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Schon damals hatte er bereits Illustration studiert und wollte nie mehr als Metzger arbeiten. Getan hat er es trotzdem, weil die Boulotte-Rinder auf eigenem Hof in Stadtnähe tierfreundlich aufgezogen und geschlachtet werden; weil danach vom Kopf bis zum Schwanz fast alles vom Tier verarbeitet und verkauft wird; weil es also echtes und, im Sinn der Transparenz, ehrliches Handwerk ist, das die Kundschaft schätzt und auch bezahlt.
Beim Zeichnen ist es ebenfalls das Handwerkliche, das Martin Oesch liebt und schon als Kind fleißig praktizierte, wie er der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagt. Ohne Geschwister auf einem Bauernhof bei Thun aufgewachsen, unterhielt er sich so selber: "Zeichnen hat etwas Mediales, du hast deinen eigenen Screen, in dem du deine Geschichte erzählen kannst. Das hat mich fasziniert. Nur schon das Haptische, der Farbauftrag, das Kritzeln, dieses Unmittelbare. Und das Gefühl: Ich habe etwas gemacht. Das ist heute noch in mir drin."
Mit Hilfe des Comic-Stipendiums der Deutschschweizer Städte machte Oesch sich 2023 ans Zeichnen seines ersten Comic-Bandes "Fleischeslust".
Handgemachte Bilder sind keine Selbstverständlichkeit in diesem stark digitalisierten Metier. Im Comic "Fleischeslust" hat Martin Oesch die Leitfarben Rot und Blau in Abstufungen eingesetzt. So rückt das intensive Rosa als menschliche Hautfarbe in die Nähe des roten Tierfleisches und das dunklere Blau schafft Tiefe in den Räumen: der Metzgerei, des Schlachthofs, der Kadaversammelstelle und in den Albträumen der Hauptfigur, des Metzgers Erwin Merz.
Diesem erscheinen nachts Tiere, die er während seiner langen Berufsjahre getötet hat. Sogar ein Meerschweinchen taucht auf. Laut Martin Oesch lassen Leute ihre Haustiere gern beim Metzger töten, weil es billiger ist als beim Tierarzt. An solchen Details merkt man, dass der Autor beim Erzählen aus eigener Erfahrung schöpfen kann. Und so kommt Metzger Erwin als Mensch differenziert rüber, auch wenn er äußerlich klischiert grobschlächtig dargestellt ist.
Geschickt lenkt Martin Oesch die Aufmerksamkeit immer wieder von seinem Protagonisten auf dessen abwandernde Kundschaft, die entweder kein Fleisch mehr isst, oder das Fleisch lieber beim Discounter kauft - Herkunft egal, Hauptsache billig. So sinkt der Umsatz, ist kein Nachfolger in Sicht und droht ein Handwerk verloren zu gehen, dem der gelernte Metzger Oesch seinen Comic als Hommage widmet.
Kommen die Leute doch wieder mal in die Metzgerei Merz, wissen sie alles besser. Etwa, dass das Nitrit, welches das graue Fleisch appetitlich rot färbt, gesundheitsschädigend ist. Darauf antwortet Erwin einer älteren Kundin, sie selber färbe sich ja auch die Haare, um noch appetitlich zu sein.
Wie plump, findet Erwins Frau Margrit, die im Laden mitarbeitet und die Sinn- und Lebenskrise ihres Mannes auch im öde gewordenen Bett erdulden muss. Frustriert beginnt sie, einen Sado-Maso-Club zu besuchen, in dem es ähnlich aussieht wie im Schlachthof.
Dort spürt Erwin sie eines Tages auf. Was dann geschieht, sei nicht verraten. Fleischeslust verspürt man nach Genuss dieses deftigen Comics zwar nicht, aber für Erwin und Margrit stimmt der Schluss doch hoffnungsvoll.
(Von Tina Uhlmann/Keystone-SDA)
(S E R V I C E - Martin Oesch: "Fleischeslust". Edition Moderne, 200 Seiten, 30,95 Euro)
BERN - SCHWEIZ: FOTO: APA/APA / Edition Moderne