Willi Resetarits: Abschied vom Ausnahmekünstler

Willi Resetarits ist tot, aber seine Menschlichkeit und sein Schaffen bleiben. Wie die klugen Worte, mit denen er der Welt ein freundlicheres Gewand vermessen konnte.

von Willi Resetarits © Bild: News/Ricardo Herrgott

Von den vielen Musikern, mit denen Willi Resetarits 2019 auf der Bühne der Wiener Stadthalle seinen 70. Geburtstag nachfeierte, war er der Jüngste: Wenzel Beck, Sohn von Willi Resetarits' Leibfotografen und Freund Lukas Beck wuchs mit dem charismatischen Star auf und erlebte ihn als ermutigende Kraft. In News beschreibt Beck den völlig unerwartet von einem Treppensturz ums Leben gebrachten Künstler als kreatives Vorbild und Inspiration zur Menschlichkeit. "Seine Offenheit und die darin verborgene Demut waren seine prägendsten Eigenschaften", so Beck (siehe Text hier) über den Mentor, Wegbegleiter und Freund, mit dem er Anfang Mai wieder auf der Bühne stehen hätte sollen. Wie damals.

» Ich bin so ängstlich allein, ich brauch immer eine Bande«

Satte elf Bands brauchte es 2018 zur Geburtsgala, um Resetarits Schaffen würdig abzubilden. Lässt man sie Revue passieren, entfaltet sich nicht nur die Größe von Resetarits' musikalischem Vermächtnis. Was er News anlässlich seines runden Wiegenfests zu den Stationen im künstlerischen Werk erzählte, offenbart auch seine Größe als Galionsfigur des Anstands.

Willi Resetarits mit seinen Brüdern Peter und Lukas Resetarits
© imago/SKATA Resetarits-Brüder: Willi, Peter und Lukas (v. li.)

Das Leben der Musik geweiht

Mit der Band The Odds etablierte der pubertierende Willi Resetarits 1963 im Wiener Gymnasium Ettenreichgasse eine Beat-Band, die an The Kinks, den Rolling Stones und zuletzt auch Jimi Hendrix Maß nahm. Wild auszuschauen war - neben der Musik - die Voraussetzung, und den Mädchen wollte man gefallen! Aus Rastlosigkeit und mangels spannenderer Alternativen, wie er selbst sagte, studierte er dann Anglistik und Sport: "Es hat kein Studium gegeben, wo man Rockmusik studieren konnte. Seinerzeit war meine Musik noch die Musik des Teufels -lange Haare, ungepflegt. Ich habe mein Leben der Musik geweiht und war der irrigen Annahme, ich brauch dazu einen Brotberuf. Warum Lehramt? Weil meine Freunde aus der Schulklasse auch Lehramt studiert haben. Ich bin so ängstlich allein, ich brauch immer eine Bande." Die spannendere Bande fand er in der Formation Schmetterlinge, mit der es ab 1968 im Folksound mit kritisch-politischen Texten zur Sache ging.

Ohne Sicherheitsnetz zum Erfolg

Das Studium musste dem Erfolg weichen. Das war dem jungen Mann nach vier Jahren, in denen er seine Zeit "zwischen Universität und Kaffeehaus" teilte, klar. "Ich hab fast alle Scheine gehabt und bin kurz vor Ende des Studiums draufgekommen: Wenn ich nicht alle Sicherheitsnetze zerstöre, wird das nichts mit der Musik und mit der Weiterentwicklung. Das Rezept, das ich dann g'habt hab, hat gestimmt: Berufsmusiker sein ohne Einkommen." Statt zur Uni ging's 1977 zum Song Contest mit dem von Bruder Lukas getexteten Lied "Boom Boom Bumerang", einer nur verhalten als solche wahrgenommenen Satire auf die Plattenindustrie: vorletzter Platz!

Auch die Familiengründung fiel in diese Jahre: Mit Schmetterlinge-Sängerin Beatrix Neundlinger bekam Resetarits Tochter Johanna, 40, und Sohn Valentin, 38. Damals entstand mit Texten von Heinz Rudolf Unger auch das politische Oratorium "Proletenpassion", das wichtigste Werk der Gruppe, das 1976 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde.

