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Engelmann, in Berlin lebende 33-jährige deutsche Sängerin, Schauspielerin und Lyrikautorin, hatte 2013 als Psychologiestudentin bei einem Poetry Slam in Bielefeld einen Auftritt, der anschließend zu einem millionenfach angeklickten Youtube-Hit wurde. "Und ich denke zu viel nach. Ich warte zu viel ab. / Ich nehm' mir zu viel vor und ich mach' davon zu wenig. / Ich halt' mich zu oft zurück, ich zweifel alles an, / ich wäre gerne klug - allein das ist ziemlich dämlich", hieß es in ihrem Spoken Word Gedicht "One day". "Ich würd' gern so vieles tun. / Meine Liste ist so lang, aber ich werd' eh nie alles schaffen - also fang' ich gar nicht an." Zwölf Jahre später wirkt ihr Romandebüt ein wenig wie die extended version davon.
Charlotte, die alle nur Charlie nennen, sitzt bei der Schulpsychologin. Im Unterricht ist sie unaufmerksam und fällt durch plötzliche Weinkrämpfe auf. "Du bist eigentlich eine gute Schülerin", sagt Frau Knubben, "aber dieses Jahr scheint irgendetwas, nun ja, anders zu sein und die Kollegen, also, die machen sich Gedanken, ob du gut bis zum Abitur kommst." Damit beginnt das Buch, das so ziemlich alles durchdekliniert, was einem jungen Menschen Probleme bereiten kann: Trennung der Eltern, neuer Freund der Mutter, die obendrein bald ein weiteres Kind vom "Neuen" erwartet, das Gefühl des nicht verstanden und allein gelassen Werdens, der Desorientiertheit, der inneren Leere ... Nur Klimawandel und Kriegsangst spielen in den neuen Leiden der jungen C. überraschenderweise keine Rolle.
Gerade weil Engelmann kaum eine potenzielle Problemzone auslässt, braucht es einige Zeit, bis ihr Buch Wirkung entfalten kann. Die liegt nämlich nicht in der Originalität der Geschichte, sondern in der Stimmigkeit ihrer Erzählung. "Himmel ohne Ende" erweist sich als Jugendbuch, das nicht von oben herab über die Welt der jungen Leute erzählt, sondern tatsächlich eine Innensicht bietet, die immer mehr gefangen nimmt.
Und spätestens in der zweiten Hälfte des über 300-seitigen Buches leidet man mit Charlie mit, hofft, dass ihre aufkeimende Freundschaft mit dem neuen Schüler, der sich über seinen Spitznamen Pommes nur amüsiert und nicht ärgert, nicht enttäuscht wird, dass ihre Verliebtheit zu einem anderen Schulkollegen erwidert wird, dass sich die Beziehung zu ihrer besten Freundin wieder einrenkt, und dass sich auch die Sache mit dem "gefundenen" und behaltenen iPod eines Schulfreundes klärt. Und wer die Dinge selbst in die Hand nimmt und sich wie Charlie ein Praktikum im Planetarium organisiert, der braucht keine Engel als Helfer, dem braucht auch niemand die Sterne vom Himmel zu versprechen. Der hat selbst einen "Himmel ohne Ende" über sich.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Julia Engelmann: "Himmel ohne Ende", Diogenes, 336 Seiten, 25,70 Euro)
ZÜRICH - SCHWEIZ: FOTO: APA/APA / Diogenes/Diogenes