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Schon am Flughafen von Teheran mustert der Beamte die mitgebrachten englischen Bücher mit Verachtung. Es ist das Jahr 1979, und die Literaturprofessorin Azar und ihr Ehemann sind nach Jahren im Exil in ihrer Heimat gelandet, wo Azar eine Stelle als Professorin für englische Literatur antreten soll. Doch schon bald stehen die besprochenen Werke auf der schwarzen Liste, wie alle Frauen darf sich Azar nur mehr mit Schleier in der Öffentlichkeit zeigen, und eine ihrer Studentinnen, die bei einer Demonstration verhaftet worden ist, wird hingerichtet. Fassungslos zieht sie sich ins Privatleben zurück, bekommt Kinder und verzweifelt zunehmend. Auf Anraten eines Freundes lädt sie heimlich ehemalige Studentinnen in ihre Wohnung ein, um westliche Klassiker wie Nabokovs "Lolita" oder "Daisy Miller" von Henry James zu besprechen.
Es habe bereits früher Angebote gegeben, den Stoff zu verfilmen, das erste Drehbuch sei ihr jedoch zu kommerziell gewesen, erzählt die heute 76-jährige Autorin im APA-Interview. Riklis, dessen Film "Lemon Tree" Nafisi aufgrund der Einfühlsamkeit in das Innenleben einer palästinensischen Frau beeindruckt hat, sei schließlich der richtige Mensch gewesen, das Buch filmisch umzusetzen. Gedreht wurde vornehmlich in Rom, wo die Ausstatter detailgetreu Straßenzüge inklusive geschlossener Cafés und Buchhandlungen aus Teheran nachgebaut haben.
Die Kamera von Hélène Louvart folgt nicht nur langen, verzweifelten Diskussionen zwischen Azar und ihrem Ehemann, sondern blickt auch in überfüllte Gefängniszellen, wo zitternde Studentinnen nach ihrer Verhaftung misshandelt werden. Den größten Raum gibt Riklis aber jenen Geheimtreffen, bei denen die Frauen ihre Schleier ablegen und jene Bücher diskutieren, die außerhalb dieser Wände verboten sind. Dabei werden die einzelnen Schicksale der Frauen ebenso beleuchtet wie der schleichende Entschluss der Protagonistin, den Iran Ende der 1990er Jahre schweren Herzens doch zu verlassen, um ihrer Profession in Freiheit nachzugehen.
Der Film lebt aber nicht nur von den starken Bildern, sondern auch den hervorragend gecasteten Protagonistinnen. Allen voran Golshifteh Farahani in der Rolle der Literaturprofessorin Azar Nafisi. Die in Frankreich lebende 42-Jährige kennen Kinofans aus internationalen Produktionen wie "Tyler Rake: Extraction" oder "Fluch der Karibik 5". In Mimik wie Gestik wird sie von der hoffnungsfrohen, selbstbewussten Englischprofessorin zur verzweifelten Eingesperrten in den eigenen vier Wänden, der die Anspannung, entdeckt und verhaftet zu werden, stets anzusehen ist.
Gedreht wurde auf Farsi. Ihre Muttersprache habe sie seit ihrer Ausreise nicht mehr gesprochen, erzählte die Schauspielerin in einem "Making of" unter Tränen. Es habe ihr jedoch geholfen, all den Schmerz neu zu erleben. Und der überträgt sich in den 129 Minuten in jeder Einstellung in den Kinosaal. Ein beeindruckendes Stück Zeitgeschichte, das anhand von Literatur den Widerstand übt.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - www.filmladen.at/film/lolita-lesen-in-teheran)
TEL AVIV - ISRAEL: FOTO: APA/APA/Filmladen/Marie Gioanni/Marie Gioanni