Etwa um die Zeit ersann Autor Günter Brödl - noch in Unkenntnis des Protagonisten, der sie zu seinem ewigen Alter Ego machen würde -die Kunstfigur Ostbahn Kurti samt seiner Chefpartie. Es gab ein Theaterstück ("Wem gehört der Rock 'n'Roll"), in dem der spätere ORF-Moderator Erich Götzinger den Kurt verkörperte, fingierte Kleinanzeigen, in denen angeblich vergriffene Ostbahn-Kurti-LPs gesucht wurden, und ausverkaufte Fake-Konzerte.

Die Legende des Ostbahn-Kurti

Als Brödl die nachmalige Legende Willi Resetarits traf, bahnte sich ein gewichtiges Stück lokaler Musikgeschichte an. Gemeinsam prägten sie 20 Jahre lang, zwischen 1983 und 2003, die wilde Welt des Rock 'n'Roll nach Wiener Zuschnitt. Blues-, Country- und Rockklassiker - allen voran von Bruce Springsteen - platzierten sich als Ostbahn-Kurti-Coverversionen in den Charts: "Feuer" 1985 ("Fire"),"A Schritt vire (zwa Schritt zruck)" 1989 ("One Step Up"): alles authentisch, großartig, unvergesslich.

Willi Resetarits
© imago stock&people Willi Resetarits als Kunstfigur Ostbahn-Kurti im Jahr 1996

Das Gasthaus Quell wurden zum Kreativzentrum der beiden. Resetarits: "Wir haben uns hier immer um die Mittagszeit getroffen auf ein kleines Gulasch und ein Seidl als Frühstück. Der Quell Poidl war auch immer da, von Günter Brödl wurde er ,Der Musterwirt' genannt. Der Stammplatz war beim Kachelofen im Außeneck. Dem Brödl war nämlich wie mir immer kalt."

Der spätere Erfolg war damals nicht abzusehen, im Gegenteil stimmte Resetarits die Band auf dürre Zeiten ein: "Leitln, Geld werdet's ihr hier keines verdienen. Ich hab ja selbst fünf Jahre der Ostbahn-Zeit das Geld mit den Schmetterlingen verdient. Während der ersten Tournee kamen zu einem Konzert drei Leute, 27 in Tulln: der Höhepunkt. Des hat uns gfoin! A bissl missverstanden wollt ma werden. Wir haben mit Vergnügen gespielt für die drei Leit."

Aber 1991 kamen zum Konzert am Ostbahn-XI-Platz 14.000, der Kurti schaffte es damit in den Ö3-Verkehrsfunk und zum Star.

Jäher Abschied und kreative Vielfalt

Nach Günter Brödls plötzlichem Herztod im Jahr 2000 konnte die gemeinsame Kunstfigur nicht leben -drei Jahre später war es vorbei. "Ich bin", sagte Resetarits später, "empört, wenn Leute aus meinem engsten Umfeld wie mein Vater oder der Günter Brödl vor der Zeit obiagn. Das find ich unnötig und gschissen. Da zieh ich keine philosophischen Lehren, die kommen eh unbewusst. Ich weiß nur, dass ich wahnsinnig gern lebe. Angesichts des Todes oder der Tatsache, dass man in einem gewissen Alter ahnt ,So lang, wie ich bisher glebt hab, werd ich nimmer leben, wahrscheinlich kürzer', erhöht das im Grunde die Lebensqualität, wenn man gscheit is. Weil wenn ich weiß, eine ungewisse Anzahl von Jahren oder Monaten bleibt mir noch, dann hab ich ka Zeit, dass ich die mit Trotteln oder mit sinnlosen Arbeiten oder Ärgernissen verbring."

