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Netanyahu: Wollen ganz Gaza kontrollieren

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Beratungen über Ausweitung von israelischem Militäreinsatz
©AFP, APA, JACK GUEZ
Israel strebt trotz scharfer Warnungen der UNO die militärische Kontrolle über den gesamten Gazastreifen an. "Wir haben die Absicht dazu", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Donnerstag dem US-Sender Fox News und bestätigte damit erstmals seit Tagen kursierende Spekulationen. Er fügte hinzu, später solle das Küstengebiet an "arabische Kräfte" übergeben werden, die das Gebiet dann "ordnungsgemäß regieren" sollen. Die Hamas bezeichnet die Pläne als "Putsch".

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"Wir wollen es nicht behalten", sagte Netanyahu. "Wir wollen eine Sicherheitsgrenze haben. Wir wollen es nicht regieren. Wir wollen dort nicht regieren", erklärte er.

Die radikal-islamische Hamas drohte im Falle einer Ausweitung der Kämpfe im Gazastreifen und einer vorübergehenden Kontrolle des Gebiets mit Konsequenzen. Die israelische Armee werde dafür einen "hohen Preis" zahlen, hieß es in einer Stellungnahme der Terrororganisation. Details nannte die Hamas nicht. Sie erklärte, der Gazastreifen sei "immun gegen Besatzung und Vormundschaft von außen".

Netanyahus Erklärung zeige, dass er bereit sei, die israelischen Geiseln für seine persönlichen Interessen zu opfern, erklärte die Terrormiliz. Die Äußerung fällt mitten in die laufenden Verhandlungen über eine Waffenruhe.

Noch während der Beratungen über eine Ausweitung des Gaza-Kriegs veröffentlichte die israelische Armee einen Räumungsaufruf für zwei Viertel in der Stadt Gaza. Ein Militärsprecher forderte in arabischer Sprache die Einwohner der Altstadtviertel Daraj und Tuffah dazu auf, sich sofort in Richtung Süden in die humanitäre Zone in Al-Mawasi zu begeben.

Das israelische Militär kontrolliert nach eigenen Angaben derzeit etwa 75 Prozent des Gazastreifens. Der Großteil der rund zwei Millionen Einwohner des Küstengebiets wurde in den vergangenen knapp zwei Jahren mehrfach vertrieben. Helfer hatten zuletzt auf eine Hungersnot in Gaza hingewiesen. Netanyahu steht unter internationalem Druck, einen Waffenstillstand zu erreichen, sieht sich aber auch internen Forderungen aus seiner Koalition ausgesetzt, den Krieg fortzusetzen.

Die arabischen Staaten werden nach Angaben aus jordanischen Regierungskreisen zur Zukunft des Gazastreifens nur Lösungen unterstützen, die von den Palästinensern selbst getragen werden. "Araber werden nur das unterstützen, worauf sich die Palästinenser einigen und was sie beschließen", sagte ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters.

Die UNO sprach indes von einem falschen Schritt. "Wir stehen entschieden gegen jede Eskalation des Konflikts", sagte UN-Sprecher Farhan Haq in New York. Der Krieg sei bereits extrem verheerend und habe mehr als 60.000 Opfer gekostet. "Es droht enormes humanitäres Leid", so Haq weiter. Die Zahl der Todesopfer durch Verhungern könnte weiter steigen.

Die Vereinten Nationen hatten Pläne für eine vollständige Kontrolle schon am Dienstag als "zutiefst alarmierend" bezeichnet. "Das Völkerrecht ist in dieser Hinsicht eindeutig: Der Gazastreifen ist und muss ein integraler Bestandteil des künftigen palästinensischen Staates bleiben", hatte der stellvertretende UNO-Generalsekretär Miroslav Jenca gesagt. Die Einnahme des ganzen Gazastreifens durch Israel könne katastrophale Folgen haben und auch das Leben der verbliebenen israelischen Geiseln dort weiter gefährden.

