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Schlaglichter: Chaim und Bernard 1945 an der Elbe

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Bernard Kirschenbaum (2. v. li.) und Chaim Thau (Mi.)

©IMAGO / United Archives International

Kurz vor Kriegsende trafen in Torgau an der Elbe russische und amerikanische Truppen aufeinander. Ein historisches Foto zeigt die jüdische Soldaten Chaim Thau aus der Roten Armee und Bernard Kirschenbaum aus den USA wie sie sich die Hand reichen – ein starkes Symbol für Überleben und Menschlichkeit.

In Torgau an der Elbe trafen im April 1945 zum ersten Mal russische und amerikanische Truppen aufeinander – wenige Tage vor dem endgültigen Ende des Kriegs. Der Fotograf der US-Armee wollte dieses Ereignis festhalten, sprach russische Soldaten an, keiner verstand ihn, bis einer der Rotarmisten sagte: „Ich kann etwas Englisch, mein Name ist Chaim Thau, ich spreche mit den Kameraden.“

Auf der zerschossenen Brücke über die Elbe entstand das historische Foto mit US-Soldaten und Rotarmisten, lächelnd in ihren Uniformen schüttelten sie einander die Hände, sprachen Russisch und Englisch, und Thau übersetzte. Einer nach dem anderen stellte sich vor, bis einer der Amerikaner sagte: „Ich heiße Bernard Kirschenbaum.“ „Kirschenbaum?“, fragte Thau verwundert. Der Amerikaner nickte. Sie sahen kurz einander an, dann umarmte Thau den Amerikaner ohne eine weitere Erklärung – als lebende Antithese zu Hitlers Endlösung. Beide hatten sie Tränen in den Augen. Ein vergessenes Detail des berühmten Fotos.

Chaim

Thau wurde in Zobolotiv geboren, damals in Polen, heute auf dem Gebiet der Ukraine. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt übernahmen russische Soldaten sein Dorf. Thau lernte Russisch und arbeitete als Mechaniker für die Armee. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, der Besetzung seines Dorfs, floh Thau in die umliegenden Wälder, wo er sich 19 Monate lang versteckte, und überlebte als einziger seiner Familie. Er fand einen toten deutschen Soldaten, schlich sich immer wieder in dessen Uniform in das Dorf, um Lebensmittel zu besorgen.

Mit dem Vorstoß der Roten Armee nahmen ihn russische Soldaten im Wald gefangen – Thau in deutscher Uniform. Seine Russisch-Kenntnisse retteten ihn. Er wurde als Dolmetscher in die Armee aufgenommen, später zum Offizier einer Panzerabwehr-Einheit befördert, die im April 1945 die Elbe erreichte. Nach Ende des Kriegs lebte Thau einige Jahre in Israel, zog später nach Wisconsin, USA, wo er als Mechaniker arbeitete. Er starb 1995.

Bernard

Bernard Kirschenbaum wurde in New York geboren, studierte Botanik und meldete sich 1943 zur Armee. „Mein Vater sprach nie über den Krieg“, sagte seine Tochter Sara, „er war sein Leben lang traumatisiert aufgrund seiner Erlebnisse, bis ich zufällig ein Foto fand, auf dem mein Vater ein totes Kind in den Armen hält.“ Er erzählte zum ersten Mal, dass seine Einheit das KZ Leipzig-Thekla befreit hatte, kurz nach dem Abtnaundorf-Massaker, als wenige Tage vor dem Eintreffen der US-Armee 80 jüdische Gefangene in einer Baracke verbrannt oder erschossen wurden.

Kirschenbaum studierte nach dem Krieg am Design Institute in Chicago, wurde ein bekannter Architekt und Künstler. Seine Skulpturen sind in Museen in New York, Stockholm, Malmö und Gothenburg. Er starb 2016.

Im April, zum 80. Jahrestag des Kriegsendes, lud die Stadt Torgau Familienangehörige der Soldaten auf dem Foto zu einer Gedenkfeier ein. Jeff Thau, der Sohn von Chaim, kam nach Torgau, ebenso Sara Kirschenbaum, Bernards Tochter. Sara nannte Jeff nach der gemeinsamen Feier in Torgau ihren „Handshake Brother“.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 20/2025 erschienen.

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