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Österreich: Einwanderungsgesellschaft wider Willen

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Mit dem Beschwören einer „Festung Österreich“ erklomm die FPÖ bei der Nationalratswahl im Herbst des Vorjahres Platz eins. Die Regierungsparteien ÖVP, SPÖ und NEOS bemühen sich nun um einen pragmatischeren Zugang zum Reizthema Zuwanderung. News ging den Fragen nach: Was bedeutet Integration? Was braucht es, damit sie gelingt? Und was hat die Regierung hier nun vor?

„Teilhabe an wesentlichen Teilen der Gesellschaft wie Bildung, Beruf, Politik“: So definiert die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger von der Universität Wien Integration. Der Integrationsexperte Kenan Güngör sieht es grundsätzlicher: „Integration an sich ist nichts Migrantisches, sondern betrifft alle Menschen. In einer Gesellschaft werden wir alle permanent in Gruppen und Sozialsysteme integriert: das fängt im Kindergarten an, das betrifft Schule, Arbeit, Freundeskreise. Jeder von uns muss sich immer wieder in neue Kontexte einfinden.“ Das könne unterschiedlich gut oder schlecht gelingen, und Zugewanderte hätten deutlich mehr Integrationsleistungen zu bewältigen. Seine Grundthese lautet aber: „Niemand ist zu 100 Prozent integriert. Das wäre nämlich eine totale Gesellschaft.“

Was Integration laut Experten nicht ist: Assimilation, also völlige Anpassung. Und: Integration ist keine ­Einbahnstraße. Auch die Mehrheitsgesellschaft muss den Neuankömmlingen ein Stück entgegenkommen beziehungsweise das sich Einfinden überhaupt erst ermöglichen, etwa durch Deutschkurse, Schulungen, Anerkennung von Abschlüssen und im Fall von Geflüchteten auch soziale Ab­sicherung.

Hört man sich in den politischen Parteien um, zeigt sich: ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne orientierten sich heute bei dem, was sie meinen, wenn sie von Integration sprechen, in unterschiedlichen Schattierungen an der Wissenschaft (siehe Kasten). Wer hier ausschert, ist die FPÖ: So meint Sicherheitssprecher Gernot Darmann: „Am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses muss die Anpassung stehen.“ Kulturfremdes Multikulti sei gescheitert. Und: „Diese Bereitschaft zur Assimilation ist selbstverständlich eine Bringschuld und ist nicht durch sündteure Kurse auf Kosten der österreichischen Steuerzahler beizubringen.“

Das ist ein Konstrukt, eine Imagination, dass es so etwas wie eine österreichische Kultur per se geben würde

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 © Jürgen Heinrich / SZ-Photo / picturedesk.com

Die Frage der Anpassung

Anpassen woran allerdings? „Gemeint ist dann immer die kulturelle Anpassung“, erläutert Rosenberger. Nur: Da werde die Assimilation an etwas verlangt, das es gar nicht gebe. „Das ist ein Konstrukt, eine Imagination, dass es so etwas wie eine österreichische Kultur per se geben würde.“ Manche würden gerne Schnitzel essen, andere nicht. Werte würden sich selbst innerhalb einer Familie zwischen den Generationen unterscheiden. „Da wird etwas idealtypisch verlangt, was eigentlich nicht da ist. Und gleichzeitig ist das die Entschuldigung dafür, sozioökonomisch und auch bei der Unterstützung des Erlernens von Sprache zu wenig zu tun.“

Was die Fakten heute zeigen: Österreich ist ein Einwanderungsland. Bei der Nationalratswahl im vergangenen Herbst war rund jeder Fünfte in Österreich nicht wahlberechtigt. Bei der Wahl in Wien Ende April durften sogar fast 36 Prozent der hier Lebenden im wahlfähigen Alter keine Stimme abgeben. Allerdings sei Österreich eine „Einwanderungsgesellschaft wider Willen“, wie Güngör anmerkt. Die Haltung vieler hier Lebender lasse sich so zusammenfassen: „Wir brauchen euch, aber eigentlich wollen wir euch nicht.“

Ablehnung hemmt

Das kommt dann bei jenen an, die hier einwandern, die hierher flüchten, aber auch bei EU-Bürgern, die sich in Österreich niederlassen. Das Gros von ihnen spüre Ablehnung. Die Folge: „Wenn man in einem Land eher reserviert, kühl oder distanziert behandelt wird, dann fühlt man sich vielleicht wohl, aber nicht zugehörig oder beheimatet.“ Genau das würden Studien für Österreich immer wieder aufzeigen.

