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Song Contest: So sehr fürchtet der ORF einen Sieg

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Aktualisiert
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15 min

©Corinne Cumming

Hilfe, wir könnten gewinnen: Geht es nach den Wettquoten, singt sich Österreichs Kandidat, Johannes Pietsch alias JJ, locker ins Finale des Eurovision Song Contests und hat beste Chancen, zu gewinnen. Der ORF spricht lieber nicht über einen möglichen Sieg. In den Klang des Erfolgs mischt sich das Echo seiner Kosten.

Die Vorzeichen für einen österreichischen Sieg sind zum Start in den Eurovision Song Contest (ESC) heute, Donnerstagabend, ein Vielfaches besser als vor elf Jahren. Als Conchita Wurst 2014 die Trophäe nach Österreich holte, galt sie als aussichtsreiche Kandidatin. Bei den Buchmachern lag sie erst nach dem Halbfinale in den Top 3.

Euphorischer startet der 24-jährige Wiener Gesangsstudent Johannes Pietsch, Bühnenname JJ, ins Halbfinale (15. 5., ORF 1, 21.00 Uhr). Dass er in die Finalshow am Samstag (17. 5., ORF 1, 21.00 Uhr) aufsteigt, gilt als gesichert, die Wettquoten setzen ihn seit Längerem auf Platz zwei hinter Schweden und mit deutlichem Abstand vor Frankreich.

Schmäh, Talent und Bühnenpräsenz

Konkret werden JJs Chancen auf einen Sieg in Basel mit 23 Prozent bewertet, was sich nach einem gelungenen Halbfinale weiter verbessern kann. Die Wett-Prognosen lagen in den letzten Jahren oft richtig. Zu den per Wettquote richtig getippten Gewinnern zählen laut einer Erhebung des offiziellen Eurovision Fanclubs Loreen 2023 und 2012 für Schweden, Kalush Orchestra 2022 für die Ukraine, Duncan Laurence 2019 für die Niederlande, Netta 2018 für Israel, Måns Zelmerlöw 2015 für Schweden, Emmelie de Forest 2013 für Dänemark, oder Lena 2010 für Deutschland. Seit JJ in Basel in den zweiwöchigen Interview- und Auftrittsmarathon vor dem eigentlichen Bewerb startete, konnte er die Quoten zugunsten des österreichischen Sieges verbessern.

„JJ hat eine großartige Stimme, eine überzeugende Bühnenpräsenz, ist professionell, gescheit, hat Schmäh und ist unglaublich sympathisch“, beschreibt Eberhard Forcher, der seit zehn Jahren für den ORF ESC-Kandidaten scoutet, das Siegertalent. „Genau das alles brauchst du, um die Community vor Ort und auf Social Media zu überzeugen.“ Optimisten würden für Österreich schon Champagner einkühlen.

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 © Alma Bengtsson/EBU

Platz 2 den Buchmachern: So gut wie nie zuvor

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 © Sarah Louis Bennett/EBU

Viele Zeichen auf Sieg

Der österreichische Beitrag, „Wasted Love“, ist ein balladesker Ritt durch Oper, Pop und Techno, bei dem JJ zwischen Popstimme und Counterfalsett wechselt und dabei zweimal das hohe Cis erreicht. Die ESC-Community feiert den Song, den JJ gemeinsam mit der ehemaligen Song-Contest-Starterin Teodora Špirić alias Teya geschrieben hat. Die beiden kennen einander aus „Starmania“-Zeiten, wo JJ ins Finale kam. Bei „The Voice UK“ hatte er es zuvor bis in die Knock-out-Runde geschafft. Aktuell studiert er im Bachelorstudiengang Sologesang bei Linda Watson an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und war bereits in Produktionen an der Wiener Staatsoper zu sehen.

