Wagner-Gruppe: Putins Männer fürs Grobe?

Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe jagen in der Ukraine Staatspräsident Selenskyj und andere Politiker. Diese Schattenarmee hat schon 2014 im Donbass ihre Spuren hinterlassen und taucht auch in anderen Kriegsgebieten auf.

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Wagner-Gruppe: Putins Männer fürs Grobe? © Bild: 2014 Getty Images

Raketenangriffe erschüttern die Stadt. Ein regelrechter Ansturm der russischen Bodentruppen droht, die Hauptstadt der Ukraine zu zermalmen. Die Nerven in Kiew liegen bereits völlig blank, als die Führung der Ukraine vergangenen Freitag von westlichen Geheimdiensten erfährt, dass russische Undercover-Einheiten mit Mordaufträgen auf ihren Fährten sind. Der Bürgermeister Kiews, Vitali Klitschko, reagiert prompt. Er verhängt eine strikte Ausgangssperre. "Alle Zivilisten, die wir nachts auf den Straßen antreffen, werden als Saboteure und Erkundungstrupps des Feindes eingestuft und entsprechend behandelt", erläutert Klitschko, einst Champion im Schwergewichts-Boxen, forsch in einem Video, das er am Samstag veröffentlicht. Sie galt bis Montagmorgen. Seither ist ein enges Netz von Checkpoints gebildet worden. Fieberhaft wird trotz der Kampfhandlungen jedes Fahrzeug durchsucht.

Enge Verbindungen zu Putin nachgesagt

Schon seit Längerem werden in Kiew immer wieder mysteriöse rote Kreuze an Flachdächern von Gebäuden entdeckt. Sie wurden als Hinweise darauf interpretiert, dass die russische Führung bereits Spezialeinheit eingeschleust haben dürfte. Laut einem Bericht der britischen Zeitung "The Times" handelt sich dabei mit ziemlicher Sicherheit um Söldner der russischen Militärfirma Wagner Gruppe, der enge Verbindungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin nachgesagt werden.

Auftrag zum Mord

An die 4.000 paramilitärische Kämpfer dieser Schattenarmee sollen sich seit Wochen in der Ukraine aufhalten. Der Großteil soll mit Sabotage-Akten Unruhe stiften, doch ein harter, eigens ausgebildeter Trupp hat den Auftrag zum Mord: 23 Personen, die zum engsten Führungskreis der Ukraine gehören, sollen von entsprechend instruierten und trainierten Söldnern der Sicherheitsfirma ermordet werden. Vitali Klitschkos Name steht auf dieser gnadenlosen "Abschuss-Liste", ebenso sein Bruder Wladimir, aber ganz oben findet sich der Name des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj; wie er mittlerweile selbst bestätigte. Auch seine Frau Olena und der Rest seiner Familie stehen im Visier.

»Es werden Anschläge unter falscher Flagge vorbereitet, die der ukrainischen Regierung angelastet werden wollen«

Jagd auf Selenskyj

Mit einem regelrechten "Enthauptungsschlag" der Spitze der Ukraine will sich die russische Führung demnach den Weg freimachen. Ein führerloses Volk, das kapitulieren muss. So scheint der Plan zu lauten. "Sondereinheiten jagen Selenskyj, und sie bereiten Angriffe unter falscher Flagge in der Ukraine vor", bestätigen auch Beamte des US-Verteidigungsministeriums in anonymisierten Hintergrundgesprächen die Gerüchte. Mitte Jänner waren ähnliche Informationen veröffentlicht worden. "Es werden Anschläge unter falscher Flagge vorbereitet, die der ukrainischen Regierung angelastet werden wollen", warnte John Kirby, Sprecher des amerikanischen Verteidigungsministeriums bereits vor dem Ausbruch des Krieges vor solchen Aktionen: "Wir kennen dieses Vorgehen aus dem Jahr 2014."

