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Es gebe allerdings ein paar ernst zu nehmende Einwendungen, über die die 27 EU-Staats- und Regierungschefs sprechen müssten, räumte Merz ein. Besonders Belgien, wo der überwiegende Teil der russischen Gelder liegt, verlangt Garantien gegen mögliche Klagen. Während die EU-Regierungen auch den Weg für das 19. Sanktionspaket gegen Russland frei machten, gab es Lob für die neuen US-Sanktionen.
Die von der EU-Kommission und Merz vorgeschlagene Nutzung des russischen Vermögens für einen Kredit über 140 Milliarden Euro für die Ukraine steht im Zentrum der Beratungen in Brüssel. Der Ukraine sollen damit die Militärausgaben der kommenden zwei oder drei Jahre finanziert werden. Am Vormittag nahm der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der als Kritiker des EU-Kurses gilt, nicht an den Beratungen in Brüssel teil.
Belgien knüpft die Zustimmung zu einem 140-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine aus russischem Vermögen an drei Bedingungen. Noch sehe er keine Rechtsgrundlage für eine solche Entscheidung, betonte Ministerpräsident Bart De Wever. Belgien spielt eine Schlüsselrolle, da der Finanzdienstleister Euroclear, der einen Großteil des russischen Geldes verwahrt, dort seinen Sitz hat.
De Wever forderte eine vollständige Vergemeinschaftung des Risikos von Klagen sowie Garantien. Alle EU-Mitglieder müssten ihren Beitrag leisten, falls das Geld zurückgezahlt werden müsse. Zudem müsse jedes Land, das Vermögenswerte mobilisiert habe, im gleichen Tempo voranschreiten. "Wir sind die Einzigen, Euroclear ist das einzige Finanzinstitut, das die unerwarteten Gewinne an die Ukraine weitergibt", sagte De Wever. "Wir wissen, dass es in anderen Ländern, die sich dazu immer ausgeschwiegen haben, riesige Mengen an russischem Geld gibt." Dies gehört allerdings oft nicht der russischen Nationalbank wie bei Euroclear, sondern russischen Oligarchen.
Russland warnte die EU vor einer "direkten Konfiszierung" seines eingefrorenen Vermögens. Jede Maßnahme der EU zur Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte auf Euroclear-Konten werde eine "schmerzhafte Reaktion" Russlands nach sich ziehen, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa. Allerdings haben Merz und die EU-Kommission stets betont, dass es sich nicht um eine Enteignung handle. Vielmehr soll die Ukraine über ein kompliziertes Verfahren einen Milliardenkredit erhalten. Zurückzahlen müsste sie diesen erst, wenn Russland nach einem Kriegsende Reparationen für die Schäden in dem 2022 überfallenen Land zahlt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dringt auf eine möglichst rasche Entscheidung der EU über die Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte. Der vorgeschlagene Mechanismus sei völlig legal und fair, teilte Selenskyj auf der Online-Plattform X mit. Die Ukraine plane, einen wesentlichen Teil der Mittel für den Kauf europäischer Waffen zu verwenden, fügte Selenskyj hinzu.
Abseits der Frage der russischen Gelder einigten sich die EU-Staaten auch auf ein 19. Sanktionspaket gegen Russland wegen des Ukraine-Überfalls. Es enthält unter anderem ein Einfuhrverbot für russisches Flüssigerdgas (LNG). Die Maßnahmen umfassen zudem einen neuen Mechanismus zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit russischer Diplomaten. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte, das Paket richte sich unter anderem gegen russische Banken, Krypto-Börsen sowie Unternehmen in Indien und China. Betroffen sind etwa zwei große chinesische Raffinerien und Chinaoil Hong Kong, eine Handelssparte von PetroChina. Diese verarbeiten importiertes russisches Öl. Gemeinsam mit den G7-Staaten versucht die EU, Russlands Mittel zur Finanzierung seines Krieges in der Ukraine weiter zu schmälern, indem sie die für Moskau lebenswichtigen Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung kürzt.
Auch die US-Regierung hatte nach monatelangem Zögern am Mittwoch überraschend Sanktionen gegen den russischen Öl- und Gassektor verhängt. Selenskyj, der auch am EU-Gipfel teilnahm, begrüßte die neuen Sanktionspakete der EU und der USA. "Die amerikanischen Sanktionen sind auch sehr wichtig, und dies ist ein gutes Signal an andere Länder der Welt, sich den Sanktionen anzuschließen." Auch Bundeskanzler Stocker begrüßte die jüngsten US-Sanktionen gegen die russische Ölindustrie. "Es ist ein Schritt, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen", sagte der Kanzler. Man habe gesehen, dass bisherige Schritte nicht ausgereicht hätten, um einen Sinneswandel bei Russlands Präsident Wladimir Putin für ernsthafte Friedensverhandlungen herbeizuführen.
Stocker verlangte im Zusammenhang mit den neuen Russland-Sanktionen der EU weiter eine "vernünftige und faire Lösung" für die Raiffeisen Bank International (RBI). "Es wäre verwunderlich, wenn wir eine europäische Firma, ein Unternehmen aus Europa, aus Österreich, schlechter stellen als einen russischen Oligarchen im Einflussbereich von Putin", sagte Stocker bei seiner Ankunft in Brüssel. Österreich hat dem 19. Sanktionspaket der EU gegen Russland allerdings trotz dieser Vorbehalte zugestimmt.
Auf der Tagesordnung des Spitzentreffens stehen auch Vorschläge der EU-Kommission für gemeinsame Aufrüstungsprojekte. Die EU-Chefs wollen die "Roadmap für Verteidigung" der EU-Kommission absegnen. Zentrale Punkte sind dabei die Drohnenabwehr mittels der "Europäischen Drohnen-Verteidigungsinitiative". Eine heiße Debatte ist bei den EU-Klimazielen zu erwarten: Die Entscheidung müssen zwar die EU-Umweltminister fällen. Mehrere Länder - darunter Österreich - hatten jedoch gefordert, dass sich davor die EU-Chefs mit dem Thema befassen, da dieses "viele Facetten" habe. Die Klimaabsätze sind Teil eines sehr ausführlichen Kapitels der Schlussfolgerungen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und zum Abbau der Bürokratie.
Bundeskanzler Stocker betonte vor Beginn des EU-Gipfels die Wettbewerbsfähigkeit als Voraussetzung für die Klimaziele. Beim Eintreffen im EU-Ratsgebäude sagte Stocker: "Wir dürfen nicht das eine oder das andere im Auge haben, wir müssen beides sehen." Beim EU-Gipfel werde man sich nicht auf Zahlen festlegen, vielmehr werde man diskutieren, unter welchen Bedingungen man die Klimaziele erreichen wolle.