News Logo
ABO

In Graz tankt man Jodler

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
8 min
In Graz tankt man Jodler anstatt Super
©Steirisches Volksliedwerk, APA
Alle zwei Wochen findet in Graz die Jodel-Tankstelle statt. Die ist laut dem Veranstalter, dem Steirischen Volksliedwerk, "garantiert nachhaltig, abgasfrei, preisstabil und Glückseligkeit erweckend. Als Treibstoff für Herz und Seele werden Jodler getankt". Beim "ambulanten Jodeltraining" - die Einheiten sind in sich abgeschlossen - können Neueinsteiger Jodeln selbst fühlen und Fortgeschrittene ihre Jodel-Überschläge perfektionieren.

von

"Willkommen in eurem Körper", begrüßt Olivia Koland am Montag die zwölf um sie versammelten Menschen, darunter auch die APA. Wir stehen im Kreis - barfuß oder in bequemen Schuhen - und lockern unseren Körper von den Zehen bis zu den Ohrenspitzen auf. Teilweise sind die Augen dabei geschlossen, der Fokus ganz auf dem eigenen Dasein - bis er wieder zu der Kursleiterin wandert. Olivia führt die Gruppe durch die erste Jodel-Tankstelle nach der Sommerpause.

Das Abschütteln des Alltagsstresses und der Anstrengung sei laut Olivia wie das Ölen und Putzen eines Instruments. Beim Jodeln sei dieses Instrument die Stimme. Die Besonderheit der Gesangstechnik sei der Überschlag von der Bruststimme, "der Hexe", in die Kopfstimme, "den Geist", so Olivia. Die Hexe sei tief und vibrierend und der Geist hoch und leicht. Besonders beeindruckend kommen die Klänge des Jodelns in Räumen mit einer guten Akustik zur Geltung. So beispielsweise beim Jodeln in der Tiefgarage, das am 24. September beim Innenstadtkaufhaus Kastner & Öhler stattfinden wird. Bereits zum dritten Mal bittet das Volksliederwerk zum "urbanen räumlich-klanglichen Erlebnis in die 'schönste Tiefgarage' von Graz". Es handelt sich um einen Jodel-Schnupperkurs, der allerdings bereits ausgebucht ist.

"Jodeln ist mehr als ein altes Brauchtum", betont Olivia, "etwas Einfaches berührt ganz tief." Wer jodelt, mischt Rufen, Singen und Sprechen - und braucht ein wenig Mut, um die eigene Stimme so ungebremst hinauszulassen. Doch genau das sei für viele Menschen ein großes Bedürfnis. Sie empfinden es als Befreiung. Das Vibrieren der eigenen Stimme und das tiefe Atmen beruhige zusätzlich. "Beim Jodeln tankt man Lebenskraft und -freude", sagt Olivia. Wer es einmal ausprobiert, komme immer wieder. Sie selbst jodelt seit rund 15 Jahren, seit etwa zehn Jahren gibt sie ihr Wissen und Können weiter.

Die Jodel-Tankstelle ist vor knapp über zehn Jahren von Herbert Krienzers im Harmonikazentrum in der Grazer Griesgasse ins Leben gerufen worden. Der frühere Mitarbeiter des Volksliedwerkes ist 2020 verstorben, doch seine Idee lebt - und klingt - weiter. "Er hat Menschen spielerisch in die Welt des Jodelns eingeführt", erzählte Olivia. Mittlerweile findet die Tankstelle jeden zweiten Montag (alle geraden Kalenderwochen, ausgenommen Sommer-, Weihnachtsferien und Feiertage) in den Räumlichkeiten des Steirischen Volksbildungswerkes in der Herdergasse statt. Die Kurse werden abwechselnd von Olivia, Nikola Laube oder Michael Weissensteiner geleitet.