"Grüne Männchen"

Damit spielt er auf eine zentrale Strategie an, die Russlands Führung zu Beginn des acht Jahre langen Konfliktes in der Ukraine einsetzte. Vor der Annexion der Krim und der Angriffe der Separatisten im Donbass auf Regierungstruppen tauchten 2014 russische Ex-Soldaten und Ultranationalisten in nicht markierten Uniformen auf. Als "kleine grüne Männchen" wurden diese mysteriösen Kämpfer bezeichnet, deren Einsatz den Weg für die Annexion der Krim ebnete, und die tatkräftig die prorussischen Milizen in Donezk und Luhansk unterstützten. Es waren jene Enklaven, deren Unabhängigkeit Russlands Präsident Wladimir Putin jetzt vor seinem groß angelegten Angriff auf die Ukraine formal anerkannte.

Der Name "Wagner"

Und auch jetzt dürften diese "kleinen grünen Männchen" direkt auf Geheiß des Kremls eine zentrale Rolle spielen. Denn im Hintergrund scheint der russische Militärgeheimdienst die Fäden zu ziehen. Dimitri Utkin, ein heute 51-jähriger ehemaliger Oberstleutnant der Spezialkräfte des russischen Militärgeheimdienstes sowie Veteran beider Tschetschenien-Kriege, gründete 2014 diesen Söldner-Trupp mit dem Ziel, im Ukraine-Konflikt einzugreifen. Utkin macht aus seiner Verherrlichung des Nationalsozialismus kein Hehl. Über seinen Schlüsselbeinen ist der SS-Schriftzug tätowiert. Als Geheimdienstoffizier hatte er den Decknamen "Wagner" gewählt - Hitlers Lieblingskomponisten.

© imago images/imagebroker

Die Mitglieder: Extremisten, Kriminelle, Ex-Soldaten

Diesen Namen wählte er dann für seine Kampf-Einheit: die Wagner-Gruppe. Dafür rekrutierte er Extremisten, Kriminelle bis hin zu Ex-Soldaten, die bereits in Tschetschenien aktiv gewesen waren. Der Feldzug der Wagner-Gruppe 2014 in der Ostukraine hinterließ eine Spur des Grauens. Skrupellos wurden Kriegsverbrechen begangen. Aus der Warte Putins war der Einsatz aber ein großer Erfolg, und er verlieh Utkin im Jahr 2016 für seinen Einsatz in der Ukraine einen Orden. Öffentlich und mit allem dazu gehörigen Pomp und Trara.

Einsätze der Schattenarmee

Ab diesem Zeitpunkt verwandelte sich der eilig zusammengescheuchte Söldnertrupp in ein regelrechtes Schattenheer, das Putin gezielt instrumentalisierte. Er kann mithilfe dieser Privatarmee in zahlreichen Konflikten mitmischen, ohne dass sich das offizielle Russland verstrickt. Vor allem ging es aber darum, das hohe politische Risiko zu vermeiden, Soldaten in Kriegsgebiete zu entsenden, die in Leichensäcken zurückkommen könnten. Die Wagner-Gruppe unterstützte Syriens Präsident Baschar al-Assad als Bodentruppe, während Russland offiziell nur Luftunterstützung bot. Im libyschen Bürgerkrieg griff das Söldnerheer auf Seiten des mit Russland eng vernetzten abtrünnigen Generals Khalifa Haftar ein. In der Zentralafrikanischen Republik Mozambique und nun auch Mali tritt die Wagner-Gruppe als Ausbildungseinheit für die lokalen Armeen auf.

Stichhaltige Beweise gibt es nur in wenigen Staaten, mutmaßlich sind es aber heute bereits Dutzende, in denen Wagner-Truppen aktiv sind. Meist geht es dabei heute um Interessen der russischen Führung oder staatsnaher Unternehmen. So griff die Wagner-Gruppe in Venezuela ein, als Staatschef Nicolás Maduro drohte, seine Macht zu verlieren. Mit seinem Schicksal eng verknüpft werden hohe Investitionen des russischen Öl-Konzerns Rosneft.

