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Die neun Erzählungen im neuen Band machen da keine Ausnahme. So ist die Ich-Erzählerin in der titelgebenden Geschichte eine klassische Verführerin. Sie spielt mit zwei Männern, von denen der eine auf ihren Hintern fixiert ist, während der andere vom fleißig gebärenden Heimchen am Herd träumt. Und damit will sich die Gute über ihre Misserfolge als Schauspielerin hinwegtrösten? Als Leserin wird man nicht recht warm mit so einer Heldin. Nicht zu reden von den Helden.
So einfach und reduziert Peter Stamms Storys inhaltlich sind, so kompliziert sind sie oft gebaut. Indem er etwa die schauspielernde Heldin zuhause eine Rolle einstudieren und gleichzeitig mit ihrem Freund darüber sprechen lässt, verwirrt er die Lesenden am Anfang der Geschichte. Erst allmählich wird klar, dass Ich-Erzählerin und Rolle nicht ein und dieselbe sind. Doch da ist man im Text schon so orientierungslos wie die Protagonistin in ihrem Leben. Ein gelungener Effekt? Handwerklich schon, nur fühlt man sich etwas an der Nase herumgeführt.
Verführerischer sind die Auslassungen, ein Markenzeichen des 62-jährigen Autors. Was seine Figuren zu ihren oft irrationalen Handlungen treibt, was zwischen ihnen passiert, erzählt er nicht. Man spürt beim Lesen, dass da etwas ist, doch es bleibt unausgesprochen, in der Schwebe.
In latenter Erwartung schwebt man so von Geschichte zu Geschichte, mal am Bodensee, mal in der Gegend von Murmansk, und stolpert nur hin und wieder über einen Satz wie diesen: "(...) ich war mir nie sicher, ob das, was wir schrieben, aus der Tiefe unserer Wünsche und Fantasien emporstieg oder ob es im Moment entstand, eine Spontanzeugung in diesem leeren Raum, in dem alles möglich war und nichts von Belang." Fast möchte man meinen, Peter Stamm schreibe hier über sein eigenes Tun. Doch nein, es geht um einen nächtlichen Chat von Handy zu Handy.
(Von Tina Uhlmann/Keystone-SDA)
(S E R V I C E - Peter Stamm: "Auf ganz dünnem Eis". Erzählungen. S. Fischer, 192 Seiten. 24,70 Euro)