Neben JJs Bühnenerfahrung, seiner Stimme und einem außergewöhnlichen Lied setzt Österreichs Team auf Produzent Pele Loriano, der schon den Schweizer Sieg durch Nemo mitverantwortet hat. Für eine spektakuläre in Schwarz-Weiß übertragene Bühnenshow sorgt der in der Szene als Ausnahmetalent geltende Creative Director Sergio Jaén. Vor einem Leuchtturm inszeniert er für „Wasted Love“ ein Boot in stürmischen Gewässern als dramatisches Sinnbild für die besungenen emotionalen Turbulenzen im Umgang mit gescheiterter Liebe. „Heuer passen viele Dinge hervorragend zusammen“, resümiert ESC-Scout Forcher vorsichtig auf die Frage nach Siegeschancen.

Das Video, der Song: „Wasted Love“

Das offizielle Video zu „Wasted Love“ von JJ, Österreichs Beitrag für den Eurovision Song Contest 2025 in Basel.

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Ist Silber besser als Gold?

Von einem Sieg hört man außer dem Künstler, seinem Team, Fans und Buchmachern niemanden laut träumen. Fragen zum Thema „Was bedeutet ein Sieg Österreichs?“ wollten die ORF-Verantwortlichen mit Verweis auf deren spekulativen Charakter nicht beantworten. Das mag weniger mit Aberglaube zu tun haben als mit den Folgen eines möglichen Sieges für die Siegernation. So wie Conchita Wursts Sieg in Kopenhagen den Song Contest 2015 nach Wien gebracht hat, würde ein Sieg durch JJ den Bewerb ein weiteres Mal nach Österreich bringen.

Das habe bereits 2014 in Kopenhagen zu langen Gesichtern bei den ORF-Verantwortlichen geführt, zitierte kürzlich die NZZ einen früheren Mitarbeiter der Dachorganisation des Song Contests, European Broadcasting Union (EBU): „Die ORF-Leute sahen danach überhaupt nicht glücklich aus.“ Eine Ex-Kaderfrau der EBU präzisiert gegenüber NZZ, der Song Contest sei wohl der einzige Wettbewerb auf der Welt, bei dem man sich über Silber mehr freuen könne als über Gold.

Ein Sieg kostet Millionen

Enorme Kosten und noch mehr Aufwand lassen vor allem kleine Länder beim Gedanken an einen Sieg erschauern. Die European Broadcasting Union (EBU) stellt als Dachorganisation dem austragenden Land zwar einen Sockelbetrag von rund 6,2 Millionen Euro zur Verfügung, den Rest muss das Gastgeberland selbst finanzieren. (Der Sockelbetrag wird von der EBU durch die Teilnahmegebühren der einzelnen Länder finanziert, siehe Kasten.)

Die Ausgaben der Länder, die nach einem Sieg den ESC ausrichten, lagen in den vergangenen Jahren zwischen kolportierten 15 Millionen (Malmö 2013) und 74 Millionen Euro (Baku 2012, ohne Kosten für die neu errichtete Halle um 120 Millionen Euro). Der Aufwand in Kopenhagen (2014) wurde auf rund 15 Millionen Euro geschätzt, in Liverpool sprach man 2023 von 30 Millionen Euro.

Der aktuelle Gastgeber, Basel, nennt als Nettoausgaben regierungsseitig rund 37,5 Millionen Euro, wobei der größte Teil des Budgets auf Infrastrukturmaßnahmen und die Deckung von Einnahmeausfällen im Gebiet St. Jakob entfällt (siehe Kasten nächste Seite). Bei einem Referendum hatten zuvor 66 Prozent für die Ausgaben und die Ausrichtung des Events gestimmt.

Das Referendum war notwendig geworden, nachdem der Bewerb politisch hohe Wellen geschlagen hatte. Als „Verschwendung“ öffentlicher Gelder für eine „blasphemische“ Musikveranstaltung, als „Propagandaplattform für homosexuelle und nonbinäre Menschen“ und „generelles Sicherheitsrisiko“ hatte die ultrakonservative, christlich-fundamentalistische Partei EDU den Bewerb verunglimpft und das Referendum gefordert.