In jeder Einheit werden ein oder zwei Jodler gelernt. Beim Besuch der APA stimmt Olivia den Didl-Jodler an: "Hey, didl loda do". Mit Handzeichen verdeutlicht sie, wann Silben auf i, o, u oder e enden - und durch Schritte nach vorne oder zurück die Tonhöhe. Das "Hey" muss mit viel Energie angesungen werden. Es ist quasi die Frage, ob jemand mit einem jodeln möchte. Als Antwort steigt die zweite Stimme ein. Olivia meint, man solle auf der Alm einfach mal anfangen zu jodeln, auch wenn man keinen Text kennt, irgendwer lasse sich bestimmt mitreißen. "Aufgeschrieben wurden die Gesänge sowieso nur so, wie sich das mal wer dahergejodelt hat", sagt sie. Die Stücke lerne man am besten durch vor- und nachsingen.

Josi aus Fürstenfeld kennt Olivias Lernmethoden bereits gut. Alle zwei Wochen steigt er in den Bus nach Graz, seit zwei Jahren schon. "Irgendwo in mir drinnen habe ich etwas Ursprüngliches, darum tut mir das Jodeln einfach gut", erzählt er mit Verweis auf seine aus der Obersteiermark stammenden Eltern. Tatsächlich sei das Jodeln vor allem in dieser Region populär, so das Österreichische Musiklexikon online, ein digitales Lexikon des Verlags der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Grundsätzlich zählt die Steiermark als Bundesland mit den meisten Chören (laut Kulturstatistik 2023 der Statistik Austria 579 Chöre im Jahr 2024), zu den musikalischen Regionen Österreichs.

Die Gruppe, die sich beim Besuch der APA zum Jodeln versammelt, ist bunt gemischt, sowohl was das Alter als auch das musikalische Können betrifft. Drei Männer und acht Frauen füllen mit ihren Stimmen den Raum, wechselten zwischen tiefen und hohen Silben. Es muss nicht perfekt klingen. "Ich möchte die Menschen in die Freude führen. Sie sollen sich erleben können", erzählt Olivia.

Für Anne ist es faszinierend, dass das Jodeln "alle möglichen Leute anzieht". Sie und ihre Tochter Solveig besuchen das erste Mal die Jodel-Tankstelle. Die beiden kommen aus dem oststeirischen Stubenberg am See. Sie hatten am Anfang des Jahres am "Ausnüchterungsjodeln" teilgenommen und infizierten sich dabei mit dem Jodel-Fieber. Mittlerweile hat Solveig in München, wo sie studiert, eine Gruppe gefunden, mit der sie einmal im Monat jodelt.

"Es klingt ganz unterschiedlich, je nachdem in welchem Tal man jodelt", erzählt Anne. Tatsächlich reicht die Tradition weit über die Alpen hinaus. Auch die San und die Pygmäen, afrikanische Völker, und die Melanesier, Bewohner pazifischer Inselgruppen, nutzen "jodelähnliche Techniken", so das Österreichische Musiklexikon. Einflüsse seien auch in die amerikanische Country Music übergeschwappt.

Laut dem Lexikon gäbe es verschiedene Theorien zur Entwicklung des Jodelns: Einerseits könnte der Ursprung im Nachahmen von Instrumenten liegen, andererseits könnte das Jodeln aus Zurufen über weite Distanzen entstanden sein. Der Begriff sei vermutlich eine Kontamination aus dem mittelalterlichen Wort "jolen", "das 'laut und unartikuliert schreien' heißt", und dem seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlichen Begriff "dudeln". Letzterer bezeichne "instrumentales Musizieren".

Zurück in Graz bei der Jodelgruppe im Volksbildungswerk: Als die Jodelnden auseinandergehen, klingt die Kraft, die im Brustkorb zu spüren ist, noch nach. Sie gehen leichter, ein bisschen freier - und aufgetankt.

(Von Yara Höfer/APA)

(S E R V I C E - www.steirisches-volksliedwerk.at/kurse_seminare.php?work_id=12)

GRAZ - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Steirisches Volksliedwerk

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER