Sie läuft ihm nach, der ihr fremdgeht

Lorenz legt mir ein Video auf den Tisch, das Jutta in Unterwäsche zeigt, wie sie sich offenbar auf seiner Motorhaube "räkelt". Als er den Film abspielt, erkenne ich die weinende Frau, die ihn daran hindern will, zu seiner Geliebten zu fahren

von LIEBES LEBEN - Sie läuft ihm nach, der ihr fremdgeht © Bild: Nathan Murrell

Jutta sitzt verschämt neben Lorenz in der Paartherapie. "Es ist mir so peinlich", sagt sie. "Aber er besaß die Gemeinheit, an meinem Geburtstag zu seiner Freundin zu fahren." Eigentlich seien die beiden das perfekte Paar gewesen. 23 Jahre habe sie ihm den Rücken freigehalten, ihn in der Karriere unterstützt, Haushalt und Familie gerockt. Und wegen einer 22-jährigen, die ihm den Kopf verdreht habe, solle sie alles aufgeben.

"Mach, was du willst", poltert Lorenz im Video. Die binnen drei Wochen um sieben Kilo abgemagerte und spärlich bekleidete Frau breitet ihre Arme aus und kommt auf den schimpfenden Lorenz und die Handykamera zu. "Lass mich fahren", zischt er. "Aber wir lieben uns doch, ich weiß es doch, dass wir für immer zusammengehören", wimmert sie und lässt nicht von ihm ab. Als sie zur nächsten Umarmungsattacke ansetzt, wackelt das Bild. Das Schnaufen und Wetzen hört sich wie ein Gerangel an, bis ein älterer Mann, der Wohnungsnachbar, dazwischengeht und die sich sträubende Jutta vom Fahrzeug wegzieht. Schlussszene: Lorenz filmt durch das offene Fahrerfenster bei schon laufendem Motor die sich losreißende Frau, die sich vor sein Auto stellt, darum flehend, er möge bleiben. "Bitte bleib! Ich brauche dich doch", wimmert sie immer lauter. Filmriss.

Ja, so einen "Filmriss" erleiden Menschen, deren Partnerin oder Partner sich nahezu unbemerkt "entliebt" und sie von jetzt auf gleich vor vollendete Tatsachen stellt. Juttas Weltbild ist auf den Kopf gestellt. Nichts ist wie früher, seit sie hinter die Affäre ihres Mannes gekommen ist. Aber noch schlimmer als der Betrug und die drohende Trennung ist eins: Juttas Klammern.

Um zu verstehen, warum Menschen wie Jutta nicht einfach ihre Unabhängigkeit feiern und den Fremdgeher abhaken, muss man wissen: Eine einseitig beschlossene Trennung kommt einem Verlusttrauma wie nach einem unerwarteten Todesfall gleich. Wie aus dem Nichts geht all das nicht mehr, was bisher Routine, selbstverständlich und ganz einfach Normalität war. Jutta fühlte sich all die Jahre ihrer Ehe sicher, geborgen und geliebt. Sie verband mit Lorenz die Aussicht, selbstredend bis ans Lebende zusammen zu sein.

Und nun? Anstatt Wut zu empfinden, spaltet Jutta die Lieblosigkeit ihres Mannes einfach ab. Und liebt ihn trotzig weiter. Ihre ja schon blinde Fixierung zeigt, wie sehr sie die Realität verleugnet und nicht im entferntesten bereit ist, seine drastische Veränderung anzuerkennen. Für sie steht die Zeit still. Doch warum klammert sie?

Um das Trauma des Verlustes ungeschehen zu machen, braucht sie Lorenz, der ihr sagen soll, dass alles nur ein böser Traum gewesen sei. Dass er sie weiterhin liebe und alles wieder werde, wie es war. Typisch für Trennungs- und Verlusttraumata, tiefe seelische Verletzungen und Kränkungen sind die unbewusst motivierten Bewältigungsmittel der Verleugnung und Verdrängung, um den Ausnahmezustand abzumildern, die unerträglich gewordene Situation auszublenden. Umso härter der Aufprall auf dem Boden der Tatsachen, wenn Verdrängung nicht mehr möglich ist.

Auch wenn eine Trennung schon grausame Wirklichkeit ist, aber einer noch immer dem anderen hinterher läuft, ist es wichtig, nochmal gemeinsam den Film des Liebeslebens Revue passieren zu lassen. Und genau hinzuschauen: es dann buchstäblich gut sein zu lassen, und vor allem die eigene Würde zu wahren.

Im Laufe der Zeit entdeckt Jutta die verborgenen Chancen in der Krise, erstmals im Leben wirklich auf sich zu schauen und mit sich allein klarzukommen. Und gerade das bedeutet eine neue Dimension der Freiheit und heißt auch, keine Klischees mehr erfüllen zu müssen wie das der ewigen Liebe. Das Leben zu lieben, heißt manchmal auch, loszulassen, umzuplanen, in Krisen zu wachsen.

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