Ja, richtig gehört! Der gute Mann ist nicht verheiratet. Und dennoch muss Hedda die meiste Zeit auf den heiß ersehnten Anruf warten. Und fühlt sich in der Wartezeit, bis er wieder leibhaftig bei ihr landet, allein, wertlos und verzweifelt. Ralphs Beziehungsstil als Single, mit zwei Frauen im Standby-Modus, ist für ihn hingegen optimal. Dass er jemanden betrügen würde, erscheint dabei von vornherein ausgeschlossen, denn zumindest Hedda weiß über alles Bescheid.
Alles? Nun offenbar doch nicht ganz. Herrschte wirklich Transparenz, folgten Betroffene zwangsweise verordneter Auszeiten nicht dem zunehmenden Drang, solche Grauzonen der Liebe zu klären? Schier unbeantwortbare Fragen nagen am Selbstwertgefühl: Bin ich ihm nicht genug? Liebt er mich nicht?
Um diesen Fragen nachzuspüren, nehmen wir typische Fälle dieses, sagen wir vorsichtig, extravaganten Beziehungsverhaltens genauer unter die Lupe. Da haben wir auch noch Klaus. Und bei ihm ist aus die Maus. Denn Klaus bestimmt, wann und wo die Beziehung zu Maria weitergeht. "Ich lasse mich von niemandem kontrollieren!", poltert er, wenn Maria wissen will, was ihn ohne sie umtreibt. Dann hält er es ihr als Misstrauensantrag vor und geht tagelang, manchmal wochenlang in den emotionalen Rückzug, um sie wieder gefügig zu machen. Ebenso Ralph: Er hat "seine Hauptfrau", mit der es wenig bis keine Liebe -gemeint ist "kein Sexleben" - gebe, und neben ihr gleichsam ergänzend noch Hedda. In beiden Fällen gibt es Beziehungspausen, wenn die Frauen es wieder einmal satthaben, auf willkürlich motivierte Besuche zu warten.
Es ist so, als würden Menschen wie Ralph oder Klaus unterschiedliche Bühnen betreten. Ihre Rolle auf der jeweiligen Bühne spielen und wieder verschwinden. Und nun? Bei der Polyamorie werden mehrere Personen gleichwertig geliebt und zumeist ebenso stark begehrt. Aber das trifft hier gar nicht zu. Denn Hedda spielt die zweite Geige: Ihr Empfinden, wahre Liebesgefühle unterdrücken zu müssen, um Ralph nicht von sich wegzutreiben, führt zu der ungeliebten Doppelrolle der klassischen Geliebten. Das Gefühl, sich mit dem mageren Part im Leben des idealisierten Mannes zufriedengeben zu müssen, um ihn nicht ganz zu verlieren und wenigstens an seinem Leben teilhaben zu dürfen, steht dem Gefühl gegenüber, dass einem irgendetwas fehlt, um die große Liebe, die perfekte Partnerin zu sein. Die Folge davon sind Selbstzweifel. Und eine kindliche Sehnsucht nach dauerhafter Verschmelzung. Eben dieses stete Streben nach Mehr ist so schmerzlich und hält zugleich die Hoffnung am Köcheln. Bis, ja bis es einfach nicht mehr geht: Und die nächste Beziehungspause vielleicht das Ende bedeutet.
Ralph hat eben wieder drei Nächte - ja, wirklich: ganze drei Nächte -seines Lebens mit Hedda in ihrem Haus verbracht und mit Oscarreife die Rolle des Lebenspartners gegeben, um ihr am Ende zu eröffnen, für die nächsten drei Wochen mit seiner Freundin Urlaub zu machen. Ein Vernichtungsschmerz setzt bei ihr ein. Das Schlimmste daran: Viele Menschen melden sich nicht, wenn sie auf der anderen Bühne sind.
Was tun, um sich von der Rolle der ewigen Zweiten zu befreien?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Einmal löse ich mich aus diesem Wechselbad der Gefühle, verlasse die emotionale Achterbahn und warte auf einen Menschen, der sein ganzes Leben mit mir teilt. Oder ich entscheide mich bewusst für die überwiegend nur guten Tage, die eine Teilzeit-, Parallel-oder Außenbeziehung bringen kann.
So wie Hedda und Ralph, deren Verliebtheit bei jedem Treffen und nach jeder Latenzzeit neu entflammt, wenn sie es kaum noch erwarten kann, ihn endlich wiederzusehen. Diese Lebendigkeit der Gefühle hat mithin ihren Preis. Wichtig ist die selbstbestimmte Entscheidung, um sich nicht als Opfer der Liebe, in den Gefühlen ausgebeutet und am Ende emotional missbraucht zu fühlen. Und für manche mag es auch besser sein, drei innige Nächte eng umschlungen und voller heißer Begierde zu erleben, als 365 Tage der Ignoranz in einer Pseudobeziehung.
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