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Migration als Chance: Wie die Ukraine-Krise Polens Arbeitsmarkt transformiert

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Ukraine Flaggen
©Bild: Elke Mayr
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Der Ukraine-Krieg hat zu massiven Migrationsbewegungen geführt. Eine Studie aus dem Jahr 2023 hat die Auswirkungen des Zustroms ukrainischer Arbeitskräfte infolge der russischen Aggression im Jahr 2014 auf lokale Migrationsbewegungen in Polen analysiert - und kommt zu einem positiven Ergebnis: Die regionale Zuwanderung wirkt sich günstig für die einheimische Bevölkerung aus.

Die geopolitischen Erschütterungen in Osteuropa, insbesondere die russische Aggression gegen die Ukraine, haben nicht nur zu einer humanitären Krise geführt, sondern auch zu einer beispiellosen Migrationswelle. Europäische Länder wie Estland, Tschechien, Polen und Litauen sind laut OECD die größten Pro-Kopf-Empfänger ukrainischer Flüchtlinge unter den OECD-Ländern. Spitzenreiter ist dabei Polen, das laut UNHCR aktuell die größte absolute Zahl an ukrainischen Flüchtlingen beherbergt.

Die Studie im Überblick

Wissenschaftler David Zuchowski vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat in seiner Studie "Migration Response to an Immigration Shock: Evidence from Russia’s Aggression against Ukraine" (2023) die Auswirkungen der ukrainischen Flüchtlingswelle auf Polen analysiert. Und er berichtet über die positiven Aspekte der Migration. Die Ankunft von Millionen ukrainischer Flüchtlinge hat tiefgreifende Folgen für den lokalen Arbeitsmarkt - jedoch keine negativen.

Die Studie nutzt den Instrumentalvariablenansatz, der sich auf einzigartige historische Daten zur Zwangsumsiedlung ukrainischer Familien in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg stützt, um die Verteilung der Flüchtlinge in Polen zu untersuchen. Zuchowskis Ergebnisse zeigen, dass die Ankunft der Flüchtlinge die Abwanderung polnischer Bürger sowohl im Inland als auch ins Ausland verringert hat. Dieser Rückgang der Abwanderung ist auf das Hochskalieren der lokalen Arbeitsmärkte zurückzuführen, wie der Wissenschaftler in seiner Studie aufzeigt.

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Historischer Kontext und methodischer Ansatz

Die Studie greift auf einzigartige historische Ereignisse zurück, um die Verteilung der ukrainischen Flüchtlinge in Polen zu erklären. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten Ukrainer:innen, die innerhalb der neuen Grenzen Polens lebten, in die Sowjetunion umgesiedelt. Die verbleibende Minderheit - rund 140.000 Ukrainer:innen, die hauptsächlich im Södosten Polens lebten - wurde im Rahmen der Operation Vistula (Aktion Weichsel) im April 1947 zwangsweise von der Polnischen Volksarmee innerhalb Polens umgesiedelt. Das offizielle Ziel dieser erzwungenen Umsiedlung war es, die Rekrutierung neuer Mitglieder der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) zu verhindern und jede potenzielle Zusammenarbeit mit dieser ukrainisch-nationalistischen paramilitärischen Formation zu unterdrücken. Die Ukrainer:innen, die im Südosten Polens lebten, sollten "unter der polnischen Bevölkerung verstreut werden, sodass sie keine Gefahr [für die Polnische Volksrepublik] darstellen", wie der Historiker Eugeniusz Misiło berichtete.
Die Bemühungen der polnischen Behörden, einen Einheitsstaat zu schaffen und die ukrainische nationale Identität zu unterdrücken, führten Anfang der 1950er Jahre zum Verbot der ukrainischen Sprache und Kultur. Im Laufe der Zeit lockerten sich diese Regelungen und es entwickelten sich ukrainische Einrichtungen und Netzwerke in Polen. Die Existenz dieser Zentren zogen auch zeitgenössische Wanderarbeiter:innen aus der Ukraine an. Und die historischen Daten erklären, die aktuelle Verteilung ukrainischer Flüchtlinge: Sie ließen sich weit entfernt von der ukrainischen Grenze und an Orten nieder, die vor dem Zweiten Weltkrieg nicht von Ukrainern bevölkert waren.

Zuchowski verwendet diese historischen Muster als Instrument, um die heutige Verteilung der Flüchtlinge zu modellieren und die Auswirkungen auf den lokalen Arbeitsmarkt zu isolieren.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs begann Polen einen Übergang von einem kommunistischen zu einem freien Markt. Das führte zu einem Wunsch nach besseren Lebensbedingungen und die Zahl der Personen mit höherer Bildung ist stark gestiegen: Während der Anteil junger Menschen mit Hochschulbildung in Polen in den 1990er Jahren noch 10-15% betrug, waren es 2024 fast 45% Trotz des stetigen wirtschaftlichen Wachstums war die polnische Wirtschaft nicht in der Lage, die übermäßige Anzahl junger Menschen mit höherer Bildung aufzunehmen. Daher wanderten viele Betroffene aus.

