Das letzte Mal, als Kevin Costner gegen alle Widrigkeiten einen Western drehte, holte er sieben Oscars. Für sein neues Werk "Horizon" setzt er sein Privatvermögen aufs Spiel. Warum dies die beste Lehre für seine sieben Kinder ist, erklärt er im Gespräch mit News.
Im Alter von 69 Jahren stellt sich Kevin Costner dem größten Wagnis seines Lebens. Für eine Saga aus vier Filmen, die niemand in Hollywood finanzieren wollte, riskiert er sein Privatvermögen. Er spricht von 50 Millionen Dollar, die er in "Horizon" investiert hat. Bis der letzte der vier Filme seiner Western-Saga abgedreht ist, könnten es 100 Millionen Dollar werden. Die Dreharbeiten zu Teil 3 laufen. Auf das Grundstück in Santa Barbara, Kalifornien, wo er das Haus für seinen Ruhestand bauen wollte, hat er eine Hypothek aufgenommen. Der frisch geschiedene siebenfache Vater schrieb das Drehbuch zu "Horizon" und übernahm die Regie. Tatsächlich bezahle er sich selbst dafür, zur Arbeit zu gehen, beschreibt er die Lage. So läuft es, wenn sich Costner in einen Filmstoff verliebt, an den niemand glaubt.
Steckbrief
Kevin Costner
Kevin Costner wurde 1955 in Kalifornien als Sohn eines Elektrikers und einer Sozialarbeiterin mit deutsch-irischen Vorfahren geboren. Er schaffte in „Die Unbestechlichen“ (1987) den Durchbruch als Schauspieler. 1990 errang seine erste Regiearbeit „Der mit dem Wolf tanzt“ sieben Oscars. Weiter Erfolge waren „Bodyguard“ (1992), „JFK“ (1991), „Waterworld“ (1995) oder ab 2018 die Serie „Yellowstone“. Als Musiker tritt Kevin Costner mit der Band Modern West auf. Er ist geschieden und Vater von sieben Kindern.
Gute Vorzeichen – und jetzt?
Vor 35 Jahren war "Der mit dem Wolf tanzt" so eine Geschichte. Weil er mit drei namhaften Regisseuren nicht überein kam, gab Costner damals sein Regiedebüt. Er wurde mit sieben Oscars belohnt und schlug Francis Ford Coppola und Martin Scorsese im Rennen um den Oscar für Beste Regie. Dem Western-Genre verhalf er dank seiner völlig neuen Erzählart zur Wiedergeburt. Ob mit seinem neuen Western-Wagnis abermals eine Weichenstellung gelingt, mag niemand vorherzusagen.
Die Vorzeichen schienen dank eines grassierenden Western-Folkore-Booms gut. Country-Musik verzeichnete im Vorjahr auf Spotify einen Anstieg um 23 Prozent. In den US-Charts fanden sich 2023 so viele Country-Hits wie zuletzt 1958. Seit US-Superstar Beyoncé im März überraschend das Country-Album "Cowboy Carter" veröffentlicht hat, zählen Cowboystiefel zu unverzichtbaren Insignien aller Instagram-Fashionistas.
Mut, es anders zu machen
Mut, es anders zu machen Der erste Teil von Kevin Costners "Horizon", der ab sofort in Österreichs Kinos startet, enttäuschte dennoch am Startwochenende in den USA (11 Mio. Dollar Einspielergebnis) und soll nun am Streamingmarkt Land gewinnen, bevor der zweite Teil bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere feiert.
Kevin Costners Erzählart widerspricht allen Vorgaben aktueller Kino-Blockbuster. Sein Werk, das weiße Siedler am Vorabend des Sezessionkriegs* am Weg Richtung Westen begleitet, ist ein Film zum "Sich-Hineinfallen-Lassen", beschreibt er bei der Premiere in Berlin. Den Protagonisten und ihren Motiven gibt er viel Raum zur Entfaltung. Dem Publikum eröffnet er den Wilden Westen aus vielen Blickwinkeln: Glücksritter und Familien, Sexarbeiterinnen und Kavalleristen, Native Americans und Outlaws. In Costners Erzählung wiegen ihre Geschichten gleich schwer. Vor allem seine facettenreichen weiblichen Charaktere fallen auf im Western-Genre. In Berlin nahm sich Kevin Costner Zeit für ein Gespräch mit News, um seinen Antrieb zu erklären.