Auf der anderen Seite gibt es die ganz realen Probleme, die mit Migration einhergehen. Da ist einerseits die Überforderung des Bildungssystems. Wie der nunmehrige Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) vergangenen November, damals noch als Wiener Bildungsstadtrat, bekannt gab, beherrschte zu Beginn des heurigen Schuljahres fast die Hälfte der Erstklässler an Wiener Volksschulen nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Knapp 45 Prozent der 18.722 Schüler und Schülerinnen in ersten Klassen haben aktuell einen „außerordentlichen Status“. Vor zwei Jahren betrug dieser Wert 36 Prozent.

Da sind andererseits aber auch die schockierenden Taten wie das islamistische Attentat mit einem Todesopfer und mehreren Verletzten von Villach und die etwas weniger aufsehenerregenden Messerstechereien. Und da ist auch die zuletzt massiv in die Schlagzeilen geratene Kriminalität von strafunmündigen Minderjährigen. Was all diese Fälle eint: Die Täter haben Migrationshintergrund. Das verunsichert. Güngör sieht hier aktuell drei problematische Gruppen, vor allem bei Jugendlichen: in migrantischen Kreisen Islamisten auf der einen und Ultranationalisten auf der anderen Seite. In der Aufnahmegesellschaft wiederum müsse man ein Auge auf die rechtsextreme Szene haben.

Ercan Nik Nafs, Leiter des Wiener Netzwerks Demokratiekultur und Prävention, meinte zu diesem Thema in einem „Zeitgespräch mit Gerhard Schmid“, einem Video-Interview-Format der SPÖ Bildung, in krisenhaften Situationen passiere rasch ein Abgleiten in extremistische Bewegungen. Er glaube, „durch die Pandemie haben wir eine Vielzahl von Jugendlichen nicht so begleitet, wie es sein sollte“.

Integration an sich ist nichts ­Migrantisches, sondern betrifft alle Menschen. In einer Gesellschaft werden wir alle permanent in ­Gruppen und Sozialsysteme integriert

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 © Gilbert Novy / KURIER / picturedesk.com

Gefühlte oder reale Probleme

Doch zurück zu der von vielen gefühlt höheren Gefahr durch potenzielle nicht-österreichische Täter. Güngör betont dazu: „Wir müssen weg von dieser einseitigen Negativität. Die tut weder dem Land politisch gut noch den Communities. Wir werden dadurch nur eine immer ängstlichere Gesellschaft.“

Sehe man sich die Gruppe der nicht-österreichischen Staatsbürger an, gebe es ganz grob drei Gruppen: 70 Prozent seien schon längst integriert. „Das sind die, die eigentlich dieses Land mit aufrechterhalten. Die sind immer nur despektierlich mitgemeint, obwohl sie Leistungsträger in dieser Gesellschaft sind.“ Ungefähr 20 Prozent seien Menschen in prekären Lebenslagen, meistens Geflüchtete, die integrationsbemüht seien und unter schwierigen Bedingungen versuchen würden, sich hier ein Leben aufzubauen. In sie müsste massiv investiert werden. Die restlichen etwa zehn Prozent seien in „eher problematischen, desintegrativen Milieus“ zu finden. Das reiche von Islamismus bis zu grundsätzlicher Gewaltbereitschaft. Im politischen Diskurs würden allerdings die anderen 90 Prozent dann „mit in Geiselhaft genommen“.

