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Birkenstock: Die Erfolgsgeschichte der Sandalen

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Birkenstock

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Vom unansehnlichen Gymnastiktreter zum Styling-Must-Have: Birkenstocks sind nicht nur der Liebling der Modekenner, sondern auch interessant für Anleger. Wie das deutsche Kultunternehmen seinen Umsatz innerhalb weniger Jahre vervielfachte - und warum kleine Händler dran glauben mussten.

Meist fand man sie in der hintersten Ecke des örtlichen Schuhgeschäfts: Eher unglamourös sahen sie aus, die Gymnastiktreter in ihren blauen Kartons, während sie auf ihren Einsatz, meist im Indoorbereich, warteten. Obwohl das Unternehmen Birkenstock revolutionär in Sachen Orthopädie war, hatte der Schuh lange Zeit ein Präsentationsproblem. Niemand, wirklich niemand hätte sich in den Neunzigerjahren getraut, in Birkenstocks auf die Straße zu gehen. Wer sich doch damit in der Öffentlichkeit sehen ließ, war entweder besonders im Stress oder arbeitete im Medizinbereich.

Doch Zeiten ändern sich, und am deutlichsten merkt man dies anhand der Mode. Was vorgestern out war, kann heute der heißeste Trend sein. So kam es, dass auch der einst so belächelte Birkenstock-Treter zum Kultschuh avancierte. Heute ist er selbst aus der Freizeitgarderobe von Megastars nicht mehr wegzudenken, die den Schuh - völlig ironiefrei - mit Socken tragen.

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Schlapfen mit Geschichte

Als Schuhmachermeister Konrad Birkenstock 1896 in Frankfurt am Main erstmals mit der Herstellung und dem Verkauf der flexiblen Fußbetteinlage begann, hätte wohl niemand geahnt, dass das Unternehmen knapp 140 Jahre später etwa acht Milliarden Dollar wert sein würde. Doch Konrad Birkenstock war keiner, dem Profit besonders am Herzen lag. Dem Sohn einer Schuhmacherdynastie wurde nachgesagt, ein Visionär und Erfinder gewesen zu sein: keiner, der sich aus Unternehmenszahlen groß etwas machte. Sein erklärtes Ziel war es, die anatomischen Bedürfnisse des menschlichen Fußes zu respektieren. Kurzsichtig war Konrad Birkenstock aber trotz seines mangelnden wirtschaftlichen Interesses nicht: Seine vollplastischen Leisten ließ er sich in weiser Voraussicht als Gesundheits-Schuhwerk erfolgreich patentieren. Das Unternehmen Birkenstock, das seit der Gründung 1774 von Generation zu Generation fortgeführt wurde, fokussierte unter seiner Federführung besonders auf orthopädisch inspiriertes Schuhmacherhandwerk. Ein Trend, der zum USP des Unternehmens wurde.

Jahrzehntelang hielt Konrad Birkenstock eifrig Fachvorträge vor anderen Meistern und Innungen, um seine Erkenntnisse über die Notwendigkeit eines Fußbetts zu verbreiten. Bis heute gilt er als Erfinder des Fußbetts. 1925 folgte der Bau der ersten größeren Fabrik. Das blaue Fußbett galt als Sensation und fand begeisterten Anklang bei Kunden jeglichen Geschlechts und Alters. Selbst in der Nacht wurde produziert, um den zahlreichen Kundenanfragen gerecht zu werden. 1932 übernahm Konrads Sohn Carl Birkenstock das Ruder und begann mit den, später unter Schuhhändlern berühmt gewordenen, Birkenstock-Schulungskursen. Das 1947 erschienene Fachbuch Fußorthopädie-System Carl Birkenstock galt lange Zeit als das am meisten verkaufte Fachbuch für Fußorthopädie. Carl Birkenstock erntete für seine Erkenntnisse das Vertrauen von Ärzten und Orthopäden und nahm dadurch enormen Einfluss auf die moderne Orthopädie - war es bis zu dieser Zeit doch noch üblich, Metalleinlagen zur Behandlung kranker Füße und Beine einzusetzen.

Nur wenige Jahre später entwarf Karl Birkenstock, Sohn von Carl, dann die erste flexible Tieffußbettsandale namens Madrid: ein Modell, das bis heute im Sortiment ist. Revolutionär war aber nicht nur das Design, sondern auch die Ausrichtung, denn Birkenstock verstand sich von der ersten Sandale an als unisex.

Vom Fußbett zum Catwalk

In den Achtziger- und Neunzigerjahren traten dessen Söhne, Alex, Christian und Stephan, ins Unternehmen ein. Zwei von ihnen hielten noch bis 2021 die Mehrheit der Anteile am Unternehmen.

Mit der Wandlung zur Birkenstock Group geschah 2013 einer der größten Einschnitte in der Firmengeschichte. Aus einem wirren Mosaik bestehend aus 38 Einzelunternehmen formierte sich eine Gruppe mit drei Geschäftsbereichen, die Produktion, Vertrieb und Services aufteilte.

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UNGEPLANTER ERFOLG. Konrad Birkenstock legte den Grundstein für das heutige Schuhimperium. Der Schuhmachermeister gilt als Erfinder des Fußbetts

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Mit Oliver Reichert und Markus Bensberg wurde erstmals eine Geschäftsleitung bestellt, die nicht aus Erben der Familie Birkenstock bestand. Bensberg galt als erfahrener Birkenstock-Manager, verantwortete 30 Jahre lang Bereiche wie Vertrieb und Produktentwicklung; Reichert galt als Quereinsteiger in der Modebranche und jemand, der die Dinge beim Namen nennt. Innerhalb von zehn Jahren entstaubte das Managerduo die Marke und Birkenstock legte sein fades Gesundheitslatschen-Image ein für alle Mal ab.

Dafür machte man beim Vertrieb harte und durchaus kompromisslos anmutende Einschnitte: So klagten 2014 etliche Schuhfachgeschäfte, vor allem im ländlichen Bereich, darüber, dass sie von einem Tag auf den anderen keine neue Ware nachbestellen konnten. Geschäften, die in Sachen Präsentation nicht mehr an die Erwartungen des Konzerns heranreichten oder nur Kleinstmengen bestellten, wurde die Vertriebspartnerschaft gekündigt. Bei Birkenstock war man hungrig, wollte mehr und war in Aufbruchstimmung -und die war nicht für alle ein Grund zur Freude.

Dior. Der Kreativdirektor der Dior-Herrenkollektion, Kim Jones, ist für seine gewagten und dennoch gekonnten Stilbrüche bekannt. 2022 überraschte er mit seiner Dior by Birkenstock-Sonderkollektion.

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"Dior by Birkenstock"

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Neue Kollektion. In den letzten Jahren überraschte das Traditionsunternehmen mit heftigen Preissteigerungen. Der Milano Big Buckle aus der neuen Kollektion kostet 160 Euro.

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"Milano Big Buckle"

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Manolo Blahnik. Gemeinsam mit dem spanischen Designer entwarf Birkenstock schon mehrmals Sondereditionen, die innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren. Diese extravagante Version des Boston-Modells ist noch in den Größen 35 und 42 erhältlich. Kostenpunkt: schlappe 395 Euro.

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Boston-Modell

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Barbie. Seit dem Film Barbie erlebte Birkenstock einen neuerlichen Aufschwung. Suchanfragen nach dem klassischen Arizona- Modell stiegen nach dem Filmdebüt um 110 Prozent, wie das Shoppingportal Lyst vermeldete.

Proenza Schouler. Das New Yorker Designduo Lazaro Hernandez und Jack McCollough verlieh der Arizona-Sandale einen neuen Anstrich. Als Hommage an das Label ersetzte Birkenstock erstmalig die berühmte Schnalle des Schuhs mit einem Klettverschluss. Preis: 330 Euro.

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"Arizona"-Sandale in neuem Anstrich

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Bodenständiger Luxus

Reichert, ein Rebell in Schlapfen und, ähnlich wie Konrad Birkenstock, ein Mann mit Visionen, hat große Pläne. Seine Devise: weg vom Öko-Image, hin zum Luxuslabel. Er ist bekannt dafür, zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten zu reden. So auch mit Bernard Arnault.

