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Den umstrittenen Polizeieinsatz am Peršmanhof bezeichnete Geržina als "Stunde 0 für Kärnten". Er könne immer noch nicht fassen, "dass so etwas in einer demokratischen Republik möglich ist. Hier wurde jedes Augenmaß verloren", sagte der Diplomat. Er wies darauf hin, dass im Vorjahr dieselbe Veranstaltung an dem Ort stattgefunden habe. "Damals ist nur ein Polizist gekommen, und nach fünf Minuten war er wieder weg", sagte er.
"Zum Teil ist das, was am Sonntag passiert, schlimmer als der Ortstafelsturm." Damals habe nämlich die Exekutive die Minderheit geschützt. Vom Innenministerium und Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) forderte der Botschafter rasche Aufklärung. "Es kann ja nicht Wochen dauern, dass man herausfindet, wer was wem angeordnet hat." Als besonder schlimm wertete der Diplomat, dass sich der Vorfall im Jubiläumsjahr - 80 Jahre nach dem Kriegsende und 70 Jahre nach dem Staatsvertrag - ereignet habe. "Dabei war gerade der Kampf der Kärntner Partisanen ganz wichtig für die Wiederherstellung Österreichs."
Im Streit um die steirische Landeshymne äußerte sich Geržina ebenfalls kritisch. "Wir wünschen der Steiermark eine gute Reise mit dieser Vergangenheitsbewältigung", kommentierte er den Beschluss der FPÖ-ÖVP-Landeskoalition zum Dachsteinlied, in dem ein beachtlicher Teil des heutigen slowenischen Staatsgebiets als steirisch besungen wird. Wenn sich Slowenien daran ein Beispiel nähme, könnte es "Rož, Podjuna, Zila" (Hymne der Kärntner Slowenen) zur Staatshymne machen. Unmittelbare Konsequenz sei, dass die Zusammenarbeit im slowenisch-steirischen Komitee "auf absehbare Zeit nicht stattfinden wird". Rechtliche Schritte könne man in dieser Angelegenheit nicht ergreifen.
"Gewundert und geschmerzt" habe ihn die Position der mitregierenden ÖVP in der Hymnencausa. Die ÖVP sei nämlich "immer eine ganz wichtige europäische Kraft" gewesen und auch für Slowenien im Demokratisierungs- und Unabhängigkeitsprozess "ein ganz wichtiger Anker, mit deren Hilfe wir auch einiges geschafft haben", sagte Geržina. "Dass die Volkspartei ihre Position so ändert und ein Jahrhundert oder mehr zurückkehrt, das kann ich beim besten Willen nicht verstehen", so der Diplomat, der sich auch ein Eingreifen der Bundespartei erwartet hätte.
Geržina schloss Ende Juli sein bereits zweites vierjähriges Mandat als slowenischer Botschafter in Österreich ab. "Wir werden Wien immer in unserem Herzen behalten", streute er der österreichischen Hauptstadt Rosen, wenn auch verbunden mit etwas Kritik wegen des Verkehrs und von langwierigen Bauarbeiten. "Das behindert das tägliche Leben schon stark." Er lobte auch die heimische Politik, die etwa in der Finanzkrise "einiges sehr gut gemacht hat". Auch in außenpolitischen Fragen gebe es zwischen Österreich, Slowenien und den anderen mitteleuropäischen Staaten viele Gemeinsamkeiten.
"Es hat sich herauskristallisiert, dass Krisen auch Chancen bieten", sagte Geržina mit Blick auf die Pandemie, in der das Kooperationsformat der "Central 5" (Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien) entstanden sei. Damals habe man den Wert der Zusammenarbeit unter Nachbarn erkannt. "Im heutigen Europa ist es ganz wichtig, dass man sich auf seinen Nachbarn verlassen kann, die Verlässlichkeit. Das gibt auch der Politik eine gewisse Sicherheit, auch wenn man nicht in allen Dingen einer Meinung ist", plädierte Geržina für eine Fortsetzung der C5-Zusammenarbeit, eventuell erweitert um die Schweiz. Slowenien fühle sich in diesem Kooperationsformat "wohl", auch wenn es aufgrund seiner geografischen Lage auch anderen Gruppen wie etwa den Mittelmeerländern angehöre.
Geržina war bereits von 2009 bis 2013 slowenischer Botschafter in Wien. In seine Amtszeit fiel die Lösung des Kärntner Ortstafelstreits, vor seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 2021 war er stellvertretender Politischer Direktor im Außenamt in Ljubljana und Ministeriumssprecher. Im Vergleich zu seinem ersten Mandat habe sich die Politik in Österreich "intensiv" verändert. "Die Instabilität ist ins Land gekommen", sagte er mit Blick auf die Tatsache, dass Österreich während seiner zweiten Periode vier verschiedene Bundeskanzler gehabt habe. Für ihn als Diplomaten sei diese dynamische Entwicklung auch eine Chance gewesen. Allerdings beklagte Geržina, dass es heute für Botschafter nicht mehr so leicht sei, Termine bei österreichischen Ministern zu bekommen wie vor zehn Jahren.
