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Vor zehn Jahren sei Österreich nicht auf größere Fluchtbewegungen vorbereitet gewesen - "und in weiterer Folge auch nicht auf eine Gesellschaft mit höherem Diversitätsgrad", so Kohlenberger. Aber man habe viele Fortschritte gemacht. "Wir haben etwa eine gute Struktur für Ankommende - es gibt Werte- und Deutschkurse, Integrationsprogramme und Unterstützung für die ersten Schritte in den Arbeitsmarkt", betont die Forscherin der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien.
Es gebe aber weiterhin eine Lücke zwischen der "Migrationsrealität auf der einen Seite und der Politik auf der anderen". Die Politik und Verwaltung sei "nicht optimal auf die Migrationsrealität abgestimmt", gibt Kohlenberger zu bedenken. Und das, obwohl diese Realität aufgrund der langen Migrationsgeschichte Österreichs schon länger bestehe.
So stünden nun etwa Probleme im Bildungsbereich im Fokus, wobei nach Ansicht der Migrationsexpertin nicht die "neu gekommenen" Flüchtlingskinder den Druck verursachen, sondern oftmals die Kinder der zweiten oder dritten Generation. "Viele Versäumnisse liegen also in der Vergangenheit", schlussfolgert Kohlenberger. Diese Herausforderungen hätten nichts mehr mit Grenzpolitik zu tun, "auch nicht mit Migrationspolitik im engeren Sinn", sondern erforderten Änderungen in der Sozial- und Bildungspolitik.
Zwar nicht in der Anfangsphase - doch später - sei Migrationspolitik von manchen politischen Kräften, auch von Parteien der Mitte, instrumentalisiert worden. Das oft genannte Ziel, Rechtsparteien durch eine harte Grenz- und Migrationspolitik das Wasser abgraben zu wollen, sieht die Migrationsexpertin nicht erreicht. "Wenn das umgesetzt wäre, würden wir nicht weiterhin einen Aufstieg rechter Parteien beobachten können."
Die "dominante Erzählung", dass eine zu liberale Migrationspolitik zur Rechtswende geführt hat, müsse hinterfragt werden - auch wenn sie sich durch fast alle politischen Lager ziehe, so Kohlenberger. Denn liberale Grenzpolitik gebe es in Europa "seit vielen Jahren" nicht mehr. Es sei vielmehr der "massive Fokus auf Migrationskontrolle, ständige Migrationspanik, gepaart mit Brutalisierung und Militarisierung an den Grenzen", gewesen. So sei die Bevölkerung an die "Krisenerzählung und dass man hart durchgreifen muss", gewöhnt worden. Rechtsgerichteten Kräften sei es dadurch gelungen, "stark verhetzende Inhalte zu positionieren. Hier haben alle anderen politischen Kräfte versagt", sagt die Expertin, deren neues Buch "Migrationspanik" im September erscheint.
Auf die Frage ob und woher neue Flüchtlingsströme zu erwarten seien, antwortet die Wissenschafterin, dass die Asylantragszahlen nicht auf dem aktuell niedrigen Niveau bleiben werden. "Es gibt immer Fluktuationen, saisonale Veränderungen. Es ist klar, dass die Zahlen wellenartig steigen und fallen - auch künftig", erklärt Kohlenberger. Im Falle eines erneuten Aufflammens des Iran-Israel-Konflikts könnten sich verstärkt Iraner auf den Weg Richtung Österreich machen, weil hierzulande bereits eine Community der frühen iranischen Bildungsmigration besteht, die finanziell unterstützen kann. Möglich sei auch ein Weiterziehen mancher afghanischer Geflüchteter, die aktuell im Iran Zuflucht gefunden haben. Größere Fluchtbewegungen aus dem Sudan, Südsudan, aber auch Gaza, sieht Kohlenberger aktuell nicht.