Dem Boss auf der Spur

Genie und Wahnsinn: Zwei Publikationen widmen sich dem Phänomen Springsteen

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  • Springsteen und die E Street Band
    Bild 1 von 7 © Bild: Frank Stefanko

    Bruce Springsteen

    Springsteen und seine E Street Band zu Zeiten von "Born in the U.S.A.": Springsteen, Garry Tallent, Danny Federici, Steve Van Zandt, Roy Bittan, Max Weinberg und Clarence Clemons. (aus der "Bruce"-Biografie von Peter Ames Carlin)

  • Bruce Springsteen
    Bild 2 von 7 © Bild: Pam Springsteen

    Bruce Springsteen

    Springsteen arbeitet nach dem "Born in the U.S.A."-Hype am ruhigeren Album "Tunnel of Love". (aus der "Bruce"-Biografie von Peter Ames Carlin)

Bruce Springsteen - Cover
© Edel Verlag "Bruce" von Peter Ames Carlin

Über 600 Seiten fasst die klassische Biografie mit dem schlichten Titel „Bruce“ von Peter Ames Carlin. Es ist die erste Biografie in über 25 Jahren, die in direkter Kooperation mit Springsteen selbst entstanden ist. Carlin, der sich selbst als Fan bezeichnet, hat drei Jahre intensiv recherchiert und Interviews mit allen möglichen Personen im Dunstkreis Springsteens geführt. Der Fokus von „Bruce“ liegt aber in der Vergangenheit, seiner Kindheit und seinen musikalischen Anfängen bis zu den 1980er-Jahren, wie der Autor im Interview bestätigt: „Ich hatte nur eine gewisse Seitenanzahl zur Verfügung. Sein Aufstiegs-Kampf bis zum Erfolg und der Umgang mit diesem Erfolg, während er sich gleichzeitig seinen inneren Dämonen stellen musste, waren der signfikanteste Aspekt.“

David Remnick liefert in seinem 80-seitigen Buch mit dem einfallslosen deutschen Titel „Über Bruce Springsteen“ (im englischen Original treffender: „We are alive“) den Rest. Der Pulitzer-Preisträger hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine bekannte Geschichte mit Neuwert zu erzählen, die vor allem die Frage erläutert: Was ist es, das Springsteen, ein Mann der mit 63 Jahren beinahe pensionsreif wäre, nach über 40 Jahren immer noch in dem jungen sowie kurzlebigen Popgeschäft vorne mitmischen lässt?

Gut behütetes Reich

Dafür mussten die Autoren erst einmal Zutritt zum großen "Springsteen-Reich" bekommen. Während David Remnick seine Bekanntschaft zu Jon Landau, Springsteens langjährigem Freund und Manager, nutzte, musste sich Peter Ames Carlin das Vertrauen hart erarbeiten. Erst nach eineinhalb Jahren intensiver Recherche und unzähligen Gesprächen erhielt er einen Anruf von Landau. Springsteen selbst sei von Carlins Bemühungen beeindruckt gewesen wollte ihm gewisse Einblicke gewähren. Dennoch „hat es danach immer noch neun Monate gedauert, bis Springsteen bereit war, sich persönlich mit mir zu unterhalten“, erzählt der Autor heute.

Zugänglicher, schlauer Superstar

Doch dann zeigte sich der Künstler zugänglich: „Er ist ein warmherziger Kerl und gut darin, einem die Nervosität zu nehmen. Als wir über Bands geredet haben, fühlte es sich an, wie mit einem beliebigen, coolen Typen zu quatschen", sagt Carlin im Interview. "Als wir uns den heikleren, emotionalen Themen wie seiner Kindheit genähert haben, konnte er überraschend mitteilsam sein. Manches Mal spürte ich, dass er mir Dinge erzählte, über die er kaum zuvor mit irgendwem gesprochen hatte“, so Carlin: Depressionen und Therapien beispielsweise, Dinge, die er in diesen Gesprächen erstmals offenbarte. Laut Remnick öffnet sich Springsteen mit zunehmendem Alter immer mehr, dennoch sei er nur „so offen, wie es sich ein Star seiner Klasse erlaubt zu sein." Vor allem im Umgang mit Schreibern sei er geschickt, so Carlin, was die Arbeit mit ihm zwar interessant aber nicht unbedingt einfach gemacht habe: „Während ich eine Frage stellte, konnte ich sehen, wie es in ihm zu arbeiten began, wie er versuchte, herauszufinden, warum ich diese Frage stellte […] und in welche Richtung er das Gespräch lenken könnte“.

