Dass ein streunender Elch einen Namen bekommt und die Nachrichten dominiert, ist nicht nur typisch Österreich, sondern auch ein Hinweis darauf, dass der spätmoderene Mensch ein Problem mit der Natur hat. Ich habe übrigens auch eins.
Meinen Geburtstag habe ich dieses Jahr mit Waschbären und Wölfen verbracht, was sehr großartig gewesen ist, und ich lebe derzeit mit drei Füchsen auf engem Raum. Die Füchse würden vermutlich sagen, dass sie mit mir auf engem Raum leben, denn es ist eigentlich ihr verwilderter Garten, und irgendwie denken sie wohl auch, dass es ihr altes, gerade fensterloses Haus ist, sonst würden sie nicht die Lederschlaufen von unseren Ikea-Küchenladen fressen.
Kürzlich haben sie auch die halbe Lasche der Lieblingslederschuhe eines Freundes verspeist, der sein Schuhwerk unvorsichtigerweise längere Zeit unbeaufsichtigt ließ. Der jüngste der drei, er heißt laut meiner Tochter, Anton, liebt Pizza aus dem öffentlichen Müll, die isst er gern neben dem Grill, wenn dort Betrieb herrscht. Wenn Sie sich jetzt denken, dass da jemand dazu neigt, die eigentlich ziemlich klaren und wichtigen Grenzen zwischen Wild- und Haustieren zu verwischen, haben Sie vermutlich recht – und auch nicht. Ich weiß sehr wohl, dass Wildtiere Wildtiere sind und bleiben, auch wenn sie sich umständehalber an die Nähe von Menschen gewöhnt haben. Aber das ändert nichts daran, dass unsere drei Füchse für mich nicht einfach Wildtiere sind, sondern eben unsere drei Füchse.
Mensch und Natur
Aber ja, nicht nur der spätmoderne Mensch an sich hat ein Problem mit der Natur, sondern auch ich. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, und es gibt vermutlich kein Umfeld, in dem die Ambivalenz, durch die das Verhältnis von Mensch und Natur geprägt ist, klarer zutage tritt als in der Landwirtschaft, vor allem dort, wie sie mit Nutztierhaltung verbunden ist. Die Liebe zur Natur und ihre Vernutzung existieren dort neben- und miteinander, und man entwickelt sehr intuitiv ein Gespür dafür, dass man den Menschen nur gleichzeitig als Teil der Natur und als ihren natürlichen Feind betrachten kann.
Der Klimaaktivismus ist eine Religion des Abstrakten, aber die Natur ist immer konkret
Diese Ambivalenz haben schon viele, die sich ab den 80er-Jahren dem Naturschutz verschrieben haben, nicht wirklich verstanden. Die öffentlich präsenten Vertreter der sogenannten Klimabewegung scheinen von solchen Dingen oftmals überhaupt keine Ahnung zu haben, denn sie agieren überwiegend mit Modellen und Prognosen, mit Wahrscheinlichkeiten und Kipp-Punkten, der Klimaaktivismus ist eine Religion des Abstrakten, aber die Natur ist immer konkret, und Modelle sind ihr herzlich egal.
Dazu kommt, dass das öffentliche Bewusstsein, wie es sich in der Dauerausstellung des Weltgeistes im digitalen Universum materialisiert, in erster Linie von Menschen geprägt wird, die in Städten wohnen, aber für die Ökologie leben – was ebenfalls nur durch einen fast akrobatischen Akt der Abstraktion miteinander in Einklang zu bringen ist. Ich habe nie verstanden, warum man in die Stadt zieht, um dort für Wiesen und gegen Autos zu kämpfen, denn ich bin in einer Zeit und in einer Welt aufgewachsen, in der man die Stadt ersehnte, um dem Land zu entkommen, bis man das Land ersehnte, um der Stadt zu entkommen. Heute verstehe ich, dass man den Versuch, Städte naturnaher und den ländlichen Raum urbaner zu machen, auch als Fortschritt im Sinn einer Aufhebung von Gegensätzen verstehen kann, aber ich bleibe skeptisch. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich den Stadtökologen misstraue, und dieses Misstrauen hat damit zu tun, dass sie die Natur moralisieren, was aber sinnlos ist, denn die Natur hat keine Moral.
Ein Elch namens Emil
Wahrscheinlich muss man die wichtigste Nachrichtengeschichte der Woche, nämlich die gut dokumentierte Suche eines Elchs namens Emil nach einem Lebensraum im Wiener Naherholungsgebiet – daher wohl auch der Name für das Tier, der irgendwie so klingt, als hätte ein Werbegrafiker aus Wien-Neubau ihn ausgesucht –, im Kontext dieses Mensch-Natur-Problems sehen. Ein Elch im Wienerwald ist zugleich ein Mahnmal für oder gegen den Klimawandel und der Triumph der Natur über den Asphalt von Klosterneuburg, also ungefähr alles, was ein im Hinblick auf das Wesen der Natur verwirrter Geist für großartig halten muss.
Ich sehe allerdings Probleme auf die Formierung des öffentlichen Bewusstseins zukommen für den Fall, dass ein Wolf, der sich von Allentsteig im Waldviertel auf den Weg in den Pongau macht und in der Nähe der Wienerwaldseen auf Emil trifft. Natur gegen Natur: Was soll der Mensch da denken? Klar wäre der Fall nur, wenn sich der Allentsteiger Wolf an Emils Stelle im Klosterneuburger Wohngebiet herumtriebe, denn der Wolf gehört zu dem Teil der Natur, den der Mensch nicht haben will, was man vom Elch nicht sagen kann. Dass der Familienausflügler aus Bobostan vor beiden Angst hat, spielt dabei überhaupt keine Rolle, weil ja der Elch in unseren Breiten im Unterschied zum bösen Wolf keinen mythisch-historischen Ballast mit sich herumträgt, nur seinen entzückenden Kehlsack, der in den Großstadtmedien seit Tagen mit einer Akribie beschrieben wird, die man sich gelegentlich auch bei der Analyse der politischen Zeitläufte wünschen würde.
Ich für meinen Teil würde Emil jederzeit in unserem Garten Asyl gewähren, was wahrscheinlich weniger an seiner Bereitschaft scheitern würde, mit drei Füchsen zu leben, als an der Tatsache, dass er nach einem etwas geräumigeren Lebensraum Ausschau hält.
Wie gesagt: Nicht nur der spätmoderne Mensch an sich hat ein Problem mit der Natur, sondern auch ich.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 35/2025 erschienen.