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Israel für Ausweitung der Kämpfe in Gaza

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Israel beschließt Ausweitung der Kämpfe in Gaza
©AFP, APA, JACK GUEZ
Rund 22 Monate nach Beginn des Gaza-Kriegs hat sich Israels Führung für eine weitere Verschärfung der Kämpfe in dem Küstenstreifen entschieden. Das israelische Sicherheitskabinett stimmte einem Plan zur Einnahme der Stadt Gaza zu, wie das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu Freitagfrüh mitteilte. Das Gremium billigte nach stundenlangen Beratungen einen entsprechenden Militäreinsatz.

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Das Sicherheitskabinett beschloss nach Angaben des Büros des Ministerpräsidenten zudem fünf Prinzipien, um den Krieg im Gazastreifen zu beenden. Dazu gehörten unter anderem die militärische Kontrolle des Küstengebiets durch Israel und die komplette Entwaffnung der islamistischen Hamas sowie die Entmilitarisierung des Gazastreifens. Anschließend solle dort außerdem eine alternative Zivilregierung aufgebaut werden.

Israel kontrolliert gegenwärtig nach Medienberichten rund drei Viertel des weitgehend zerstörten Küstenstreifens, in dem insgesamt etwa zwei Millionen Palästinenser leben. Seit Anfang der Woche war über eine komplette Einnahme des Gazastreifens durch Israel spekuliert worden. Die nun beschlossenen Pläne gehen der offiziellen Mitteilung zufolge vorerst nicht so weit.

Der TV-Sender N12 berichtete unter Berufung auf einen hochrangigen Beamten, der nun beschlossene Einsatz fokussiere sich ausschließlich auf die Stadt Gaza im Norden des Küstengebiets. Ziel sei die Evakuierung der Bewohner in Flüchtlingslager im zentralen Abschnitt des Gazastreifens - dies solle bis Anfang Oktober geschehen. Offizielle Details gab es dazu zunächst nicht.

Israels Oppositionsführer Yair Lapid bezeichnete die vom Sicherheitskabinett beschlossene Einnahme der Stadt Gaza als "Katastrophe", die "zu vielen weiteren Katastrophen führen wird". Die geplante Eroberung der größten Stadt des Gazastreifens werde zum Tod der Geiseln sowie der Tötung vieler israelischer Soldaten führen, schrieb Lapid auf der Plattform X.

Ministerpräsident Netanyahu habe sich entgegen den Einwänden der Armeeführung von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich treiben lassen, erklärte Lapid weiter. Die beiden ultrarechten Minister sind Verfechter der Idee, den Gazastreifen vollständig einzunehmen und die rund zwei Millionen dort lebenden Palästinenser zu vertreiben.

Monatelange indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas über eine neue Waffenruhe und die Freilassung weiterer Geiseln waren zuvor ergebnislos geblieben. "Ich verstehe genau, was die Hamas will. Sie will keinen Deal", hatte der Netanyahu zuletzt in einer Video-Botschaft erklärt. Er sei nun noch entschlossener, die Geiseln zu befreien, die Hamas zu zerschlagen und sicherzustellen, dass vom Gazastreifen unter der Herrschaft der Terrororganisation nie wieder eine Gefahr für den Staat Israel ausgehe.

Medien spekulierten zuvor, dass die nun konkrete Ankündigung einer Ausweitung der Kämpfe auch Teil einer Verhandlungstaktik sein könnte, um die Hamas in den Verhandlungen um eine Waffenruhe massiv unter Druck zu setzen. Israelische Politiker deuteten eine solche Strategie an. Der N12-Sender berichtete, die Vermittlerstaaten Katar und Ägypten würden bereits Druck auf die Hamas ausüben, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

In einem Interview mit dem US-Sender Fox News kurz vor Beginn der Sitzung des Sicherheitskabinetts sagte Netanyahu, Israel wolle die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen übernehmen, das Gebiet aber nicht dauerhaft besetzen. Es solle von der Hamas befreit werden, um es schließlich an andere Kräfte zu übergeben. Dies müssten Kräfte sein, die nicht wie die islamistische Terrororganisation Hamas zur Vernichtung Israels aufriefen.

Netanyahu sagte weiter: "Wir wollen ihn (den Gazastreifen) nicht behalten. Wir wollen eine Sicherheitsgrenze haben. Wir wollen ihn nicht regieren." Konkret sagte er, den Gazastreifen an "arabische Kräfte" übergeben zu wollen.

Nach israelischer Einschätzung befinden sich derzeit noch 50 Geiseln in der Gewalt der Hamas, von denen etwa 20 noch am Leben sein sollen. Medienberichten zufolge hatte die Armeeführung Bedenken gegen den ursprünglichen Plan zur Komplett-Eroberung des Gazastreifens geäußert.

Immer wieder wurde gewarnt, ein solcher Vorstoß könnte die Geiseln gefährden. Auch Angehörige der Entführten hatten sich gegen militärische Befreiungsversuche ausgesprochen und auf eine Einigung zur Beendigung des Kriegs gedrängt. Kritiker werfen Netanyahu vor, den Krieg aus politischen Gründen zu verlängern, um seine Koalitionspartner zufriedenzustellen.

Ausgelöst wurde der Gaza-Krieg durch den Überfall der Hamas und weiterer islamistischer Terrororganisationen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seither sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 61.000 Menschen getötet worden.

Warnung vor Hungersnot und Plünderungen

Die Vereinten Nationen hatten eine weitere Verschärfung der Kämpfe als "zutiefst alarmierend" bezeichnet. Ein solcher Schritt könne "katastrophale Folgen für Millionen Palästinenser" haben, warnte der UN-Diplomat Miroslav Jenca vor wenigen Tagen. Nach UN-Angaben anhand von Satellitenaufnahmen sind im Gazastreifen rund 70 Prozent der Häuser zerstört oder stark beschädigt. In Chan Junis und Teilen von Rafah sollen es 80 bis 90 Prozent sein.

Die UN und internationale Hilfsorganisationen warnen bereits eindringlich vor einer Hungersnot im umkämpften Gazastreifen, in dem rund zwei Millionen Menschen unter katastrophalen Bedingungen leben. Zwar erlaubt Israel wieder die Einfuhr größerer Mengen an Hilfsgütern in das blockierte Gebiet. Viele dieser Lieferungen erreichen jedoch nicht die Bedürftigsten, da sie bereits vor ihrer Verteilung geplündert werden - von Zivilisten und bewaffneten Gruppen.

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