Als „überaus intelligent“ bezeichnet Remnick Springsteen und Danny Goldberg, ein Musikmanager und langjähriger Bekannter, sagt es so: „Springsteen ist der schlauste Mensch, der mir je begegnet ist – nicht der informierteste oder gebildetste, aber der schlauste. Sein Verständnis für die Menschen ist einzigartig.“

Dämonen

Dass so eine menschliche wie musikalische „Genialität“ meist auch unweigerlich mit einer gewissen Portion „Wahnsinn“ kombiniert ist, bestätigt Carlin: „Ein gutmütiger Kerl, der unglaublich talentiert, aber auch sehr gequält ist." Springsteens Dämonen nisteten sich bereits im Kindesalter ein: Aufgewachsen ist Bruce Frederick Joseph Springsteen in einem schmuddeligen Haus in der Arbeiterstadt Freehold in New Jersey; teils bei seinen Großeltern, teils im elterlichen Haushalt mit seinem depressiven bis aggressiven Vater Doug, dessen eigene Jugend vom Tod seiner fünfjährigen Schwester Virgina überschattet wurde. Der Todesfall hinterließ die Familie am Boden zerstört. Jahrelang musste der kleine Bruce noch als Ersatz für die längst verstorbene Tante herhalten.

Vieles davon verarbeitete Springsteen in seinen Songs und kompensierte die Unzulänglichkeiten mit einem enormen Perfektionismus sowie extrem harter, schöpferischer Arbeit. (Er schrieb meist zehn Mal soviele Songs, wie für ein Album benötigt). Mit seinen Beobachtungen über das Leben des „kleinen Mannes“, inspiriert durch seine Herkunft, wurde er zur amerikanischen Arbeiter-Ikone. Doch auch mit dieser Glorifizierung hatte der „Boss“ zu kämpfen, war er doch selbst nie ein einfacher Arbeiter gewesen und inzwischen vielfacher Millionär. Zu den Depressionen gesellten sich auch Schuldgefühle, ein „rich man in a poor man’s shirt“ zu sein, wie er in „Better Days“ singt.

Sein "Jersey Girl"

Die dunklen Passagiere seines Lebens – die ihn manchmal annehmen ließen, sie würden ihn, wie einst seinen Vater, zerstören - gepaart mit seinem verbissenen Erfolgswillen, ließen jegliche romantische Beziehungen zu flüchtigen Angelegenheiten degradieren. So scheiterte seine erste Ehe mit der Schauspielerin Julianne Phillips bereits nach weniger als vier Jahren. Erst mit Patti Scialfa meisterte er auch den Alltag. Sie entstammt, wie auch Springsteen selbst, der Musikszene von Asbury Park, ist seit 1984 Mitglied seiner E Street Band, und seit 1991 seine Ehefrau. „Er wollte eine Familie, er wollte eine Beziehung und dafür hat er sehr, sehr hart gearbeitet“, erzählt Scialfa David Remnick bei dessen Visite auf der 150-Hektar-Familienfarm in Colts Neck, New Jersey: „So hart, wie er an seiner Musik arbeitet.“

David Remnick - "Über Bruce Springsteen". Das Cover
© Berlin Verlag "Über Bruce Springsteen" von David Remnick

