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"Placeboeffekte stellen in klinischen Studien zur rheumatoiden Arthritis (RA) eine erhebliche Herausforderung dar. Das Verständnis des Einflusses sozioökonomischer Faktoren in den teilnehmenden Ländern auf die Placebowirkung ist entscheidend für die Verbesserung des Studiendesigns und der Studienergebnisse", schrieben jetzt Wiener Wissenschafter unter Andreas Kerschbaumer (Universitätsklinik für Innere Medizin III/Rheumatologie der MedUni Wien/AKH) in den "Annals of Rheumatic Diseases" (doi: 10.1016/j.ard.2025.07.010).
Kerschbaumer hat bereits im November 2024 beim Jahreskongress des "American College of Rheumatology" (ACR) zu dem Thema eine Studie vorgestellt. Demnach erreichten aktuell bereits mehr als 40 Prozent der Probanden in Placebogruppen in klinischen Untersuchungen zum Gelenksrheuma Ansprechraten mit einer Verringerung der Symptome etc. um 20 Prozent. Dieser Anteil hätte sich über die Jahre hinweg erhöht.
Neue Therapien müssen immer in klinischen Studien - in der entscheidenden Phase III mit vielen Probanden und Placebo-kontrolliert - auf Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft werden. Der dabei festgestellte Wirksamkeitsunterschied zwischen echtem Arzneimittel und in einer Vergleichsgruppe ebenfalls "blind" verabreichtem Scheinmedikament sollte möglichst groß sein. Umgekehrt sollte die Nebenwirkungsrate unter dem echten Medikament möglichst nicht höher als in der Placebogruppe sein. Speziell bei Erkrankungen, bei denen in die Bewertung auch viel an den persönlichen Eindrücken der Patienten einfließen, kann der Placeboeffekt die real vorhandene Wirkung einer potenziell neuen Therapie verschleiern.
Die Wiener Wissenschafter haben sich 124 klinische Studien mit 14.272 Patienten noch einmal genauer angesehen, was die weltweit regionale Verteilung der Probanden und die sozioökonomische Situation betrifft. Es ging dabei um Studien, in denen entweder Biotech-Medikamente oder neue Arzneimittel mit synthetischen Wirkstoffen zur Beeinflussung des Krankheitsverlaufs bei chronischem Gelenksrheuma untersucht wurden. Verwendet wurden dazu das jeweilige Bruttonationaleinkommen, der Human Development Index und die in den beteiligten Ländern notwendige Eigenbeteiligung an den Gesundheitsausgaben.
Die Ergebnisse waren ziemlich eindeutig. "Wir stellten in allen Studien einen negativen Zusammenhang zwischen Bruttosozialprodukt pro Kopf und den Placebo-Ansprechraten fest", schrieben die Wissenschafter. Pro 10.000 Dollar pro Kopf-Bruttosozialprodukt weniger erhöhte sich der Placeboeffekt um 3,7 Prozent. Das heißt auf der anderen Seite, dass der Unterschied zu den Probandengruppen, welche die echten Arzneimittel erhielten, in einem wirtschaftlich schlechteren Umfeld geringer wurde. Die Ergebnisse hätten sich auch anhand alternativer Messgrößen sowie anhand geografischer Daten auf Patientenebene bestätigen lassen.
Neue Arzneimittel werden zunehmend weltweit in klinischen Studien geprüft. Doch das bedeutet auch - speziell in ärmeren Ländern - finanzielle Abgeltungen und die mögliche Aufnahme von überproportional sozial schlechter gestellten Probandinnen und Probanden. Da sollte laut den Studienautoren schon bei der Planung der Studien berücksichtigt werden.
"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Rekrutierung von Patienten aus Ländern mit niedrigem Einkommen mit höheren Placebo-Ansprechraten einhergeht, während die Ansprechraten bei der aktiven Behandlung stabil bleiben. Dies könnte auf Anreize für die Patientenrekrutierung in Studien zurückzuführen sein, beispielsweise auf den eingeschränkten Zugang zu Therapien in weniger wohlhabenden Ländern. Die Berücksichtigung dieser Faktoren ist entscheidend für die Verbesserung des Studiendesigns und die Gewährleistung genauer Wirksamkeitsbewertungen", stellten die Wissenschafter fest.
Eine Erklärung für das beobachtete Phänomen könnte aber auch sein, dass Probanden von klinischen Studien in ärmeren Ländern und Regionen im Rahmen dieser Untersuchungen erstmals insgesamt medizinisch gut versorgt werden und sie damit von der ganzen "Studien-Umgebung" - speziell unter Placebo - profitieren.