„Fremden verzeiht man weniger“

Wobei Güngör schon einräumt: Vor allem mit der Fluchtbewegung von 2015 und 2016 seien aus dem islamischen beziehungsweise arabischen Raum auch viele sehr religiöse Menschen nach Österreich gekommen, die auch nicht unbedingt die hiesigen Werte – Stichworte: Emanzipation von Frauen oder Umgang mit Homosexualität – teilen. Das verändere eine Gesellschaft. Das Gros von ihnen versuche, sich einmal besser, einmal schlechter ein vernünftiges Leben aufzubauen und keine Probleme zu machen. Andererseits stoße die Kriminalität von Migranten oder Geflüchteten auf deutlich mehr Empörung, als wenn diese von Einheimischen begangen werde. „,Fremden‘ verzeiht man da weniger, nicht nur in Österreich.“

Rosenberger betont: Bei Straftaten gebe es keine Toleranz und da greife – für alle in Österreich Lebenden – das Strafrecht. Was es für gelungene Inte­gration brauche, seien aber auch entsprechende Maßnahmen seitens der Politik. Die gebe es – nur der politische Diskurs fokussiere immer nur auf die Problemstellen. Dass hier noch mehr Hilfestellungen gut wären, hat allerdings auch die aktuelle Regierung erkannt. Gleichzeitig wird aber auch der Druck auf Betroffene erhöht, die Angebote auch in Anspruch zu nehmen.

Was die Regierung will

Integrationsministerin Claudia Plakolm betont dazu: „Wir setzen auf Integration ab Tag eins – mit einem verpflichtenden Integrationsprogramm, das auch Sanktionen bei Verweigerung vorsieht. Wer sich nicht bemüht, Deutsch zu lernen oder eine Arbeit zu finden, muss mit einer spürbaren Kürzung der Sozialleistungen rechnen.“ Und da das Sozialsystem, das Gesundheitswesen und die Schulen an der Grenze des Leistbaren seien, habe man beschlossen, den Familiennachzug auszusetzen. Das betrifft Geflüchtete mit Asylstatus, die ihre Angehörigen – meist die Ehefrau und Kinder – nachkommen lassen.

Die beiden Regierungspartner SPÖ und NEOS tragen diesen Kurs mit. Doch wo ist hier ihre Handschrift zu lesen? „Während Vorgängerregierungen sich über mangelnde Integration beschwert haben, ohne Verbesserungen zu liefern, setzen wir auf Integration ab Tag eins. Deutschkurse, Qualifizierungsmaßnahmen, Kompetenz-Screenings und rasche Berufsanerkennung – unser Ziel ist eine rasche Integration in den Arbeitsmarkt“, sagt dazu SPÖ-Integrationssprecher Christian Oxonitsch. Auf all das habe die SPÖ seit Langem gedrängt.

Ähnlich NEOS-Klubchef und Integrationssprecher Yannick Shetty: „Drei Bremsklötze lähmen die Integration bislang besonders: die Sprachförderung beginnt zu spät, der Arbeitsmarktzugang geschieht zu langsam und die Anerkennung von Abschlüssen ist viel zu kompliziert. Wir wollen, dass Migrantinnen und Migranten Steuern zahlen, nicht Steuern kosten.“ Daher setze die Regierung nun auf ein neues Integrationsprogramm mit verpflichtenden, kostenlosen Deutsch- und Wertekursen ab Tag eins, einem schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt, vereinfachten Nostrifizierungsprozessen und einem One-Stop-Shop für Anerkennungen.

Seitens der Opposition wünschen sich die Grünen hier erwartungsgemäß noch mehr – und die Freiheitlichen weniger. Darmann sieht Integration als alleinige „Bringschuld von Zuwanderern“. Über das hinaus, was nun von der Regierung angekündigt wurde, plädiert die Grüne Integrationssprecherin Sigi Maurer wiederum auch für einen früheren Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber, aber auch einen leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft.

KI könnte bei Integration helfen

Hier hakt auch Güngör ein: Er fordert fairere Kriterien zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und meint damit sowohl weniger Bürokratie als auch geringere Kosten sowie die Aussicht, diese auch tatsächlich erlangen zu können. „Und jene, die hier in erster, zweiter oder dritten Generation geboren sind, dürfen rechtlich nicht so behandelt werden, als wären sie gerade zugewandert.“

Was der Integrationsexperte der Regierung aber vor allem empfiehlt: Verbindlichkeit zu etablieren. Für alle nicht-österreichischen Staatsbürger, die sich vorübergehend oder auch für immer hier niederlassen, sollte ein Case Management dafür sorgen, dass Neuankömmlinge von Anfang an gut begleitet werden.