Während die ebenfalls einst von Depressionen geplagte Springsteen-Gattin mit David Remnick überraschend offen, wie sonst selten, spricht, fehlte ihr bei Carlin dazu noch der Enthusiasmus. Die „offensichtlichen Komplexitäten darin, Ehemann und Ehefrau als auch Bandleader und Bandmitglied zu sein“, so Carlin, beantwortet Scialfa in Remnicks Buch: Ihre Rolle in der E Street Band weiß sie, ist „eher metaphorisch als musikalisch“, die Gitarre kaum hörbar, die Stimme nur eine von mehreren im Background. Aber „jedem im Publikum ist klar, dass sie Springsteens Frau, sein ‚Jersey Girl’ ist“, schreibt Remnick. „Scialfa spielt ihre Rolle als Angebetete und verwirrte Ehefrau ebenso gekonnt wie Steve Van Zandt seine als bester Freund.“ Ob Scialfa, die bisher drei eigene Alben veröffentlicht hat, auch deshalb immer wieder Konzerte ausfallen lässt – offiziell um bei den drei Kindern zu sein (das Paar hat zwei Söhne und eine Tochter) - bleibt ungesagt.

Zerstörte Hotel-Zimmer

Musikalisch unumgänglich in Springsteens Leben ist hingegen seine E Street Band, was deren Boss (die Mitglieder sind tatsächlich seine Angestellten) jedoch nicht immer so sah. 1989 löste er die Band völlig überraschend auf, da er sich musikalisch verändern wollte. „Ich brauchte eine Pause, musste andere Dinge machen, möglichereweise mit anderen Musikern spielen, was ich so lange nicht mehr gemacht hatte“, erzählt Springsteen Carlin. Die Bandmitglieder reagierten naturgemäß nicht erfreut über ihre abrupte Entlassung. Saxophonist, Clarence Clemons, zerstörte nach der Nachricht ein Hotelzimmer in Japan, wo sich der „Big Man“ gerade aufhielt. „Mein ganzes Leben hatte ich dieser Band gewidmet, dann bin ich einmal aus der Stadt und dann dieser besch… Anruf?“, erinnert sich der per Telefon gefeuerte Clemons in seinem letzten großen Interview mit Peter Ames Carlin.

Die "neue" E Street Band

Doch sein Gefühl nach dem ersten Schock sollte ihn nicht trügen: „Etwas in meiner Psyche sagte mir ‚Das ist okay. Er wird zurückkommen’“, so Clemons. 1999 erfolgte – trotz enormer Unsicherheit Springsteens – die viel umjubelte und überaus erfolgreiche Reunion, der weitere Nummer-eins-Alben wie „The Rising“, „Magic“ oder das aktuelle „Wrecking Ball“ folgten.

Inzwischen ist der „Big Man“, die Schulter an der sich Springsteen auf der Bühne (sowie am „Born to Run“-Cover) immer anlehnen konnte, verstorben. 2011 erlitt Clemons einen Schlaganfall. Auch der Organist und E Street-Mitglied der ersten Stunde, Danny Federici, lebt seit 2008 nicht mehr. „Es ist eine andere Band“, sagt Remnick im Gespräch über die „neue“ E Street Band. Doch trotz der persönlichen Verluste, die diese Todesfälle in der Band hinterlassen haben, seien „die Wunden nicht annähernd so tief wie die Verbundenheit“, so Carlin. Und genau das macht Bruce und seine E Street Band sowie deren ungebrochenen Erfolg aus: „Erinnerungen, gepaart mit neuen Gesichtern und die Vergänglichkeit der Zeit“ spricht Springsteen mit seiner Band nun an und gibt dabei, so Remnick, das Versprechen: „Musik zu machen bis zum bitteren Ende, solange die Zeit noch reicht.“


Info:
"Bruce" von Peter Ames Carlin im Edel Verlag
ISBN: 9783841901910
608 Seiten

"Über Bruce Springsteen" von David Remnick im Berlin Verlag
ISBN-13: 9783827011688
80 Seiten

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