals rechnete man mit einem Plus von 1,0 Prozent und 2,1 Prozent Inflation. Derzeit liegt die Inflation bei 3,1 Prozent.
Partycrasher spielt aber auch jener Index, der ausländische Direktinvestitionen weltweit abfragt. Hier führen aktuell die USA, gefolgt von Großbritannien und Deutschland. Australien, nicht Austria, schafft es auf Platz 10. Bulgarien taucht erstmals unter den Top 25 auf. Ein weiteres Ranking zeigt, wo europäische Gründer ihre Zukunft sehen – nämlich in London, Berlin, Paris, Amsterdam, München. Neu dabei: Bukarest, Lausanne, Valencia. Den Sinkflug des Standorts bestätigt auch der aktuelle Deloitte-Radar. Die Analyse zur Wettbewerbsfähigkeit fällt „besorgniserregend“ aus. Österreich habe die Zukunftsperspektive verloren.
Zeit statt Tempo
Was fehlt? Wissen wir: Mut. Reformwille. Realitätssinn. Was es braucht? Wissen wir auch. Der Wirtschaftsminister will bis Jahresende eine Industriestrategie vorlegen. Bis Jahresende. Als hätten wir alle Zeit der Welt. Und selbst wenn es diese Zeit braucht, dann sollte man jedenfalls zwei Sätze verlieren, warum erst mit Jahresende die „Stopptaste für die industrielle Abwanderung“ gedrückt werden kann.
Und der Kanzler? Medial viel gelobt – als „angenehm unaufgeregt“. Aber er steht einem Land vor, das beim Defizit aus dem Ruder läuft. Mit absurd hoher Schuldenquote und Rekord-Steuerlast. Auch von ihm braucht es eine klare Ansage – zu den „Österreicherinnen und Österreichern“ und natürlich zu den „Menschen, die in diesem Land leben“. Friedrich Merz, sein Kollege in Deutschland, meinte bei seiner Regierungserklärung in der Vorwoche, dass die Menschen im Sommer spüren werden, dass sich etwas verändert. Er hat seine Landsleute auf eine „Kraftanstrengung“ eingeschworen: „Der Staat, das sind wir alle.“ Und mit Blick auf den durch Demografie unter Druck geratenen Arbeitsmarkt: „Deutschland ist ein Einwanderungsland“.
Eine Rede mit viel „können“ und „müssen“. Deindustrialisiert sich Deutschland? Bringt das Sondervermögen den nötigen Schwung? Wohin treibt das Land unter einem Kanzler Merz? Die Antworten darauf kommen erst. Wer nur Reformen ankündigt, hat bekanntlich noch lange nichts bewegt. Österreich dagegen setzt zu viel auf das Prinzip Hoffnung. Hoffnung auf Aufträge. Impulse – etwa aus eben diesem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur in Deutschland. Gibt es ein großes Stück vom Kuchen für heimische Unternehmen? Oder doch nur ein paar Krumen? Beides möglich.
Natürlich melden sich auch hierzulande warnende Stimmen. Und jene, die sich die selbst verschuldete Lage partout nicht schlechtreden lassen wollen: „Es gibt keine Wirtschaftskrise“, sagt Altkanzler Schüssel im News-Interview. Seine ÖVP hat in den vergangenen 25 Jahren acht Finanzminister und fünf Wirtschaftsminister gestellt. Die aktuelle Wirtschaftslage sei demnach keine Krise, sondern nur drei Jahre Stagnation auf hohem Niveau. Die Stimmung? Nicht schlecht. Die Probleme? Bewältigbar. Gründe für Zuversicht? Die Jugend. Die Innovationskraft. Intellektuelle und emotionale Stärke. Klingt gut. Klingt nach Zukunft. Fehlt nur noch jemand, der sie gestaltet.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 21/2025 erschienen.