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Tschetschene soll in Wien Millionen für IS gesammelt haben

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Angeklagter seit vergangenem Herbst in der JA Josefstadt in U-Haft
©APA, ROLAND SCHLAGER
Ein brisanter Prozess gegen ein mutmaßliches Mitglied der radikalislamischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) findet am kommenden Dienstag am Wiener Landesgericht statt. Angeklagt ist ein 33-jähriger Mann tschetschenischer Abstammung, der seit 2018 von Wien aus in zuletzt hochprofessioneller Manier in ganz Europa umgerechnet mehrere Millionen Euro für in Syrien und im Irak tätige bzw. inhaftierte IS-Kämpfer und -Anhänger sowie deren Angehörige gesammelt haben soll.

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Auf 105 Seiten skizziert die Staatsanwaltschaft Wien in ihrer der APA vorliegenden Anklageschrift den Werdegang des bis zu seiner Festnahme im vergangenen Herbst in Wien-Floridsdorf gemeldeten Yusup M., dem seitens der Anklagebehörde eine "direkte Vernetzung mit Kernmitgliedern des IS" bescheinigt wird. Vorgeworfen werden Yusup M. die Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation. Demnach soll der Mann, der sich seit vergangenem Herbst in der JA Josefstadt in U-Haft befindet, ab 2018 zunächst als Einzelperson Spenden zugunsten des IS gesammelt und mit den lukrierten Beträgen in den syrisch-kurdischen IS-Gefangenencamps al-Haul und Roj inhaftierte weibliche IS-Angehörige unterstützt haben.

Ab dem Frühjahr 2022 soll Abu Ashab, wie Yusup M. von Gesinnungsgenossen genannt wurde, seine Tätigkeit als Terrorismus-Finanzierer professionalisiert und auf eine neue Ebene gehoben haben, indem er sich mit in Deutschland, Belgien und in der Türkei lebenden IS-Anhängern zu einer Gruppierung namens "Jamaat" zusammenschloss. Deren Zweck bestand laut Anklage "einzig und allein darin, in Europa im Kollektiv Geldsammlungen zugunsten des IS zu betreiben und mit den eingenommenen Mitteln primär einerseits auf dem Dschihad befindliche IS-Kämpfer und andererseits in Syrien sowie Irak angehaltene bzw. inhaftierte IS-Angehörige finanziell zu unterstützen als auch freizukaufen".

Von "horrenden Summen", die zusammengetragen wurden, ist in der Anklageschrift die Rede. Die Gruppierung betrieb mehrere Telegram-Kanäle und Chat-Bots, wobei allein über einen Kanal laut Anklage bis zum Sommer 2024 "zu einem relevanten Teil für terroristische Zwecke" Spendengelder in Höhe von insgesamt circa 73,5 Mio. US-Dollar (62,77 Mio. Euro) in die Kassa gespült wurden.

Der Angeklagte habe "als Führungsperson" weitreichende Anordnungsbefugnisse gegenüber anderen "Jamaat"-Mitgliedern ausgeübt, alleinverantwortlich die Finanzverwaltung sowie die Gebarung der Gemeinschaftskasse betrieben und einem in Syrien ansässigen weiblichen IS-Mitglied - die Frau hatte eine zentrale Funktion inne - Anweisungen hinsichtlich der Verwendung der bereitgestellten Gelder erteilt. Das von Yusup M. federführend getragene Terrorismus-Netzwerk habe "im gesamten Zeitraum des Bestehens jedenfalls im oberen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich liegende Gelder gesammelt und diese für IS-Mitglieder bereitgestellt", wird in der Anklageschrift festgehalten.

Hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten und insbesondere der konkreten Verwendung der Gelder "lag das Kommando beim Angeklagten", bekräftigt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Hatte sich die Gruppierung auf ein konkretes Projekt geeinigt - etwa den Freikauf eines inhaftierten IS-Kämpfers -, wurde die dafür benötigte Summe von Belgien, Deutschland oder Österreich zunächst in die betroffenen Gebiete geschafft.

Während das anfangs noch regelmäßig mittels Bargeld-Transports über die Türkei nach Syrien oder in den Irak geschah, bediente man sich später Krypto-Währungen und wickelte die Zahlungsflüsse über Krypto-Wallets ab. Abgeschlossen wurden die Projekte mit einer Vollzugsmeldung oder in Form einer Berichterstattung über "Jamaat"-Social Media-Kanäle.