US-Präsident Donald Trump hatte sich am Dienstag indes nicht zu solchen Überlegungen äußern wollen. "Das wird weitgehend von Israel entschieden", hatte er erklärt. Die USA sind Israels wichtigster Unterstützer. Trump hatte Anfang des Jahres eine Übernahme des Gazastreifens durch die USA vorgeschlagen. Die Idee wurde von vielen arabischen Staaten, den Vereinten Nationen, Palästinensern und Menschenrechtlern abgelehnt.

Netanyahu äußerte sich am Donnerstag vor einem Treffen mit seinem Sicherheitskabinett. Dabei wurden am Abend Pläne erörtert, wie das Militär die Kontrolle über weitere Gaza-Gebiete übernehmen könnte. Die Idee war vor allem von rechtsextremen Ministern in Netanyahus Koalition geäußert worden. Zuletzt hatte es dazu bereits ein Treffen mit dem israelischen Militärchef gegeben, das von Insidern als angespannt beschrieben wurde, da dieser eine Ausweitung des Einsatzes ablehnt.

Das Außenministerium in Wien zeigte sich am Donnerstagabend in einer der APA übermittelten Stellungnahme "tief beunruhigt, dass eine allfällige Ausweitung der israelischen Militäroperation auf ganz Gaza sich negativ auf die Sicherheit und Versorgungslage der palästinensischen Zivilbevölkerung und der israelischen Geiseln auswirken wird". Alle Seiten müssten an den Verhandlungstisch zurückkehren, um einen Waffenstillstand sicherzustellen, einschließlich der Freilassung aller Geiseln und der Verbesserung der humanitären Situation der Zivilbevölkerung in Gaza. "Gaza muss auch in Zukunft palästinensisch bleiben. Es darf keine Vertreibung der dortigen Bevölkerung geben."

Zahlreiche Menschen demonstrierten in Jerusalem und Tel Aviv sowie weiteren israelischen Städten gegen eine Ausweitung der Kämpfe im Gazastreifen. In Jerusalem versammelten sich Demonstranten vor dem Amtssitz von Netanyahu. Sie forderten ein Abkommen zur Freilassung der noch immer festgehaltenen Geiseln.

Netanyahu hat wiederholt gesagt, er wolle den vollständigen Sieg über die radikal-islamische Hamas, die den Krieg mit ihrem Angriff auf Israel im Oktober 2023 von Gaza aus ausgelöst hat. Umfragen zeigen, dass die meisten Israelis sich ein Ende des Krieges durch ein Abkommen wünschen, das die Freilassung der Geiseln vorsieht, die in Gaza noch in der Hand der Hamas sind. Verteidigungsminister Israel Katz hatte am Mittwoch gesagt, das Militär werde die Entscheidungen der Regierung ausführen, bis alle Kriegsziele erreicht seien.

Im Gazastreifen befinden sich nach Angaben Israels noch 50 Geiseln, von denen wohl 20 noch am Leben sind. Die meisten der bisher freigelassenen Geiseln kamen nach diplomatischen Verhandlungen frei. Gespräche über einen Waffenstillstand, bei denen weitere Geiseln hätten freigelassen werden können, waren im Juli gescheitert.

Aus palästinensischen Kreisen hatte es zuletzt geheißen, die Hamas habe arabischen Vermittlern mitgeteilt, dass eine Ausweitung der humanitären Hilfe in Gaza zu einer Wiederaufnahme der Waffenstillstandsverhandlungen führen würde. Israel beschuldigt die Hamas aber, Hilfsgüter an sich zu reißen, um sie an ihre Kämpfer zu verteilen und auf Märkten im Gazastreifen zu verkaufen, um ihren Widerstand zu finanzieren. Die Hamas hat den Gazastreifen fast zwei Jahrzehnte lang regiert und gilt jetzt als stark geschwächt. Seit Beginn des Krieges sind in Gaza nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums etwa 200 Palästinenser verhungert, fast die Hälfte davon Kinder.

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