Was der Kreml dazu sagt

Das Paradoxe daran ist: In Russland sind die Arbeit als Söldner und ihr Engagement nicht erlaubt. Eine Firma namens Wagner Gruppe sei sogar verboten und ist nirgendwo registriert. Tatsächlich steckt hinter dieser Marke nicht nur ein Sicherheitsunternehmen, sondern Dutzende Einzelunternehmen, die zu einem großen Teil im Rohstoff-und Energiesektor tätig sind. Vor allem aber lässt sich eine Firma, die es gar nicht gibt, nicht zuordnen. Und so bestreiten Kreml-Sprecher und auch Putin selbst beharrlich jede Verbindung zwischen der russischen Führung und Wagner.

»Ein wichtiger Beweis ist die Ausrüstung. Welche Sicherheitsfirma der Welt verfügt über Kampfjets?«

Unübersehbare Indizien

Doch die Indizien sind unübersehbar. "Ein wichtiger Beweis ist die Ausrüstung", erläutert András Rácz, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik und Autor einer umfassenden Studie zur Rolle dieser Schattenarmee: "Welche Sicherheitsfirma der Welt verfügt über Kampfjets? Die Wagner-Gruppe sehr wohl.

Sie hat in Libyen sogar einen gesamten Militär-Flughafen aufgebaut. Dazu befindet sich die zentrale Basis der Wagner-Gruppe in der Stadt Molkino direkt am Gelände einer Sondereinheit des Geheimdienstes GRU."

Jewgeni Prigoschin, der "Koch Putins"

Und es verbirgt sich eine zentrale Figur hinter diesem Unternehmen, von dieser aus führt ein roter Faden direkt zu Wladimir Putin: Jewgeni Prigoschin gilt spätestens seit 2016 als eigentlicher Boss der Wagner-Gruppe. Der 60-Jährige trägt den Beinamen "Koch Putins". Der Besitzer einer Kette von Luxusrestaurants und einer Cateringfirma hat es vor allem dank Großaufträgen für die Versorgung der russischen Armee zu einem mehr als beträchtlichen Vermögen gebracht. Das Naheverhältnis zwischen Putin und Prigoschin ist kein Geheimnis, so ließ sich der sonst menschenscheue Präsident beim Mahl mit dem Wirt im Hintergrund fotografieren.

Die "Troll-Fabrik"

Brisant macht seine Rolle ein weiterer Aspekt: In St. Petersburg betreibt Prigoschin auch die "Internet Research Agency". Diese sogenannte "Troll-Fabrik" soll hinter den Manipulationsversuchen der US-Präsidentschaftswahlen 2016 stecken. Eine Verbindung zu Wagner dementiert Prigoschin kategorisch -doch sein Name steht auf Sanktionslisten der USA und der EU, die ihn in Verbindung mit dieser Gruppe bringen.

Dazu lieferte ein Zwischenfall während des Einsatzes des Söldnerheeres in Syrien einen Beweis, wie eng er in das Business eingebunden ist. Als im Februar 2018 im Osten des Bürgerkriegslandes Söldner der Wagner-Gruppe in ein schweres Feuergefecht mit US-Truppen gerieten, konnte der US-Geheimdienst Funksprüche abfangen, die Prigoschin schwer belasten. Er wurde dabei abgehört, wie er der syrischen Armee zusichert, dass "ein russischer Minister grünes Licht gegeben hätte, die Amerikaner anzugreifen".

»Neben Öl-oder Gasfeldern in Nahost sind bei den Einsätzen der Gruppen in afrikanischen Staaten Zugriffsrechte von Diamantenminen bis zu seltenen Erzen zentrale Motive für den Einsatz«