Seit 2021 hält nun die amerikanische Private-Equity-Gesellschaft L Catterton, die zu Arnaults Markenkonglomerat LVMH gehört, die Mehrheit der Birkenstock-Anteile. Mit dem Bestellen der Gesellschaft verabschiedete sich Bensberg aus der Geschäftsführung und dem operativen Tagesgeschäft, er kümmert sich heute um Alex Birkenstocks Immobilienprojekte. Seitdem regiert Reichert solo.

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Sarah Jessica Parker. Die Schauspielerin verhalf durch ihre Rolle als schuhliebende Carrie Bradshaw in Sex and the City Designer Manolo Blahnik zu Weltruhm. In der Fortsetzungsserie And Just Like That trägt sie neben ihren geliebten Manolos vermehrt Birkenstock

 © Bauer-Griffin/Getty Images
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Kendall Jenner. Das Model kombiniert die Boston-Clogs zu Jeans, T-Shirt und Cardigan

 © Bauer-Griffin/Getty Images

Bislang gibt der Erfolg seiner Strategie mehr als recht. Heute arbeitet das Unternehmen, das mittlerweile über 6.200 Mitarbeiter weltweit zählt, mit namhaften Modehäusern wie Dior oder Proenza Schouler zusammen und setzt auf Kooperationen mit internationalen Schuhdesignern wie Manolo Blahnik. Fast 500 Euro legt man für so ein Paar hin, doch die modebewusste Kundschaft -großteils aus Nord-und Südamerika oder Europa und überwiegend weiblich - reißt Birkenstock die Ware im wahrsten Sinne aus der Hand. Auch Streetwear-Labels wie Supreme oder Vetements klopften 2018 an, wollten ihre berühmten Logos auf die Sandalen drucken, doch Reichert lehnte ab. Die Produktionen waren ausgelastet und man konnte sich ohnehin schon nicht vor Aufträgen retten. Eine weitere Streetwear-Collab hätte den anderen Unternehmen mehr genützt als Birkenstock selbst.

In den letzten Jahren konnte Birkenstock auch ohne die Hilfe junger Hipster-Marken seinen Umsatz steigern. 2014 setzte das Unternehmen 272,3 Millionen Euro um, 2021 knackte man die Milliarde. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Birkenstock 1,24 Milliarden Euro. 2023 soll ein weiterer Umsatzrekord gebrochen werden -nicht zuletzt dank der prominenten und gelungenen Produktplatzierung im Kinohit "Barbie".

Der Börsengang von Birkenstock

Birkenstock ist längst Kult geworden, eine wahre Institution im Schuhschrank. Vorbei sind die Zeiten, in denen Birkenstocks dort getragen wurden, wo niemand sie sah: unter dem Schreibtisch, hinter dem Tresen, in den eigenen vier Wänden.

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Vorbei sind allerdings auch die Zeiten, in denen eine Sandale um 39,90 Euro im örtlichen Schuhgeschäft erhältlich war. Der klassische "Arizona" kostet heute in der Lederversion ab 90 Euro, in der Fellversion sogar 260 Euro. Zahlreiche Prominente lieben die deutsche Sandale für eben genau das, was sie ist: gemütlich, praktisch, alltagstauglich - und einen Tick schrullig. Schauspielerin Sarah Jessica Parker, Model Gigi Hadid und der verstorbene Apple-Grüner Steve Jobs gelten als inoffizielle Birkenstock-Testimonials. Letzter war übrigens nicht nur für Rollkragenpullis bekannt, sondern vor allem für seine Socken-in-Sandalen-Kombi. Ein ausgetretenes Modell des Tech-Unternehmers wurde 2022 bei einer Auktion in New York um 220.000 Euro versteigert. Somit ist es wohl das teuerste Paar Birkenstocks, das jemals verkauft wurde.

Birkenstock ist zur ober-mittelständischen Luxusmarke aufgestiegen und bahnt sich weiter seinen Weg ins Luxussegment. Aktuell bereitet der Konzern seinen Börsengang vor. Der erste Handelstag an der New Yorker Börse soll der 9. Oktober sein. Kein schlechter Aufstieg für die einstigen Jesusschlapfen aus Linz am Rhein.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2023 erschienen.

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