Was hat der Ressort-Autist dem Krawall um den Song-Contest-Sieger „JJ“ Pietsch hinzuzufügen? Vielleicht die Einordnung des vorgeblichen Staatsopernsängers, die Erklärung des Countertenor-Fachs und die hoffentlich glimpfliche Prognose für den armen „JJ“.
So. Da sitze ich über dem Thema der Woche und weiß nicht, womit ich beginne, so wenig und so viel ist dazu zu bemerken. Gewiss: Das Gezwitscher des Schlagersängers Johannes „JJ“ Pietsch ist prinzipiell diesseits und jenseits der Rampe nicht die Aufregung wert. Ebenso gut könnte sich Simone Lugner in die Debatte um die Harvard University einbringen. Aber leider ist der Eurovision Song Contest nicht Dancing Stars, weshalb der Sängerknabe als Repräsentant eines Täterlandes zur Unzeit alles aufgerührt hat, was selbst intellektuellen Kalibern bei der Einordnung Qual bereitet: einerseits den schändlichen, als Israel-Kritik kostümierten Antisemitismus rechter und linker Mindestbelichteter in Kumpanei mit arabischen Importnazis. Andererseits die verwerfliche Denunziationsindustrie, die Künstlern ständig politische Bekenntnisse abverlangt, um im Fall inopportuner Antworten gut monetarisierbare digitale Lynchkommandos in Bewegung setzen zu können.
Beides verachte ich von Herzen, habe aber auch immer zu verstehen gegeben, dass sich Deutschland und Österreich im Umgang mit Israel einer Art Diskretion befleißigen sollen, die noch oberhalb der Meinungsfreiheit logiert.
Der Staatsopern-Star
Lassen Sie es mich also von der anderen Seite nehmen. Wie, werden Sie fragen, kann ich „JJ“ Pietsch mit Simone Lugner vergleichen? Einen Staatsopernsänger, der einen bedeutenden internationalen Bewerb gewonnen hat?
Vor allem darf man das von Bogdan Roščić wiederbegründete Opernstudio nicht mit der Opernschule verwechseln. Für das Studio bewerben sich jährlich 1.000 junge Sänger, die schon Talentproben abgelegt haben. 13 bis 14 werden genommen, unter Weltbedingungen ausgebildet und mit Glück in die internationale Karriere entlassen.
Die vom kleinen „JJ“ frequentierte Opernschule hingegen ist de facto ein Kinderchor, den noch Direktor Holender formiert hat, weil die Sängerknaben zwar teurer, aber nicht besser wurden. Deshalb tollen die begabteren Probanden jetzt obligat in „Bohème“ oder „Carmen“ über die Bühne. Aber ist der „JJ“ nicht sogar in Verdis „Macbeth“ aufgetreten, und das im Alter von 23? Ist er in der Tat, hat mit der Opernschule aber wenig zu tun, sondern mit der Ausbildung zum Countertenor, die er am Konservatorium genießt. Das ist eine Stimmlage, die nichts mit der grausamen Kastratentradition zu tun hat, sondern die Klangproduktion in die Kopfstimme verlegt und meist das Alt-Register bedient (Pietsch hingegen ist Sopran und damit dem jubelnden Kastratenklang etwas näher). Die im 14. Jahrhundert begründete Tradition hatte auch mit dem obligaten Misstrauen des Klerus gegen weibliche Teilhabe zu tun. Sie war zwischenzeitlich fast vergessen, bis der Counter im 20. Jahrhundert wegen seiner besonderen Klangfarbe in die Avantgarde Eingang fand.
Knabenrollen in der Oper mit Countern zu besetzen, wurde zuletzt als Marotte populär. Deshalb hat der „JJ“ am 21. 10. 2024 tatsächlich als eine von drei „Stimmen der Erscheinungen“ dem Killer Macbeth folgenden Rat erteilt (nur auf Italienisch): „Hab festen Mut: Du wirst ruhmreich und unbesiegbar sein, bis der Wald von Birnam lebendig wird und gegen dich zieht!“ Das ist die Rolle.
Das Gezwischer diesseits und jenseits der Rampe ist prinzipiell nicht die Aufregung wert
Die Drei Knaben
Tatsache sind allerdings auch die elf Vorstellungen, die „JJ“ zwischen 2022 und 2025 an der Staatsoper als Erster Knabe in der „Zauberflöte“ absolviert hat. Die haben schon etwas zu singen, stehen aber nicht einmal als Existenzen auf dem Theaterzettel der Uraufführung. Später wurden sie statt von Knaben von Sängerinnen verkörpert, in meiner Stehplatzzeit waren sie anonyme „Wiener Sängerknaben“ und tauchten zuletzt, der erwähnten Zeitgeistmarotte folgend, fallweise als Counter auf.
Um nun diesbezüglich zur Conclusio zu gelangen: Karriere füllend ist das nicht. Zahllose Counter werden ausgebildet, aber die Rollen zwischen Barock und Avantgarde sind spärlich. Auch der sonst rettende Schritt in den Chor ist keine Option, will man sich nicht im englischen Kirchengesang versuchen.
Der „JJ“ hätte also sein Heil besser beim Schlagergesang belassen. Zumal der Auftritt mit dem synthetischen Siegerlied künstlerisch nicht höher zu veranschlagen ist als das von einer Achtjährigen bei „Voice Kids“ gekreischte „Nessun dorma“. Jetzt wird man sehen, ob der Wirt in Pettneu in seinen Gasträumen lieber eine Schlägerei riskiert oder den ESC-Triumphator auf Österreich-Tournee sicherheitshalber doch wieder auslädt.
Alleingelassen
Dabei hat das Ganze einen durchaus ernsten, vielleicht tragischen Hintergrund. Der Song Contest war einmal ein Wunder unfreiwilliger Heiterkeit. Jeder musste in seiner Landessprache antreten, und so freute man sich nicht nur an finnischem Elchgesang, sondern auch an mehrheitlich unglücklichen Österreichern, die sich beim Spagat zwischen Provinzlertum und elaborierter Weltläufigkeit böse den Schritt zerrten.
Jetzt muss man permanent irgendein diversitäts- oder anderweitig politisches Kalkül einlösen. Mit Qualität hat das nichts zu tun, dafür kann man sich in eine wahre Katastrophe manövrieren und damit das ganze Land in Verlegenheit bringen, wie der arme, überforderte „JJ“.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at
Neuer Newsletter! Heinz Sichrovsky informiert Sie direkt: Melden Sie sich hier zu seinem Newsletter an!
Ihre Leserbriefe zu Kulturthemen finden Sie hier: zu den Leserbriefen!