Ein Milliarden-Geschäft

Der Einsatz der Wagner-Gruppe in Syrien illustriert aber auch anschaulich, wie das Geschäftsmodell der "Gruppe" funktioniert. Das ins Firmengeflecht Wagners eingebundene Energieunternehmen Evro Polis schloss mit der staatlichen syrischen General Petroleum Corp. einen Vertrag ab: Dieser sieht vor, dass ein Viertel der Ölund Gasförderung in jenen Gebieten von Evro Polis durchgeführt werden können, die von der "Wagner-Gruppe bewacht werden. Russland-Experte Rácz betont, dass so gut wie alle Einsätze der Wagner-Gruppe nach diesem Muster ablaufen: "Neben Öl-oder Gasfeldern in Nahost sind bei den Einsätzen der Gruppen in afrikanischen Staaten Zugriffsrechte von Diamantenminen bis zu seltenen Erzen zentrale Motive für den Einsatz." Mittlerweile dürfte das Firmenvermögen auf mindestens zehn Milliarden US-Dollar angewachsen sein. Im Gegenzug kann Wladimir Putin auf ein Heer "grüner Männchen" zugreifen, auf einen Trupp von Männern für das extrem Grobe.

Medien riskieren eine Menge, wenn sie über diese Gruppe berichten, vor allem in Russland selbst. Der plötzliche Tod von drei Journalisten, die über die Hintergründe recherchierten, ist dokumentiert. Zu recherchieren gebe es viel. Die Einsätze der Wagner-Gruppe sind seit ihren Anfängen mit unvorstellbaren Gräueltaten verbunden. Meist waren es ihre Mitglieder selbst, die trotz ihres Verschwiegenheitsgebots über soziale Medien Beweise ihrer Taten veröffentlichten. So zeigten sie ein Video aus dem Syrien-Konflikt, bei dem ein Syrer bestialisch von dem Trupp ermordet wurde. Für eine andere Aufnahme filmten sie sich selbst beim Fußballspielen mit dem Kopf eines Toten und verbreiteten dies über das Internet.

2019 erklärten sich zwei Ex-Wagner-Mitarbeiter zu Interviews für einen Dokumentarfilm der BBC bereit. "Niemand will ein zusätzliches Maul stopfen müssen", erklärte einer mit frappierender Offenheit, warum Gefangene der Wagner-Kämpfer mitunter hingerichtet werden.

Infos über das Schattenheer

Doch auch Datenleaks und desaströse Fehler bei Einsätzen bringen immer mehr Licht ins Dunkle des Schattenheeres. So wurde beim Rückzug der Wagner-Söldner aus einem Vorort der libyschen Hauptstadt Tripolis im Frühling 2020 ein Tablet mit zahlreichen Daten versehentlich zurückgelassen: Echt-und Codenamen russischer Kämpfer, Shoppinglisten für Waffen, die eigentlich nur das russische Militär liefern kann, und Aufzeichnungen, wo zivile Wohngebiete vermint wurden, gelangten dadurch an die Öffentlichkeit.

Kampfansage der EU

Eine Kampfansage an die Wagner-Gruppe kam am 13. Dezember bereits von der EU, die aufgrund von Berichten über schwere Kriegsverbrechen Sanktionen gegen die Wagner-Gruppe verhängte. Wer dafür verantwortlich ist, daran ließ Josep Borell, der EU-Außenbeauftragte, keinen Zweifel: "Die Aktivitäten der Wagner- Gruppe sind Indiz für die hybride Kriegsführung Russlands: Sie sind eine weltweite Bedrohung, verursachen Instabilität in einer Reihe von Staaten", formulierte er es unmissverständlich.

Zurück zu den Wurzeln

Nach dieser Metamorphose vom kleinen paramilitärischen Start-up zum Sicherheitskonzern mit phasenweise bis zu 10.000 Einsatzkräften im Sold scheint die Wagner-Gruppe nun zu ihren Wurzeln zurückzukehren. Bereits im Oktober hat ein besonders skrupellos agierender Teil der Gruppe für Gerüchte gesorgt, dass ein weiterer Einsatz in der Ukraine bevorstehen könnte. Mitglieder der "Rusich"-Truppe, die bereits 2014 in der Ukraine im Einsatz waren, veröffentlichten damals Fotos, die sie bei Erkundungen in der Ukraine zeigten.

Ein Indiz, das zeigt, wie lange und präzise der Angriffskrieg Wladimir Putins vorbereitet war.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 09/2022.