Lobend äußerte sich Geržina über die neue Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS). "Was ich gesehen habe, ist ein anderer Stil, und das ist gut." Auch dem Außenministerium tue eine "Erfrischung" nach vier Jahrzehnten fast durchgängiger ÖVP-Führung gut. Inhaltlich sehe er unter Meinl-Reisinger keine Kehrtwende, auch nicht in der Nahost-Politik, sagte Geržina auf eine entsprechende Frage.
Geržina war in seiner zweiten Amtszeit auch informeller Vertreter der NATO-Staaten in Österreich. Eine ähnliche Entwicklung wie in Schweden und Finnland sehe er zwar nicht, doch habe sich der Umgang Österreichs mit dem Verteidigungsbündnis im Vergleich zum Beginn seiner zweiten Amtszeit im Jahr 2021 verändert. "Es ist zwar nicht zu einer anderen offiziellen Position gekommen, aber man redet darüber. Die Politik hat gesehen, dass man sich damit auseinandersetzen muss", sagte er mit Blick auf die russische Bedrohung im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. "Das heißt nicht, dass Österreich morgen NATO-Mitglied sein wird", fügte er hinzu.
Auf die Frage, ob das neutrale Österreich für das NATO-Mitglied Slowenien ein Sicherheitsrisiko sei, verwies Geržina auf die Bündnispartner Ungarn, Italien und Kroatien an den drei anderen Grenzen Sloweniens. "Wir schlafen auch ohne Österreich in der NATO sehr gut. Die Frage ist, ob die Österreicherinnen und Österreicher gut schlafen. Zur Zeit ja, aber was die Zukunft bringen wird, weiß ich nicht."
Zur österreichischen Bewerbung um einen nicht-ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat sagte Geržina, der Kampf gegen Deutschland und Portugal werde "mühsam". Österreich habe in internationalen Gremien immer gute Arbeit geleistet, sollte aber "aktiv mit allen möglichen Gesprächspartnern reden". "Ganz wichtig" seien bei der Entscheidung über den Ratssitz die afrikanischen Staaten, betonte er. "Die afrikanischen Stimmen sind diejenigen, die den Unterschied ausmachen". Ob Österreich die slowenische Stimme bei der Abstimmung in der UNO-Generalversammlung in knapp einem Jahr bekommen werde, könne er nicht sagen. Schließlich finden in Slowenien zu Jahresbeginn Parlamentswahlen statt, verwies er auf einen möglichen Regierungswechsel.
Enttäuscht zeigte sich Geržina, dass Österreich jahrelang die Grenzkontrollen zu Slowenien aufrechterhalten hat. Die Zahlen hätten nämlich gezeigt, dass über den Grenzübergang Spielfeld keine Migranten nach Österreich kämen. "Da gibt es schon eine gewisse Frustration."
Die zweite schmerzhafte Angelegenheit sei jene der slowenischen Volksgruppe in Kärnten gewesen. Diesbezüglich habe sich nicht viel bewegt, auch während der Regierungsbeteiligung der Grünen nicht. Diese hätten "viel versprochen, was den Minderheitenschutz angeht, dann aber doch fast nichts realisiert", zeigte sich Geržina besonders frustriert über die ausgebliebene Einigung im Bereich der zweisprachigen Gerichtsbarkeit. So habe er der damaligen Grünen Justizministerin Alma Zadić vorgeschlagen, kleinere Gerichte in Kärnten nicht wie geplant zu schließen, um die oppositionelle SPÖ an Bord zu holen. Das sei nicht möglich gewesen, obwohl die Grünen in der Regierung viele ihrer Vorhaben und Prioritäten hätten realisieren können.
Nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit als Botschafter äußerte Geržina die "feste Überzeugung, dass Österreich den Staatsvertrag nicht umsetzen wird". Er kritisierte diesbezüglich auch den Kärntner Landeshauptmann Kaiser. Dieser habe zwar viel für eine bessere Atmosphäre zwischen den Volksgruppen getan und besuche auch die Veranstaltungen der Kärntner Slowenen, "aber sobald es um Inhalte geht, etwa dass man die Sprache in den Schulen verankert, von der Krippe bis zum Abschluss der Mittelschule, bewegt er sich nicht".
Stolz sei er vor allem auf Projekte im Kulturbereich, etwa die große Ausstellung "Die Welt in Farben" im Belvedere zu Ehren slowenischer Künstler. Diese Ausstellung habe auch gezeigt, wie wichtig die Stadt Wien für slowenische Kulturschaffende sei. "Wien war eine Drehscheibe für sie. Sie haben hier gelebt, sie haben hier ihre Träume verwirklicht." Als "Jahrtausendwerk" bezeichnete Geržina den kürzlich von Historikern beider Länder verfassten Sammelband "Beidseits der Alpen. Ein Österreichisch-Slowenisches Geschichtsbuch", in dem ein gemeinsames Geschichtsverständnis entwickelt wird.
Mit solchen Projekten habe er zeigen wollen, "wie tief wir durch die Geschichte miteinander verbunden sind, im Negativen aber auch im Positiven". Er wünsche sich, dass das Buch ein Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung der jungen Menschen beidseits der Alpen werde, aber auch die Politik solle sich ihre Inhalte zu Herzen nehmen, so Geržina.
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)