Fortan lebte Resetarits seine musikalische Neugier in wechselnden Formationen, die an Vielfalt kaum zu überbieten sind und alle zum 70er live brillierten. Da waren Jazzklassiker, vertont mit dem Resetarits-Puschnig-Quintett ab 1999, Crossover aus Wienerliedern, Volksmusik und Rhythm & Blues mit den Musikern der Xtra Combo ab 2004, zuletzt mit neuem Album "Elapetsch" (2021), das Streichquartett String-Fizz und Tini Kainrath ab 2007, die A-cappella-Gruppe Basbaritenori ab 2009.

Musikanten Ernst Molden, Willi Resetarits, Walther Soyka und Hannes Wirth
© imago/Rudolf Gigler Das Quartett Walther Soyka, Willi Resetarits, Ernst Molden und Hannes Wirth (v. li.) im Rahmen des Osterfestspiels Gmunden 2017

Im selben Jahr formte er das Quartett Molden, Resetarits, Soyka, Wirth, mit dem er eindringlich die musikalische Neuvermessung des Wienerlieds betrieb, zuletzt 2021 ("Schdean"). Er begleitete den philharmonischen Klarinettisten Matthias Schorn beim Projekt "Schorny & Friends" und verschrieb sich mit der Gruppe Neue Wiener Concertschrammeln alten und neuen Wienerliedern. 2018 brach er mit seiner Familienbande zur musikalischen Reise durch Jazz, Folk, Blues, Soul, Chanson, Volks-und Wienerlied auf. Neben dem gerne als "Wahl-Enkel" bezeichneten Wenzel Beck formierten Felix Schneider-Strum und Johanna Resetarits die Bande. Bei den musikalischen Treffen mit der Tochter, unter dem Namen Juanita eine Kapazität in Sachen Tango, sei sie die Tonangeberin, ließ der stolze Vater 2018 wissen. "Ich muss auf hohem Niveau dienen. Aber ist eh gut so."

2014, an seinem Geburtstag, feierte er endlich Hochzeit. Von der amtlich besiegelten Verbindung mit der Langzeitpartnerin Roswitha Hofer erfuhr die Welt erst ein Jahr danach. "Wo Liebe ist, da ist sie eben. Es ist uns passiert, und das ist wunderbar", sagte er, als er 70 wurde. "Mein Zugang zum Leben überhaupt ist Neugier, schauen, was passiert, und beobachten. Für alles offen sein, es wahrnehmen, die Menschen gern haben. Wenn man Momente des Glücks haben möchte, muss man gut sein im Wahrnehmen", sagte Resetarits über seine Liebe.

Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt

"Passts auf, seids vursichtig und lossts eich nix gfoin": Mit diesen Worten pflegte er sein Publikum in den Alltag zu entlassen. "Es geht hier", skizzierte er später den Weg zum kämpferischen Humanisten, "um einen politischen und gesellschaftspolitischen Ansatz. Als ma uns 1965 die Haare haben wachsen lassen, sind uns unglaublicher Zorn und Wut entgegengeschlagen. Das war für viele von uns der Beginn der Politisierung. Wir hatten Zweifel an der Gesellschaft, ob die so richtig funktioniert, wenn Nazidenken dominiert. Das schwingt a bissl mit in ,lossts eich nix gfoin', dass man durchaus Stellung beziehen kann, wenn einem was nicht passt. Des kost nix und erhöht die Lebensfreude, im Sinne von ,wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt'. Und das wollt ich damals schon mit den Fans teilen. Ich liebe sie bis heute alle."

Und wir ihn, für alle Zeit.

WENZEL BECK - DER JUNGE MUSIKER ÜBER SEINEN MENTOR, WEGBEGLEITER UND FREUND

Gedanken zu meinem Freund Willi Resetarits

Willi Resetarits mit Wenzel Beck
© Lukas Beck

Einigkeit zweier Generationen: Wenzel Beck, heute 22, und Resetarits ganz früh und viel später in ihrer Freundschaft. Zum gemeinsamen Konzert Im Mai sollte es nicht mehr kommen.

Willi Resetarits mit Wenzel Beck
© Lukas Beck

Willi war immer ein Suchender. Auf der Suche nach den großen Klängen, den ergreifendsten Emotionen -auf der Suche nach dem schönsten Lied. Diese unbedingte Liebe und anscheinend grenzenlose Hingabe zur Musik und zur Magie des Songs hat uns immer verbunden. Bereits bevor wir gute Freunde wurden.