*Sezessionskrieg/Amerikanischer Bürgerkrieg (1861–1865): begann nach der Wahl von Sklavereigegner Abraham Lincoln zum Präsidenten und dem Südstaaten-Austritt aus der Union zwischen der Konföderation der Südstaaten und den nördlichen Unionsstaaten und endete mit der Kapitulation der Konföderierten.
Viel Raum für starke Frauenfiguren ist ungewöhnlich im Western-Genre. Ist er aktuellen Debatten geschuldet oder woher kam die Entscheidung?
Frauen haben sich für mich während der Arbeit am Drehbuch zur tragenden Säule der Erzählung entwickelt. Im Western-Genre bleiben sie meistens Beiwerk. Für mich funktioniert das nicht, Frauen waren ein Teil dieser gewaltigen Migration in den Westen und hatten laute Stimmen und starke Meinungen. Ein Western braucht Weiblichkeit in all ihren Facetten: die Verletzlichkeit, die Klugheit, die Furchtlosigkeit, die Zähigkeit. Frauen haben sich zu Tode gearbeitet und sind für das Wohl ihrer Familien gestorben.
Haben Sie trotz Ihrer reichhaltigen Erfahrung im Genre etwas Neues gelernt? Ein anderer Blick auf die Herausforderungen dieser Ära?
Man lernt immer dazu. Wenn man sich auf das Verhalten der Menschen konzentriert, stellt man fest, dass sich die Native Americans nicht anders verhalten haben, als die Leute, die ins Land gekommen sind. Was beide getrennt hat, war die Sprache. Das hat zu großer Verwirrung geführt. Die Einwanderer hatten keine Ahnung, dass sie Menschen verdrängen, die schon seit Tausenden von Jahren dort leben. So wurden sie zu natürlichen Feinden und ihr Kampf dauerte Jahrhunderte. Wir haben 300 Jahre lang gekämpft, dann wurden wir das am stärksten industrialisierte Land der Welt. Wie zum Teufel ist das passiert?
„Wir haben uns 300 Jahre lang wie eine Abrissbirne in diesem Land verhalten.“ So haben Sie diesen Teil der US-Geschichte in einem TV-Interview beschrieben. Welchen Umgang damit wünschen Sie sich?
Habe ich das gesagt? Nun, ich würde es wieder so sagen. Die erste Szene in der Serie „Yellowstone“ ist ein Ameisenhaufen. Es geht ihnen gut, diesen Ameisen. Sie sind fleißig. Und dann rammt jemand einen Pfahl in diesen Haufen und alle Ameisen strömen heraus. Das ist die perfekte Metapher für das, was wir getan haben. Chicago war das Land der indigenen Bevölkerung, auch New York City und Tennessee, St. Louis, Los Angeles, ... bis ein Pfahl in diese Gebiete geschlagen wurde, dann hat die Schlacht begonnen, aber für die indigene Bevölkerung war es ein verlorener Kampf.
Gibt es gegenwärtig etwas, das Sie zugunsten der indigenen Bevölkerung verändert sehen möchten?
Zu allererst halte ich dieses Wissen für wichtig. Darüber, wie sehr wir ihnen geschadet haben. So sehr, dass viele Stämme ausgestorben sind, andere versuchen, ihre Existenz durch Glücksspiel zu sichern, aber man hat ihnen schreckliches Land gegeben, das niemand wollte.
Ihr Film begleitet Menschen, die für ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft weite Strecken zurücklegen und kämpfen. In vielen Teilen der Welt geschieht dies aktuell. Birgt Ihre Erzählung eine Erkenntnis für die Gegenwart?
