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Schonungslose Doku über Rapper Haftbefehl auf Netflix

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8 min
++ ARCHIVBILD ++ Aykut Anhan alias Haftbefehl zeigt sich in Doku schonungslos offen
©APA, dpa, Annette Riedl
Straßenkriminalität, Ruhm, Drogen, eine schwierige Familiengeschichte, Depression - das sind Zutaten einer Dokumentation über den Deutsch-Rapper Haftbefehl. "Babo - Die Haftbefehl-Story" ist ab Dienstag (28. Oktober) auf Netflix zu sehen. Der Film ist so gar keine bedingungslose Huldigung des 39-jährigen Aykut Anhan, wie Haftbefehl mit bürgerlichem Namen heißt.

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Die Doku spannt einen Bogen vom Offenbacher Hochhausviertel Mainpark, in dem Anhan aufwächst, über seinen kometenhaften Aufstieg als Musiker bis hin zu psychischen Probleme und Drogenkonsum, die fast in den Tod führen - schonungslos, bisweilen verstörend, ähnlich wie seine oft brachialen Songs.

Die erste Einstellung zeigt einen schlichten Sessel vor schwarzem Hintergrund, Anhan, sichtlich gezeichnet, setzt sich, steckt eine Zigarette an. Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortet er: "Mir geht's gut, Brudi. Ich war in Therapie" Und ergänzt: "Ich war schon tot."

Es folgt eine Rückblende auf ein von Brüchen durchzogenes Leben eines Menschen, der als Musiker von vielen verehrt wird, der mit dem Titel "Chabos wissen, wer der Babo ist" das Jugendwort des Jahres 2013 bekannt machte, nämlich "Babo" für Vater oder Chef. Ein Mensch, der zugleich umstritten ist, mit dem Gesetz in Konflikt kam, mit Texten wie "Fick deine Integration, ich lade die Kugel direkt durch dein' Schädel" aus dem Song "069" schockierte.

Die Netflix-Doku nimmt mit nach Frankfurt, Istanbul, zeigt ekstatische Massen auf dem Frauenfeld-Festival in der Schweiz, lässt andere Musikgrößen zu Wort kommen - den inzwischen gestorbenen Rapper Xatar, Moses Pelham, Jan Delay. Sie attestieren Haftbefehl "wahnsinnige Energie", sprechen vom "König", vom größten Künstler, den die Deutschrap-Szene hervorgebracht habe.

Und da sind Bilder vom schockierenden Auftritt 2022 in Mannheim, als sich Anhan kaum auf den Beinen halten kann, vom Aufwachen auf einer Intensivstation nach einem Drogenexzess, auf den kein Umdenken folgt, sondern der Griff zu den nächsten zehn Gramm. Für die Macher des Films war nach Mannheim erst mal nicht klar, wie es weitergeht.

"Es ist kein Geheimnis, die Doku stand mehrere Male vor dem Abbruch", erzählt Juan Moreno. Er entlarvte einst den Geschichten-Fälscher Claas Relotius, nun führte der in Hanau bei Offenbach aufgewachsene Moreno gemeinsam mit Sinan Sevinç ("Split Second") Regie. Rund zwei Jahre begleiteten die beiden Haftbefehl immer wieder mit der Kamera - bis November 2024.

Der Film geht tief ins Private mit Aufnahmen aus Anhans Kindheit mit seinen Eltern und Brüdern. Der Suizid seines Vaters wird thematisiert. Anhans Ehefrau berichtet vom schwierigen Familienleben mit ihm, ist oft den Tränen nahe, sagt: "Den Aykut liebe ich, den Haftbefehl nicht."

"Der Film nimmt einen mit, und er schockt", sagt Produzent Elyas M'Barek ("Fack ju Göhte"). "Es ist wahrscheinlich die schonungsloseste, direkteste Musiker-Doku, die ich kenne." M'Barek hat sie mit Pacco-Luca Nitsche produziert und sagt rückblickend: "Wir wollten ihm ein Denkmal setzen, unsere Liebe zu ihm als Künstler zum Ausdruck bringen, aber trotzdem das Publikum nicht belügen, wirklich alles auf den Tisch packen. Das war auch Aykuts Wunsch."

"Gefühlt haben wir einen sehr modernen Antidrogen-Film gemacht", meint Sevinç. Im Deutsch-Rap habe sich eine Entwicklung breit gemacht, dass Kokain-Konsum cool sei. Wer, wenn nicht Aykut Anhan - "die Lichtgestalt des deutschen Hip-Hops", wie Sevinç ihn nennt - könne einen Film bringen, der Jugendliche darüber nachdenken lasse.

Es brauche eine gehörige Portion Mut, sich so offen und ehrlich vor der Kamera zu zeigen, betont Sevinç. Auch er trennt zwischen dem realen Anhan und der Kunstfigur Haftbefehl, sagt: "Haftbefehl ist gefährlich, vor allem für Aykut selbst. Wenn er in diese Haftbefehl-Welt abtaucht, hat das für ihn keine Grenzen."

In einer Szene in einem Hotelzimmer wirft Anhan das Filmteam hinaus, die Kamera läuft weiter. Er ist zu hören, spricht von Dämonen in seinem Kopf. "Auch das ist Teil von diesem Weg, den wir begleitet haben, dass es immer absurder wurde", erzählt Sevinç. "Diese Szene im Hotelzimmer war für mich der Moment, an dem klar wurde, dass es ohne Hilfe von außen nicht weitergeht."

"Aykut hat den Einschlag in die Hip-Hop-Welt mit seiner Musik so hinbekommen, weil er einfach radikal ehrlich war", sagt Moreno. So ist er in der Doku auch. "Er nennt Ross und Reiter", betont Moreno. "Er sagt: Seit 25 Jahren nehme ich Drogen und deswegen ist mein Gehirn Matsch."

Ausgangspunkt für die Doku waren Drehbücher für eine Serie, die der Rapper vor rund vier Jahren M'Barek schickte. "Er wollte sein Leben fiktional in einer Serie erzählen und ich sollte seinen Vater spielen", erinnert sich M'Barek. "Weil ich seine sehr tragische Familiengeschichte kannte, war mir klar, dass ich diese Rolle nicht übernehmen kann."

Er habe Anhan offen gesagt, dass er die Drehbücher nicht für angemessen halte, sie seiner Geschichte und ihm als Künstler nicht gerecht würden. M'Barek empfahl stattdessen eine Dokumentation. "Er hat sofort beschlossen, dass ich die Doku produzieren soll", sagt M'Barek - und so kam es dann auch.

Gerade in der Entertainmentindustrie werde viel zu selten offen über Themen wie Sucht oder Depression gesprochen, sagt M'Barek. "Was mit Menschen passieren kann, die permanent im Rampenlicht stehen, welche Zerreißproben damit einhergehen - das wird oft ausgeblendet. Der Film zeigt, dass hinter Glanz und Glamour oft große Tragik liegt."

Der Film macht deutlich, dass hinter dem selbstbewussten Rapper ein sensibler Mensch steckt - einer, der zu kämpfen hat, weil sein Vater bei keinem seiner Fußballspiele für eine Jugendmannschaft von Kickers Offenbach war, einer, der überrascht, weil er Musik von Reinhard Mey mag.

Läuft die Doku Gefahr, dass Anhans Verfehlungen entschuldigt werden mit einer schwierigen Jugend und mit seiner Sucht? Auch die beiden Regisseure haben sich darüber Gedanken gemacht. Moreno sagt dazu: "Der Erste, der diese Entschuldigung nicht akzeptiert, ist Aykut selbst."

(Von Christian Schultz/dpa)

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