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Mit der Entscheidung, ein Werk von Jean Sibelius (1865-1957) ins Programm zu nehmen, hat Lilli Paasikivi im ersten Jahr ihrer Intendanz in Bregenz Erwartungen erfüllt. Im Zuge ihrer Karriere als Mezzosopranistin hatte sie die Solopartie in der Chor-Orchester-Sinfonie "Kullervo" selbst gesungen. Unter anderem mit Jukka-Pekka Saraste als Dirigent, der nun auch am Pult der Wiener Symphoniker stand. Nicht nur, dass sie, wie sie selbst betonte, "dramatische Musik liebt und etwas Typisches" mitbringen wollte, dürfte ausschlaggebend für die Wahl gewesen sein. Inhaltlich bietet "Kullervo" eine Ergänzung zur Oper "Œdipe" von George Enescu, jener Produktion, mit der die Festspiele heuer eröffnet wurden und die am 28. Juli zum letzten Mal auf dem Programm steht. Während Ödipus seine leibliche Mutter heiratet, verführt der tragische Held Kullervo im 31. bis 36. Gesang des Kalevala-Epos ebenso unwissentlich seine eigene Schwester.
Aufführungen von "Kullervo" in den vergangenen Jahrzehnten haben bestätigt, dass Jean Sibelius wohl zu sensibel reagierte, als er Darbietungen seiner im Alter von 27 Jahren fertiggestellten Komposition untersagte nachdem nach der bejubelten Uraufführung im Jahr 1892 kritische Stimmen laut wurden. Nichts ist zu unstrukturiert oder dissonant und überladen schon gar nicht. Schon die ersten beiden instrumentalen Sätze sind voller Spannung, obwohl man sich von den Wiener Symphonikern gleich mehr Luzidität gewünscht hätte, die Jukka-Pekka Saraste sichtlich fordert.
Marjukka Tepponens Sopran besticht mit wunderbarer Höhe und derartiger Klarheit, dass man die enorm große Stimme, mit der man diese Partie oft besetzt, nicht vermisst. Der Bariton Ville Rusanen überzeugt mit dramatischem Impetus. Das Dirigat von Jukka-Pekka Saraste zeichnet sich durch eine kluge Aufführungsdramaturgie aus, die Naturstimmungen und vor allem Steigerungen mitreißend vermittelt und die etwas eintönig verfasste Partie für den großen Männerchor - zusammengesetzt aus dem Ylioppilaskunnan Laulajat (sprich: YL Male Choir) aus Finnland, dem Prager Philharmonischen Chor und dem Bregenzer Festspielchor - entsprechend kraftvoll und wunderbar farbig erleben lässt. Die vor allem auf den Klang hin gearbeitete Komposition "Drifts für Orchester" des Finnen Sebastian Fagerlund aus dem Jahr 2017 war als Intro zudem bestens gewählt.
Unter der Leitung von Elim Chan und Werken von Debussy, Ravel und Mel Bonis hatte der traditionell dreiteilige Konzertauftritt der Wiener Symphoniker in Bregenz vor einer Woche begonnen. Nach dem finnischen Programm bietet das Orchester, das vor allem für die Produktion auf dem See und die Oper im Haus engagiert ist, noch Werke von Rachmaninow und Richard Strauss. Dirigent ist dabei Petr Popelka.
(Von Christa Dietrich/APA)
(S E R V I C E - Zweites Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker; Leitung: Jukka-Pekka Saraste; Sopran: Marjukka Tepponen; Bariton: Ville Rusanen; Chöre: YL Male Choir, Prager Philharmonischer Chor, Bregenzer Festspielchor; Werke: "Drifts" von Sebastian Fagerlund, "Kullervo" von Jean Sibelius. Konzertmitschnitt am 5. August auf Ö1. Drittes Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker unter der Leitung von Petr Popelka am 4. August. Werke: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 in d-Moll von Sergej Rachmaninow; "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauss: www.bregenzerfestspiele.com)