Angesichts der hohen Emigrationsraten Polens könnte man anehmen, dass der massive und plötzliche Zustrom ukrainischer Arbeitskräfte den polnischen "Exodus" erhöht, indem er beispielsweise den Wettbewerb auf den betroffenen lokalen Arbeitsmärkten verstärkt. Die polnische Emigration ging jedoch parallel zum Zustrom temporärer Arbeitskräfte aus der Ukraine zurück. Darüber hinaus ist der Anteil hochqualifizierter Auswanderer an allen polnischen Auswanderern von einem langjährigen Trend von über 40% auf unter 35% gesunken. Wissenschaftler David Zuchowski stellt daher in seiner Studie die Frage: Könnte der unerwartete Zustrom temporärer Arbeitskräfte aus der Ukraine dazu beitragen, den Rückgang der polnischen Emigration, insbesondere hochqualifizierter Arbeitskräfte, zu erklären?

Kernergebnisse der Studie

Die Analyse ergab, dass Regionen, die eine höhere Anzahl von ukrainischen Arbeitnehmer:innen aufnahmen, einen signifikanten Rückgang der Abwanderung verzeichneten. Konkret führte der Zuzug von 1.000 ukrainischen Arbeitern zu einer Reduktion der internen Migration um etwa 19 Personen und der internationalen Migration um etwa 5 Personen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die ukrainischen Flüchtlinge eine stabilisierende Wirkung auf den lokalen Arbeitsmarkt hatten, indem sie die Abwanderung polnischer Arbeitskräfte verringerten.

Warum ist das so? In der Studie liefert der Autor zwei mögliche Erklärungen für den positiven Effekt:

  1. Ein verbindlicher Mindestlohn kann einheimische Arbeitnehmer:innen schützen, die möglicherweise mit Zugewanderten konkurrieren.
  2. Der Zustrom aus der Ukraine führt nicht unbedingt zu erhöhtem Wettbewerb auf den lokalen Arbeitsmärkten in Polen, wenn Einwanderer und Einheimische sich ergänzen anstatt sich zu ersetzen. In der Studie wird gezeigt, dass fast 90% der ukrainischen Arbeiter:innen in einfachen Berufen beschäftigt waren, die prinzipiell keine akademische Ausbildung erfordern. Sie waren somit in Berufen tätig, die die Fähigkeiten der hochqualifizierten polnischen Arbeitskräfte ergänzten.

Polnische Absolventen und Absolventinnen bevorzugten laut Studie oft, auszuwandern und im Ausland manuelle Arbeit anzunehmen, um niedrig bezahlte Stellen unter ihren Qualifikationen in Polen zu vermeiden. Ukrainer:innen waren bereit, selbst niedrig bezahlte Jobs in Polen anzunehmen. Das hängt mit dem Reservationslohn (= niedrigster Lohnsatz, zu dem man bereit wäre, eine bestimmte Art von Arbeit anzunehmen) zusammen. Temporäre ausländische Arbeitskräfte geben meist einen bedeutenden Teil ihres Einkommens im Heimatland aus, daher hängt ihr Reservationslohn stark mit dem Wechselkurs zusammen. Der Wert des polnischen Zloty ist nach der russischen Aggression von etwa 2 auf etwa 7 Hrywnja (ukrainische Währung) gestiegen ist. Daher waren ukrainische Arbeitnehmer zwar nicht unbedingt gering qualifiziert, hatten aber wahrscheinlich einen niedrigeren Reservationslohn. Als Ergebnis waren ukrainische Arbeiter bereit, auch niedrig bezahlte Jobs anzunehmen, für die Einheimische nicht bereit waren.

Zusammengefasst kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Zuwanderung aus der Ukraine in Polen nicht unbedingt zu mehr Wettbewerb auf den lokalen Arbeitsmärkten geführt hat, insbesondere wenn Einwander:innen und Einheimische komplementäre Bereiche belegen. In diesem Fall führte die Migration zu einer Vergrößerung der lokalen Arbeitsmärkte, wodurch sich die Auswanderung von einheimischen Arbeitskräften verringert.

Buchtipps:

Das Buch "Migration: 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt" von Hein de Haas und Jürgen Neubauer liefert Fakten zu Slogans wie »Das Migrationsaufkommen ist so hoch wie nie zuvor«, »Die Klimakrise wird zu einer Massenmigration führen«.*

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Wirtschaftliche und soziale Implikationen

Die Studie zeigt, dass die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt positive Effekte haben kann, insbesondere in Regionen, die von Abwanderung betroffen sind. Die Ankunft der Ukrainer:innen führte zu einer Belebung der lokalen Wirtschaft, da die Nachfrage nach Wohnraum, Konsumgütern und Dienstleistungen stieg. Zudem trugen die ukrainischen Flüchtlinge dazu bei, offene Stellen zu besetzen und das hat wiederum den Unternehmen geholfen, ihre Produktivität zu steigern.

Herausforderungen und Chancen

Trotz der positiven Effekte stehen Polen und andere Aufnahmeländer vor Herausforderungen. Die Integration von Flüchtlingen erfordert effektive politische Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf Sprachunterricht, Bildung und berufliche Qualifizierung. Gleichzeitig bietet die aktuelle Situation eine Chance, demografische Probleme wie die Alterung der Bevölkerung und den Fachkräftemangel zu mildern.

Fazit

Die Studie von David Zuchowski liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie eine scheinbar herausfordernde Situation – die massive Zuwanderung von Flüchtlingen – genutzt werden kann, um langfristige wirtschaftliche und soziale Vorteile zu erzielen. Sie zeigt, dass Migration, wenn sie richtig gemanagt wird, eine Bereicherung für die Aufnahmegesellschaft sein kann. Polen, das einst ein Land der Emigration war, erlebt nun eine Phase, in der es seine Rolle in Europa neu definiert – als ein Land, das von seiner Offenheit gegenüber neuen Bürger:innen profitiert.

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