News Logo
ABO

Es gibt Hoffnung: Sibylle Bergs neuer Roman "La Bella Vita"

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
4 min
Neuer Roman von Sibylle Berg
©APA, dpa, Soeren Stache
Wer träumt nicht in diesen chaotischen Zeiten von einer Welt ohne Kriege, Autokraten und Tech-Oligarchen? Einer Welt, die schöner, gerechter, friedlicher, kurzum menschlicher ist. Alle jene, deren Sehnsucht in dieser Hinsicht unerfüllt bleibt, können jetzt in Sibylle Bergs neuen Roman abtauchen. "La Bella Vita" zeichnet ein Leben jenseits des neoliberalen Kapitalismus, wie wir ihn kennen, mit all seinen unerfreulichen Verwerfungen und Zerstörungen.

von

Bei Sibylle Berg ist das angeblich so "alternativlose System" über Nacht durch eine Revolution implodiert - und siehe da, fast allen geht es besser. Bis zu dieser Revolution allerdings war es ein weiter Weg, und den beschreibt die Autorin in ihren beiden vorangegangenen Büchern "GRM. Brainfuck" und "RCE. #RemoteCodeExecution". Beide Romane sind Dystopien, wie man sie sich düsterer kaum vorstellen kann. Sie spielen in der abgehängten Welt der britischen Unterschicht nach dem Brexit. Eine Gruppe von "Trash-Kindern" lebt inmitten von Gewalt, Armut, Reizüberflutung und digitaler Totalüberwachung. Es ist eine trostlose, niederträchtige Welt, aus der sich eine Gruppe von Hackern zu befreien versucht. Ein Banken-Hack leitet dann tatsächlich die friedliche Revolution ein.

Und hier beginnt "La Bella Vita". In einer Chronik beschreibt eines der ehemaligen "Trash-Kinder" in über 90 Kapiteln die Grundsätze der neuen europäischen anarchistischen Gesellschaft. Die Überschriften der Kapitel klingen wie eine Charta der Menschenrechte: "Keine Einzelperson und kein Teil des Volkes kann die Ausübung der Souveränität beanspruchen", "Digitale Tools dienen der Mitbestimmung, nicht der Überwachung" oder auch "Jeder Mensch hat das Recht auf einen erholsamen Schlaf" usw.

Für ihre Utopie wechselt Sibylle Berg vom nebelverhangenen England, der schaurigen Kulisse ihrer Dystopie, in das von Neofaschisten bereinigte sonnige Italien als glückliches Versuchslabor für die neue schöne Welt. Diese ist ein seltsamer Mix aus Retro-Bullerbü und verwegenem Anarchismus: In der neuen Welt gibt es keine Banken, Börsen und NATO-Hauptquartiere mehr. Die europäischen Nationen sind zu ihren alten Währungen zurückkehrt, Technik ist auf das Notwendigste reduziert, das analoge Leben feiert eine fröhliche Wiederkehr. Wohnraum ist frei verfügbar, CEOs geistern als bekiffte Barmänner durchs Leben, und ehemalige Multimilliardäre und Techbosse werden auf Kreuzfahrtschiffen ausgesetzt, die nirgendwo anlanden. Mario Draghi, Ex-Präsident der Europäischen Zentralbank, verschwindet in einem Retreat in Salt Lake City.

Die schöne neue Welt malt Sibylle Berg mit Witz, Fantasie und Sarkasmus in lustvollen Details und Kaskaden skurriler Ideen aus. Trotz seiner Entertainment-Qualitäten gerät der Roman mit der Zeit allerdings etwas länglich und redundant. Auch die Vorgängerbücher waren ja schon reichlich ausgewalzt.

Es ist müßig, "La Bella Vita" auf seinen Realismusgehalt abzuklopfen. Es ist und bleibt eine schöne Utopie - und der Gedanke, dass alle Menschen in dieser Welt plötzlich pazifistisch werden, Diktatoren ohne Gegenwehr verschwinden und Geld keine Rolle mehr in der Gesellschaft spielt, bleibt ein schöner Traum. Manche Ideen, die Berg in ihrem Buch zur Weltenrettung aufbereitet, sind zwar weniger fantastisch, aber ohne Revolution oder einen großen "Knall", wie es in dem Buch so schön heißt, wohl auch kaum umsetzbar.

Die eigentliche Stärke des Romans besteht darin, dass er auf unterhaltsam-bissige Weise den Finger in die Wunde legt, die krassen Fehlentwicklungen der Welt auf allen Gebieten anprangert und die traurigen Folgen schmerzhaft deutlich macht: Zerstörte Umwelt, zerstörte Gesellschaften und zerstörte Gehirne. Manchmal braucht es Utopien, um zu verstehen, wie sehr unsere Gesellschaft aus den Fugen geraten ist.

(Von Sibylle Peine/dpa)

(S E R V I C E - Sibylle Berg: "La Bella Vita. PNR", Kiepenheuer & Witsch, Köln, 416 Seiten, 26,70 Euro)

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER