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Die Problematik des Unterschieds bezüglich der Geschlechter beginnt offenbar früh in der Krankheitsgeschichte. Frauen sind bei der Diabetes-Erstdiagnose häufig schwerer krank als Männer. Männer bekommen in der Regel in einem jüngeren Alter die Diagnose eines Typ-2-Diabetes (T2DM; Anm.) gestellt. Bei Diagnosestellung haben jedoch mehr Frauen eine Adipositas und auch häufiger eine arterielle Hypertonie (Bluthochdruck; Anm.) sowie eine stärkere Körpergewichtszunahme. "Frauen mit T2DM leiden häufiger unter Diabetes-Distress und psychosozialem Stress", schrieben die Wiener Fachleute mit Hinblick auf die vorliegende wissenschaftliche Literatur.
Schon in der Entstehung des nicht-insulinabhängigen Diabetes gibt es deutliche Charakteristika, die jeweils für Frauen bzw. Männer ausschlaggebend sein dürften. "Bei beiden Geschlechtern ist ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI; Anm.) und insbesonders Taillenumfang mit der Entwicklung von Diabeteserkrankungen verbunden. Bei Frauen stehen erhöhte Testosteronkonzentrationen und erniedrigte Östrogenkonzentrationen mit einem erhöhten Risiko für T2DM in Verbindung. Dem gegenüber stehen erniedrigte Testosteronkonzentrationen bei Männern, die das Diabetesrisiko erhöhen. Eine nichtalkoholische Fettlebererkrankung sowie viszerales Fettgewebe (Bauchfett; Anm.) scheinen bei Frauen das Risiko für die Entwicklung von Diabetes besonders zu fördern. Einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung von T2DM bei Frauen ist ein zurückliegender Gestationsdiabetes (vorübergehender Diabetes während einer Schwangerschaft; Anm.)", heißt es in der Themenzusammenfassung in der Publikation der deutschen Ärztekammer.
Für die Frauen dürften negativ wirkende Faktoren verschiedenster Art zu einer besonders schlechten Gefährdungs-Konstellation führen: "Auch die Menopause spielt eine wichtige Rolle, weil in dieser Phase das kardiometabolische Risiko (Herz-Kreislauf/Stoffwechsel-Risiko; Anm.) dramatisch ansteigt. Dabei haben Frauen mit Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) ein höheres relatives Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und eine höhere Mortalitätsrate. Die vorgegebenen Zielwertvorgaben werden bei Frauen mit Diabetes mellitus seltener erreicht, was auch auf fehlende Diagnose und Therapie zurückzuführen ist."
Beim Management der Zuckerkrankheit kommt es ganz entscheidend auf die Vermeidung von Spätkomplikationen an. Sie beruhen auf einer bei schlechter Blutzucker- und sonstiger Stoffwechseleinstellung schneller und früher ablaufenden Atherosklerose der kleinen und großen Blutgefäße.
"Mikrovaskuläre Erkrankungen: Bei Menschen mit T2DM wurde bei Frauen ein höheres Risiko für Nierenerkrankungen festgestellt, das möglicherweise auf eine schlechtere Risikofaktoreinstellung zurückzuführen ist. Frauen mit T2DM haben häufiger neuropathische Schmerzen und Nervenverletzungen (oft schlecht behandelbare Nervenschmerzen/Polyneuropathie; Anm.) im Vergleich zu Männern", schrieben die Experten. Bei diabetischen Retinopathien (Augennetzhautschäden; Anm.) konnten hingegen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden werden.
Ähnliches gilt für die Erkrankungen aufgrund von Schäden an den großen Blutgefäßen. Leutner und Alexandra Kautzky-Willer: "Makrovaskuläre Erkrankungen: Kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.; Anm.) sind weltweit die Haupttodesursache Nummer eins. Menschen mit T2DM haben ein erhöhtes Risiko, vorzeitig an kardiovaskulären Erkrankungen zu versterben. Obwohl das absolute Risiko für kardiovaskuläre Mortalität bei Männern mit T2DM höher ist, weisen Frauen ein höheres relatives Risiko auf. Bei Frauen wurde vor allem bei Diagnosestellung eines T2DM eine stärker fortgeschrittene Atherosklerose beschrieben."
Auf der anderen Seite scheinen Frauen weniger gut abzuschneiden, was die Berücksichtigung ihrer Herz-Kreislauf-Gefährdungsmomente betrifft. "Auch die Verschreibung von Medikamenten wie Aspirin (Thromboseverhütung; Anm.), Betablockern (Bluthochdruck; Anm.) oder Statine (Cholesterinsenkung; Anm.) erfolgt seltener. Dadurch weisen Frauen höhere Blutdruckwerte, Glukosewerte und LDL-Cholesterin-Konzentrationen auf. Frauen mit T2DM haben ein höheres relatives Risiko für Herzschwäche und Hospitalisierungen aufgrund von Herzschwäche, verglichen mit Männern. Frauen mit T2DM leiden häufiger an Depressionen und Angststörungen (...). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Frauen seltener leitliniengerecht behandelt werden", stellen die Experten fest.
Fazit der Wiener Stoffwechselexperten, die sich auch besonders mit Gender-Medizin beschäftigten: "Sowohl in der Diagnostik als auch in der Entstehung, bei der Behandlung und der Entwicklung von Folgeerkrankungen gibt es signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede bei T2DM. Um dem Ziel einer personalisierten Medizin näherzukommen, müssen diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in der klinischen Praxis berücksichtigt und auch umgesetzt werden."
Weltweit waren im Jahr 2021 bereits fast 540 Millionen Menschen von Typ-2-Diabetes betroffen, der etwa 90 Prozent der Fälle von Zuckerkrankheit ausmacht. Die Entwicklung mit einer immer größeren Verbreitung des anfänglich nicht insulinabhängigen Diabetes wird vor allem durch zunehmendes Übergewicht und Adipositas gefördert.
ESSEN - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA/dpa/Jana Bauch