Als ich ihm das erste Mal begegnet bin, war ich wahrscheinlich noch nicht geboren. Willi hat für mich mein ganzes Leben lang eine große Rolle gespielt. Ich konnte gerade erst gehen, da bin ich bereits bei Ostbahn-Kurti- Soundchecks auf der Bühne herumgelaufen. Mit 19 durfte ich mit ihm auf der Bühne der Wiener Stadthalle stehen. Dazwischen ist sehr viel passiert.

Mit 14 Jahren und drei halbfertigen Songs habe ich ihn irgendwann gefragt, ob ich ihm meine Kompositionen vorspielen darf. Er hat Ja gesagt und gleich zwei Termine mit mir ausgemacht. Danach haben wir uns fast zwei Jahre lang mehrmals im Monat getroffen, und Willi hat mir zugehört. Das war die schönste Motivation, die es gibt. In dieser Zeit war ich sehr wenig in der Schule, dafür hatte ich plötzlich mehr als 100 Songs geschrieben. Bald hat er mich eingeladen, mit ihm gemeinsam live zu spielen. Auf einmal stand ich mit meinem Vorbild und Mentor auf riesengroßen Bühnen vor unzähligen Menschen und durfte sogar meine ersten eigenen Songs vor Publikum ausprobieren. Dieses Gefühl lässt sich mit nichts vergleichen. Die Erinnerungen an all unsere gemeinsamen Erlebnisse werden mir für immer bleiben und erfüllen mich mit großer Dankbarkeit und Glück.

Willi hat oft gesagt, er ist ein "Kind des Glücks". Jedoch war es in meinen Augen immer seine endlose Offenheit und Menschenliebe, sowohl privat als auch in seiner Kunst, die diese Wirkung auf ihn und alle Menschen in seinem Umfeld ermöglicht hat. Ich habe unglaublich viel von Willi gelernt. Die prägendste Eigenschaft, zu der ich mich inspirieren lassen durfte, war seine Offenheit und die darin verborgene Demut und sein Zugang zur Musik sowie zum Leben an sich. Zu Weihnachten habe ich Willi einmal eine Bass-Ukulele geschenkt. Ich war mir nicht sicher, ob er mit dem Instrument etwas anfangen kann bzw. ob er es verwenden wird. Wenige Wochen später stand ich mit 30.000 anderen bei der Eröffnung der Wiener Festwochen auf dem Rathausplatz. Die Bühne dreht sich, und Willi singt und spielt auf seiner neuen Bassukulele. Das ist nur eines von vielen Beispielen, mit denen mich Willi immer wieder aufs neue tief beeindruckt und begeistert hat.

Noch fällt es mir sehr schwer, über meinen Freund in der Vergangenheit zu sprechen. Für mich schien es immer so, als wäre Willi mein ganzes Leben lang da. Irgendwie ist er zu wichtig für so viele, um zu fehlen. Die 51 Jahre Altersunterschied waren immer komplett verschwunden, sobald wir zusammen Musik gemacht haben. Egal, ob für ein Publikum oder zu zweit, nur für uns. Der erste Song, den wir zusammen gesungen haben, war "May You Never" von John Martyn. Unser letztes gemeinsames Interview gaben wir am 4. November 2021 bei "Stöckl" im ORF. Ende Mai wäre unser nächstes gemeinsames Konzert gewesen. Dazu wird es nicht kommen.

Mein Freund und Mentor Willi Resetarits ist vorgestern gestorben. Worte können kaum beschreiben, wie wichtig Willi für mich ist und immer sein wird. Er hinterlässt ein unglaubliches Lebenswerk und ein tiefes Loch in den Herzen der vielen Menschen, die ihn lieben. Seine Musik und seine Stimme werden bleiben. Ich erinnere mich an meinen Freund in ewiger Dankbarkeit und bin tieftraurig.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 17/2022.