Es gibt genug Platz für alle. Wenn Sie über die Vereinigten Staaten fliegen, sehen Sie so viele freie Flächen. Aber dort lebt niemand. Warum mussten wir alles haben? Warum mussten wir es Menschen wegnehmen, die ihre Flüsse und Berge liebten, während wir diese Natur nicht annähernd so schätzen? Sich diese Frage zu stellen, birgt eine große Erkenntnis.
Und um ihre Frage auf der größeren Ebene zu beantworten: Ich denke Russland hat in der Ukraine nichts verloren. Sie werden dieses Land niemals kontrollieren. Sie mögen es besetzen, aber sie werden niemals das Herz und die Seele der Ukrainer kontrollieren. Wir sollten ihnen zur Seite stehen. Ähnliches haben wir in Afghanistan gesehen: Wir waren dort, Russland war dort. Was haben wir dort verloren? Wir müssen uns weiterentwickeln. Männer haben als Staatsoberhäupter ganz schlechte Arbeit geleistet.
DER FILM "HORIZON"
Der erste Teil der vierteiligen Western-Saga begleitet weiße Siedler im Jahr 1861 auf ihrer Suche nach einer neuen Heimat im Westen Amerikas. Vor dem Hintergrund des sich anbahnenden Bürgerkriegs besetzen weiße Pioniere die Gebiete der Apachen, die sich brutal zur Wehr setzen. Die Landnahme, u. a. durch Errichtung der Horizon-Siedlung, bringt Chaos in die Welt der indigenen Bevölkerung. Anhand verschiedener Protagonisten zeichnet Costner eine Chronik, befeuert von den divergierenden Interessen der Siedler (Sienna Miller, Hayes Costner u. a.), Armeeangehörigen (Sam Worthington), Cowboys (Kevin Costner), Glücksritter, Prostituierten und Native Americans. Eine behutsame, ungeschönte und in opulente Bilder gegossene Erzählung, die ihre Protagonisten mit Empathie ausleuchtet. "Horizon: An American Saga – Teil 1" ab 22. 8. im Kino. Teil 2 ab 7. 11. im Kino.
Glauben Sie, dass Menschen aus der Geschichte lernen?
Wir Menschen sind fähig zu lernen. Starke Männer sind für mich diejenigen, die sich für andere einsetzen. Stark ist, denen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können. Das sind für mich gebildete, reife Menschen, die fehlen uns in den Regierungen. Ein Regierungsamt bedeutet, einen Dienst an der Allgemeinheit zu leisten. Die Aufgabe der Regierenden ist es, Sie und ihre Familie zu schützen. Aber wenn es Politikern nur darum geht, wiedergewählt zu werden, machen sie aus ihrer Aufgabe im Dienst der Bürger eine persönliche Angelegenheit. Wir möchten sichere Straßen, sauberes Wasser, Grenzen, die respektiert werden, Gleichberechtigung und Respekt für Frauen. Darum geht es: einfache Regeln, um dieses Leben für alle zu einem guten zu machen. Wer Regierungsverantwortung übernimmt, hat sich diesen Job ausgesucht und sollte sich verdammt bemühen, ihn für die Bevölkerung gut zu erfüllen statt seine persönlichen Ziele wie eine Wiederwahl für wichtig zu halten.
Sie unterstützen offiziell keinen der Kandidaten der US-Präsidentschaftswahl. Gibt es etwas, das Sie sich von der Wahl erhoffen?
Ich hoffe, dass mehr Menschen wählen gehen. Denn, wenn mehr Menschen wählen, ist der Druck, ihnen zuhören zu müssen, größer. Dann merken Politiker, dass es mehr Menschen gibt, deren Anliegen sie zu erfüllen haben. Sie müssen bessere Ideen haben und sich verändern. Aber wir haben in den USA 90 Millionen Menschen, die nicht wählen gehen. Sagen wir, jemand gewinnt die Wahl mit einem Vorsprung von einer Million Stimmen: Wie würde diese Wahl aussehen, wenn fünf Millionen Menschen mehr gewählt hätten? Ich werde definitiv meine Stimme abgeben.
