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Für Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) geht die Regierung mit dem geplanten Kopftuchverbot gegen ein "Zeichen der Unterdrückung" vor, 12.000 Schülerinnen könnten laut Hochrechnungen davon betroffen sein. Die von SOS Mitmensch befragten Expertinnen - neben drei Wiener Pflichtschuldirektorinnen auch vier Leiterinnen sozialarbeiterischer Mädchen- und Frauenprojekte - erwarten sich von der Maßnahme allerdings keine Stärkung der Mädchen, sie könnte ihrer Einschätzung nach sogar kontraproduktiv sein.
Würden Mädchen zum Kopftuchtragen gezwungen, bräuchten sie keine Verbote, sondern Unterstützung - sonst würden die Schülerinnen nur weiter isoliert, warnt etwa Angelika Atzinger vom Bregenzer Verein Amazone. Durch das Kopftuchverbot machten sie außerdem die Erfahrung, dass es legitim ist, dass über ihren Körper und ihr Aussehen bestimmt wird und dass zwar ihr Kopftuch untersagt ist, andere religiöse Symbole aber nicht.
Auch Katharina Echsel vom Wiener Migrantinnen-Bildungsverein Peregrina rechnet mit einer Zunahme von Stigmata und Stereotypen, weil beim Kopftuchverbot ein Gegensatzpaar von rückständigen und in patriarchalen Denkmustern gefangenen Moslems und einem total auf Gleichberechtigung eingestellten "Restösterreich" konstruiert werde. Dabei hätten auch kopftuchtragende Mädchen unterschiedliche Motive, sei es um der Mutter zu gefallen oder Modeerscheinungen zu folgen. Stolz auf ihre Kultur, Protest oder das Abheben von anderen werden in dem Bericht ebenfalls genannt.
In den Schulen wird nicht nur befürchtet, dass dem Lehrpersonal durch das Durchsetzen des Kopftuchverbots noch weniger Zeit für die Pädagogik bleibt und über Jahre zu den Mädchen aufgebaute Vertrauensverhältnisse gefährdet werden. Doris Pfingstner, Direktorin einer Wiener Mittelschule, stellt sich zudem auf "Rückzug und Trotzreaktionen" ein. Die Schulleitungen müssten dann den Eltern erklären, wieso die Tochter in der Schule plötzlich kein Kopftuch mehr tragen darf. "Ich befürchte, das schafft mehr Konflikte als Lösungen", so Pfingstner, die sich statt eines Kopftuchverbots vielmehr wünschen würde, dass etwa in der Ausbildung des Islam-Lehrpersonals ein zeitgemäßer, westlich-liberaler Islam vertreten wird. Derzeit würden die Pädagogen ihrer Erfahrung nach oft eine eher konservative und patriarchale Ausprägung lehren.
SOS Mitmensch ruft in dem Bericht die zuständige Politik dazu auf, die Einschätzung der befragten Expertinnen ernst zu nehmen, "die vielen bereits existierenden vorbildhaften Ansätze und Tools aufzugreifen", die die Selbstbestimmung von Mädchen fördern und patriarchalen Rollenverständnissen entgegenwirken sollen. Dazu gehören in den Schulen etwa Soziale Lernwochen oder gemeinsam mit den Kindern erarbeitete Klassenordnungen, Konfliktbearbeitung als Unterrichtsfach oder Methoden, die das Selbstwertgefühl der Kinder stärken oder bei denen geübt wird, andere nicht zu bewerten. Andere Hebel sind weibliche Role-Models, etwa aus der Technik, oder die stärkere Einbindung der Eltern zum Beispiel durch ein monatliches Elterncafé oder auch mehrteilige Seminare mit Anwesenheitspflicht.
Geht es nach den Expertinnen, gibt es allerdings weder in den Schulen noch außerhalb genug Ressourcen in dem Bereich. Neben mehr Unterstützung durch Schulsozialarbeit und -psychologie, Dolmetscher und Schulärztinnen wünschen die Expertinnen sich etwa zusätzlich multiprofessionelle Teams, die die Eltern auch zuhause besuchen können. Für die Kinder und Jugendlichen bräuchte es außerdem mehr (auch externe) Angebote zur Förderung ihrer Selbst- und Sozialkompetenz, beim Thema Rollenerwartungen auch zeitweise für Burschen und Mädchen getrennt.
Gerade Mädchen aus patriarchalen Familien würden außerdem laut den Expertinnen besonders von Ganztagsschulen profitieren, weil sie sich dort stärker auf sich und ihre Bildungslaufbahn fokussieren können. Ein gemeinsamer Ethikunterricht wiederum könnte das gegenseitige Verständnis und das Miteinander verbessern.