Eines der von "Jamaat" betriebenen so genannten Projekte war der Freikauf einer jungen Wienerin, die 2014 als 19-Jährige über Istanbul nach Syrien gereist war, sich dort dem IS angeschlossen hatte und nach der militärischen Niederlage des IS im Lager al-Haul interniert war. Um sie im Sommer 2022 freizukaufen, wurden 7.000 US-Dollar (5.985 Euro) aufgebracht.

Sehr stark eingesetzt haben soll sich Yusup M. für einen in Syrien kämpfenden prominenten Foreign Fighter aus Tschetschenien. Magomed I. alias Abu Ali soll sich noch im Vorjahr in führender Funktion für den IS betätigt haben, amerikanische und britische Spezialkräfte fahndeten aktiv mit Drohnen nach ihm, auf Hinweise zu seiner Ergreifung war angeblich sogar ein Kopfgeld ausgelobt worden. Laut Anklage sicherte Yusup M. Abu Ali für den Fall dessen Ablebens die finanzielle Versorgung seiner Familie zu. Überdies soll er ihm 2024 finanzielle Mittel in Höhe von insgesamt zumindest 60.000 US-Dollar (51.300) Euro zur Verfügung gestellt haben.

Auch Kalaschnikows und andere Schusswaffen soll die Gruppierung um den in Wien lebenden Tschetschenen IS-Kämpfern finanziert haben. "Schick ihnen Moneten für circa 3 Gewehre/Waffen", lautete etwa eine knappe Anweisung des 33-Jährigen.

Gesammelt wurde Länder übergreifend, wobei in den eingerichteten, mit einem eigenen Logo versehenen Spenden-Kanälen regelmäßig über das Ankommen der Gelder bei den Empfängern berichtet wurde. Bildmaterial aus den IS-Gefangenenlagern wurde dabei bewusst manipulativ verwendet, wie in der Anklageschrift dargelegt wird: "Besonders hinterhältig und perfide war jene Vorgehensweise, auf den veröffentlichten Fotos gezielt Kinder (ohne deren Mütter) einzusetzen, um diese möglichst Mitleid erregend darstellen zu können, die Motive der Gruppierung tunlichst humanitär erscheinen zu lassen und dementsprechend potenzielle Geldgeber gezielt zu täuschen und im Ergebnis eine höchstmögliche Anzahl an Spendern zu generieren."

Belastet wird Yusup M. vor allem von Chats, die von den Strafverfolgungsbehörden sichergestellt, ausgelesen und ausgewertet werden konnten. "Bruder, es werden lediglich Fotos von Kindern ohne Mütter gemacht, und zwar weil man Überschneidungen und Doppelspenden haben möchte. Ohne Zelte! Nur Fotos mit Kindern und Geld(scheine)!", erteilte er etwa konkrete Anweisungen zur Gestaltung von Fotos aus Lagern mit internierten IS-Anhängerinnen und deren Kindern.

Der 33-Jährige dürfte über Jahre hinweg enge Kontakte zu gleichgesinnten männlichen Landsleuten vorrangig tschetschenischer Abstammung gepflogen haben. "Diese Gesinnungsgenossen waren nicht nur über das gesamte österreichische Bundesgebiet verstreut, sondern darüber hinaus in mehreren europäischen Ländern als auch in der Türkei ansässig", betont die Staatsanwaltschaft die internationale Vernetzung der Gruppierung. Die führenden "Jamaat"-Mitglieder trafen sich nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden auch persönlich, etwa Mitte August 2022 in der Talsperre Pöhl im deutschen Bundesland Sachsen.

Yusup M. hat im Ermittlungsverfahren sinngemäß erklärt, er habe mit dem IS nichts am Hut. Er sei weder Mitglied von Telegram-Chatgruppen gewesen noch unter dem Synonym Abu Asha aufgetreten und habe keine Spendensammlungen betrieben. Er behauptete, die tschetschenische Community in Österreich wüsste, dass er in seiner Heimat bei der Polizei gewesen sei und würde ihm daher nicht vertrauen.

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