Sie riskieren für „Horizon“ beinahe Ihr ganzes Vermögen. Wie viel Nerven kostet Sie diese Entscheidung?
Natürlich wäre es mir lieber gewesen, finanzielle Unterstützung zu bekommen. Aber ich träume schon viele Jahre von diesem Projekt und konnte nicht warten. Ich habe beschlossen, viel zu riskieren und ich bin glücklich. Würde mir morgen etwas zustoßen, wäre es okay, weil ich meinen Kindern gezeigt habe, wie ich mein Leben lebe.
Ich bin kein perfekter Mensch, aber ich habe ihnen gezeigt, wie wichtig es ist, an sich selbst zu glauben und für seine Träume zu kämpfen. Das war mir wichtiger, als an Besitz festzuhalten. Es gibt eine wirtschaftliche Basis, die mir und meinen Kinder bleiben wird. Auf manches von meinem schillernden Besitz werde ich vielleicht verzichten müssen. Aber Besitz kann nicht so wichtig sein, dass ich meinen Traum dafür aufgebe.
IN BESTER GESELLSCHAFT
Filmemacher, die Privatvermögen riskierten:
- George Lucas finanzierte "Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung" (1999) größtenteils selbst.
- Mel Gibson steckte 30 Millionen Dollar seines Vermögens in "Die Passion Christi" (2004).
- Francis Ford Coppola verkaufte für "Apocalypse Now" (1979) sein Haus.
- Charlie Chaplin drehte "Der große Diktator" (1940) auf eigene Kosten.
Woher kommt diese Entschlossenheit?
Was hat Sie dahingehend geprägt? Ich glaube an Filme. Ich glaube daran, dass guter Filmstoff die Kraft hat, Jahrzehnte zu überdauern und, dass das Publikum auch in 50 Jahren gerne zu ihm zurückkehrt. Diese Filme gehören mir und deshalb werde ich dauerhaft an ihnen verdienen. Dieser Ertrag und dieser Blick auf das Leben ist mein Vermächtnis an meine Kinder. Allen, die meinen, ich hätte das nicht tun sollen, kann ich nur sagen: Meine Kinder werden begreifen, dass ich den Weg gegangen bin, dem ich mich verschrieben habe. Sie werden auch verstehen, dass ich einen großartigen Film gemacht habe und dass man sich dafür von der Meinung der Masse abheben muss.
Sie wurden dieses Jahr mit einem Lifetime Achievement Award geehrt und feiern Anfang 2025 einen runden Geburtstag, Ihren 70. Wie betrachten Sie diese Zäsuren und Alter generell?
Ich fühle mich genauso wie als junger Mensch. Ich gehe Dinge mit Begeisterung an. Ich habe ein gewisses Maß an Weisheit, das auf einem Leben beruht, in dem ich Risiken eingegangen bin. Ich habe meine "Yellow Brick Road"* gefunden. Ich habe das Leben gelebt, für das ich bestimmt war, und habe vor, es so fortzuführen. Ja, ich schätze ich werde bald 70 sein. Ich fühle mich nicht so, aber vielleicht sehe ich so aus? Es ist egal. Ich fühle mich bereit. Bereit zu arbeiten. Bereit zu lieben. Bereit für eine Zeit ohne Arbeit, sobald ich dieses Projekt abgeschlossen habe. Ich kann sagen: Ich habe es geschafft, und das habe ich nicht nur für mich getan, sondern weil ich an die Magie des Kinos glaube und dem Publikum eine andere Art von Erlebnis schenken will. Ich weiß, dass das große Geld die Marvel-Filme bringen, aber mein kindlicher Glaube bleibt, dass es auch Platz für meine Art von Filmen gibt.
*Yellow Brick Road: meint einen Weg, den eine Person in dem Glauben einschlägt, dass er zu guten Dingen führt. Der Begriff bezieht sich auf die gelbe Backsteinstraße, die im Musical "Der Zauberer von Oz" in die Smaragdstadt führ. Elton John benannte ein Lied und ein Album danach.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 34/2024 erschienen.