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London calls Unterpremstätten

Auf derartige politisch motivierte Diskussionen verzichtet man allerorts gern. Auch am Küniglberg. Wiewohl sich in Österreich zuletzt eine Mehrheit der Bevölkerung wohlwollend hinter den ESC stellte. Laut einer Integral-Umfrage 2015 im Jahr des letzten Song Contests in Wien hielten 73 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher die ESC-Austragung für „wichtig für das Land“. 88 Prozent nannten den ESC eine „gute Möglichkeit, Österreich in der Welt zu präsentieren“.

Damals setzte sich Wien als Gastgeber gegen die – laut protestierenden – Städte Graz und Innsbruck durch und stemmte die Kosten in der Höhe von 11,71 Millionen Euro, wobei der größte Teil der Summe auf Bereitstellung und Adaptierung der Wiener Stadthalle (rund acht Millionen Euro) entfiel. „Wien ist sehr stolz, den 60. Eurovision Song Contest zu Gast gehabt zu haben“, freute sich damals Bürgermeister Michael Häupl für die Stadt. „Denn: ,London calls Unterpremstätten‘ ist mir nicht wahn- sinnig sexy erschienen“, wie er launig bei einer Ehrung für die Leistungen des ORF im Nachhall anmerkte.

Schon 2026 könnte es freilich so weit sein. Wie News erfuhr, hat hinter den Kulissen neben Graz auch Innsbruck bereits Interesse angemeldet, einen möglichen Song Contests 2026 ausrichten zu wollen.

Ein Sieg bringt Millionen

Allen Mühen und Kosten zum Trotz gilt der Wettbewerb als Gewinn für das Land, das ihn beherbergt. Das liegt auch an den weltweiten Zuschauerzahlen. In den letzten Jahren sahen zwischen 160 und 200 Millionen Menschen die insgesamt drei Song Contest Shows. Der Veranstalter EBU beziffert den Werbewert mit bis zu 100 Millionen Euro.

Die Bruttowertschöpfung des Song Contests in Wien 2015 wurde mit 38,1 Millionen Euro beziffert, davon 27,8 Millionen Euro nur in Wien. In der Hauptstadt entstanden im Sog des Events über 400 Vollzeitstellen. An Steuern und Abgaben wurden damals 16 Millionen Euro generiert, wobei der Bund den größten Anteil (6,2 Millionen Euro) erhielt. Auch Liverpool meldete als Gastgeberstadt 2023 profitable Zahlen mit einer Wertschöpfung in der Höhe von 66 Millionen Euro, die der Stadt ein Jahr lang fast 600 Vollzeitstellen garantierten.

Zu den oft kritisierten Produktionskosten, die für die Rundfunkanstalt des Gastgeberlandes entstehen, hat Wirtschaftswissenschaftler Stephen Boyle für die Plattform Eurovision errechnet, dass kolportierte Kosten für drei Shows (zwei Halbfinali, ein Finale) im Jahr 2015 (14,3 Millionen Euro) sich mit Übertragungsrechten eines Premier-League-Fußballspiels die Waage hielten. Auch Spanien begegnete der Kritik an Kosten mit einem sportlichen Rechenbeispiel: So sei der Preis für eine Sendeminute ESC 791 Euro, der einer Minute Fußball-Europameisterschaftsspiel 21.600 Euro. Tatsächlich liefert eine ESC-Produktion rund acht Stunden Fernsehen, die so oder so gefüllt werden wollen.

Will man sich all die leidigen Diskussionen vom Hals schaffen, bleibt im Fall eines österreichischen Siegs auch die Möglichkeit, dem Beispiel von Luxemburg zu folgen. Es verzichtete 1974 als Siegerland auf eine Austragung, und das britische Brighton sprang ein.

Mit JJ ist jedenfalls zu rechnen. „Elf ist meine Glückszahl“, betonte er die Anzahl der seit Österreichs letztem Sieg beim Eurovision Song Contest verstrichenen Jahre gegenüber Ö3. „Und den Segen von Tom Neuwirth (Anm.: alias Conchita Wurst) hätte ich auch schon – er fände es geil, wenn ich gewinne.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 20/25 erschienen.

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