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In einem von "Diskurs. Das Wissenschaftsnetz" organisierten Pressegespräch Freitagmittag gab sich der Wissenschafter vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien am Weg zurück von der Konferenz grundsätzlich optimistisch. Die COP-Konferenzen - über deren Sinn und Unsinn seit vielen Jahren kontrovers diskutiert wird - seien vielleicht ein Stück weit "bizarr", aber "unheimlich wichtig". Es gebe sehr wohl Fortschritte seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Mittlerweile gebe es nahezu überall irgendeine Form von Klimapolitik, wenn auch die Fortschritte insgesamt "zu langsam" vonstatten gehen, sagte Riahi.
Auch sein IIASA-Kollege, Reinhard Mechler, pflichtete bei: Es brauche die alljährlichen Klimakonferenzen sehr wohl, "aber vielleicht nicht mit 50.000 Teilnehmern". Mittlerweile sei klar, dass ein zentraler Punkt des Paris-Abkommens nicht mehr einzuhalten ist: "Dass wir das 1,5-Grad-Ziel so spektakulär überschießen, macht mir Kopfzerbrechen", betonte Riahi. Die aktuellen Emissionsreduktionsvorschläge der Staaten lassen die Welt voraussichtlich auf ein Plus von 2,8 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zusteuern. Die 1,5-Grad-Grenze scheint bereits überschritten. In Österreich verzeichnet man gegenüber dem Jahr 1850 ein Plus von im Schnitt 3,1 Grad Celsius.
Alles in allem gehe man ein "sehr hohes Risiko" bei der Destabilisierung des Klimas ein - in einem Ausmaß, wo die schlimmsten drohenden Auswirkungen kaum noch beherrschbar sein werden. Werden neuralgische Kipppunkte erreicht, könne es mit negativen Entwicklungen sehr rasch gehen. In Belém stand - geografisch naheliegend - u.a. das Amazonas-Gebiet im Mittelpunkt. Seitens Brasilien sei etwa eine "Tropical Forest Forever Facility" (TFFF) forciert worden, um den Schutz der weltweiten Regenwälder voranzutreiben. Statt der erhofften 25 Mrd. Euro dafür, wurden bisher nur rund fünf Mrd. dafür lukriert, sagte Mechler. Für Riahi ist klar: "Das ist ein Ökosystem, das nicht kippen darf."
Die Wahrscheinlichkeit, dass Kipppunkte insgesamt erreicht werden, steige mit jedem Zehntelgrad im Weltschnitt an, betonten beide Wissenschafter einmal mehr. Der wissenschaftliche Fokus verschiebt sich daher in Richtung "Überschießen" ("Overshoot") des 1,5-Grad-Zieles. Man sehe leider klar, dass es über diese Marke gehen wird. Riahi: "Die Overshoot-Diskussion läuft mittlerweile überall." Eine erste einschlägige große Konferenz fand im Herbst am IIASA statt. Kurz vor der COP trat das "Integrated Assessment Modelling Consortium" (IAMC) - ein wissenschaftlicher Zusammenschluss, der sich mit dem Durchspielen von Klimaszenarien beschäftigt - in Búzios in Rio de Janeiro zusammen.
Riahi und Kollegen legten dort "Benchmarks" vor, die es für einen zielstrebigen Klimaschutz umzusetzen gilt. Demnach bräuchte es bis 2035 eine Emissionsreduktion um 25 bis 50 Prozent gegenüber dem Wert des Jahres 2024, Produktion und Verbrauch von fossilen Energieträgern müssten auf ein Viertel gegenüber dem Vorjahreswert sinken. Zudem benötige man eine Verfünf- bis Versechsfachung der Energiegewinnung aus Sonnen- und Windkraft. Bei letzterem wäre der Konsens und die Chance auf Umsetzung auch am höchsten. Das habe die Stimmung auf der COP gezeigt. Vor allem in Ländern des globalen Südens gehe man stark in diese Richtung - auch weil Sonnen- und Windenergie schon billiger als solche aus fossilen Energieträgern sei.
Schwieriger wird es bei den CO2-Emissionsreduktionen: So würden sich vor allem Indien und einige afrikanische Länder von jenen Ländern "alleine gelassen fühlen", die historisch die meisten Treibhausgase ausgestoßen haben. Sie hätten das "Vertrauen in eine gerechte Transformation verloren" und würden für ihre wirtschaftliche Entwicklung weiter "emittieren wollen". Hier gelte es, wieder Vertrauen aufzubauen, "wie vor zehn Jahren in Paris", erklärte Riahi.
Insgesamt sei in der vergangenen Dekade auch viel Gutes passiert. Solarzellen kosten nur noch rund zehn Prozent im Vergleich zu 2015. Wer noch mit "Technologieoffenheit" in Bezug auf Verbrenner- vs. E-Mobilität argumentiere, habe den Zeitgeist-Zug verpasst. Es gelte vielmehr, in Energiespeicher und Netzstabilität zu investieren. Und: Wenn man sich ansehe, welche Summen in Europa nun für militärische Zwecke bereitgestellt werden, gelte die Argumentation nicht, dass man sich Klimaschutz nicht leisten könne, so Riahi.
Für Mechler kann auch Österreich "viel, viel mehr tun" - wenngleich das Land bisher mehr oder weniger geliefert habe, wozu es sich verpflichtet hat. So wurden die Emissionen gesenkt und es wurden anteilig Ausgleichszahlungen an stärker vom Klimawandel betroffene Länder über Fonds geleistet. Im Jahr 2023 waren dies immerhin rund 1,2 Mrd. Euro, so der Forscher, der den Bedarf natürlich weit höher ansetzt. Mechler hofft, dass Österreichs Delegation bis zum Ende der COP auch noch mithilft, eine Einigung zu erzielen.
Bleibt u.a. die Frage, wie es nach dem Überschießen des 1,5-Grad-Zieles weitergeht: Durch Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre und dem Forcieren von natürlichen CO2-Senken - Stichwort: Renaturierung und Aufforstung - könne man auch wieder aus der "'Overshoot-Welt' zurückkommen", das werde aber lange dauern und sei ob der Problematik mit den Kipppunkten unsicher. Letztlich brauche es eine COP-Erklärung, die das berücksichtigt, sowie konkrete Pläne, die formuliert werden müssen.
Service: Das Búzios-Papier online: https://go.apa.at/2SkOkChg