Ob das ressourcentechnisch zu stemmen wäre? Hier bringt Güngör Künst­liche Intelligenz ins Spiel. Mit KI könne man schon derzeit gut Sprachen lernen oder individualisierte Integrationspläne entwerfen. Ein entsprechend programmiertes KI-gestütztes System wäre rund um die Uhr – und das sehr geduldig – für jeden Einzelnen da. „Was uns jedenfalls nicht weiterhilft, ist dieses einseitig Dystopische.“

Was verstehen Sie unter Integration?

ÖVP-Integrationsministerin Claudia Plakolm:

„Wer bei uns bleiben will, muss Teil werden. Ich erwarte mir, dass Menschen Deutsch lernen, arbeiten gehen und unsere Gesetze und Werte nicht nur akzeptieren, sondern auch danach leben.“

SPÖ-Integrationssprecher Christian Oxonitsch:

„Unter Integration verstehe ich, dass Menschen in die Lage versetzt werden, im Rahmen unserer Rechtsordnung ein selbstbestimmtes, eigenständiges und abge­sichertes Leben in einer Gemeinschaft zu führen.“

NEOS-Integrationssprecher Yannick Shetty:

„Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein Miteinander auf Augenhöhe. Wir fordern, dass Personen, die in Österreich leben, unsere Grundwerte respektieren, Deutsch lernen und sich aktiv in unsere Gesellschaft einbringen. Im Gegenzug öffnen wir die Türen zu Bildung, Arbeit und gleichberechtigter Teilhabe. NEOS stehen für Lösungen statt für Populismus und setzen auf Integration ab Tag eins – auf Fördern und Fordern, auf klare Regeln und echte Chancen.“

FPÖ-Sicherheitssprecher Gernot Darmann:

„Integration ist die Bringschuld jeder zugewanderten Person und muss daher eine Selbstverständlichkeit sein. Dazu gehört, die deutsche Sprache zu lernen, Leistung durch Arbeit zu erbringen, unsere Gesetze, Werte und Kultur zu achten und zu leben und letztlich so zu einem Teil der Gesellschaft zu werden. Anders verhält es sich bei Asylwerbern beziehungsweise Asylberechtigten: Sie haben sich zeitweilig bis zur Rückführung in ihre ursprüngliche Heimat im Gast- beziehungsweise Schutzland anzupassen. Denn es geht um Schutz auf Zeit und eben nicht um Zuwanderung – abgesehen davon braucht Österreich jedoch schon längst einen Asylstopp. Wenn, dann hat begrenzte Zuwanderung einem Staat zu nützen und nicht zu schaden, sie zielt auf einen langen, bewusst ins Auge gefassten Verbleib ab und von einem Zuwanderer ist somit auch die Bereitschaft, sich in der Gesellschaft zu integrieren, zu erwarten. Wichtig ist jedoch, die Begriffe Zuwanderung sowie Asyl zu trennen und nicht zu vermischen.“

Grüne Integrationssprecherin Sigi Maurer:

„Integration ist für uns Grüne ein wechselseitiger Prozess, der auf Teilhabe, Verantwortung und Respekt beruht und zwar ab Tag eins. Menschen, die nach Österreich kommen – sei es aus humanitären, wirtschaftlichen oder familiären Gründen – sollen rasch Zugang zu Sprache, Bildung, Arbeit und gesellschaftlichem Leben erhalten. Das bedeutet: Deutschkurse ab Tag eins, Zugang zu Weiterbildungsangeboten, Anerkennung von Qualifikationen und ein ehestmöglicher Einstieg in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig erwarten wir, dass unsere demokratischen und europäischen Werte geteilt und gelebt werden – Freiheit, Gleichstellung, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Integration gelingt dort, wo gegenseitiges Interesse, Respekt und Mitgestaltung möglich sind.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/2025 erschienen

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