"Der Tod meiner Frau
war völlig umsonst"

Die aktuelle Messerattacke in der Praterstraße und der Mord vom Brunnenmarkt offenbaren tragische Parallelen. Der Witwer des damaligen Opfers klagt an.

von Chronik - "Der Tod meiner Frau
war völlig umsonst" © Bild: News Heinz Stephan Tesarek

Die Blutlacke, die dunkelrot im Asphalt versickert. Das Absperrband der Polizei, das den Tatort offiziös umrahmt. Die geschäftigen Beamten von der Spurensicherung in ihren schneeweißen Overalls. Seit dem 4. Mai 2016 bekommt Franz E. diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Bilder, die jenen, die er nun im Fernsehen sah, brutal ähneln. "Bei den Berichten über die Messerattacke in der Praterstraße war mein erster Gedanke: Es hat sich in den vergangenen zwei Jahren nichts geändert, der Tod meiner Frau war somit völlig umsonst", sagt E. mit zittriger Stimme. "Und das macht es für mich noch schwieriger, ihn zu verarbeiten." Begreifen, was da passierte und weshalb es passieren konnte, das werde er ohnedies nie.

Damals war es ein 21-jähriger Mann aus Kenia, der als "U-Boot" mit negativem Asylbescheid in den Straßen und Gassen rund und um den Wiener Brunnenmarkt lebte -ehe er ohne nachvollziehbaren Grund Maria E., die Frau von Franz, mit einer Eisenstange zu Tode prügelte. In geistiger Umnachtung, aus Zorn über seine Lebenssituation.

Bohrende Fragen

Diesmal war es ein 23-jähriger Mann aus Afghanistan, der als "U-Boot" in den Straßen und Gassen rund um den Wiener Praterstern lebte -ehe er ohne nachvollziehbaren Grund eine dreiköpfige Familie und danach seinen Dealer niederstach und schwer verletzte. Aus Zorn über seine Lebenssituation. Seine Anwälte zweifeln an seiner Zurechungsfähigkeit.

Doch was bleibt, ist die bohrende Frage: Wie konnte der Asylwerber, dessen Antrag längst abschlägig beschieden worden war, nach Verbüßung einer viermonatigen Haftstrafe wegen Drogenhandels -seiner zweiten Verurteilung -einfach untertauchen? Warum wurde nach der Entlassung aus dem Gefängnis keine Bewährungshilfe zugezogen, warum wurde über ihn nicht die Abschiebehaft verhängt?

Helfried Haas, scheidender Vizepräsident des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen, ist zwar nicht mit dem aktuellen Fall betraut. Doch als Leiter jener Untersuchungskommission, die den Mord vom Brunnenmarkt untersuchte und dabei fatale Behördenpannen zutage förderte, sieht er durchaus Parallelen zwischen den beiden Bluttaten. "Justiz, Exekutive -es ist ein ganz grundsätzliches Problem, dass sich die einzelnen Institutionen zu sehr voneinander abschotten", ist der Fachmann überzeugt. "Es gab damals kein umfassendes Case Management, die Schnittstellen zwischen den einzelnen Behörden und der mangelnde Informationsfluss sind das Problem", sagt Haas. Der Staat verpulvere viel Geld für teure Abschiebungen, anstatt Asylwerber mit abgewiesenem Bescheid vernünftig zu betreuen und danach anständig rückzuführen.

"Eigentlich ginge es darum, auf diese Weise ein Untertauchen und Abdriften in die Kriminalität zu verhindert", ergänzt der Wiener Anwalt Alfred Boran, der Franz E. seit dem Tod seiner Frau Maria vertritt. "Stattdessen weiß die eine Behörde nicht, was die andere tut", echauffi ert sich der erfahrene Strafverteidiger. Und genau diese Unwissenheit, so Boran, erweise sich als lebensgefährlich.

Ein gebrochener Mann

Lebensgefährlich, mitunter aber auch tödlich. Kaum einer weiß das besser als Franz E., der nunmehrige Witwer. Als seine Frau noch lebte, war der Wiener ein Ausbund an Kraft, über Jahrzehnte hinweg lenkte er beruflich tonnenschwere Transportlaster - heute, mit 67 Jahren, ist er ein gebrochener Mann. Vor sich auf dem hellen Holztisch hat er seine Lieblingsfotos ausgebreitet, und sie wirken wie Stationen auf einer Reise in die Vergangenheit: Gemeinsam in Kroatien, Maria und er auf ihrem 300 PS starken Boot "Seeteufel", in der Pension wollten sie einen Gutteil ihrer Zeit am Meer verbringen. Maria im Kreise ihrer drei Kinder und vier Enkelkinder, das letzte kam gerade einmal zwei Monate vor ihrem Tod zur Welt. "Die Kleine war ihr ganzer Stolz", erinnert sich Franz.

Ganz zentral hat er eine blaue, samtene Schachtel mit einer Medaille drapiert. "Partnerschaft für Sicherheit" ist in das Metall graviert und auf der Rückseite Marias Vor-und Zuname. Bürgermeister Michael Häupl hatte sie im Rahmen einer großen Feier für ihre unentgeltlichen Verdienste um die Schulwegsicherung geehrt. Die Medaille hat Franz behalten, alle anderen Auszeichnungen für Marias ehrenamtliche Tätigkeiten hat er in seinem "Zorn über die Untätigkeit der Politik" in ein Kuvert gesteckt und aus Protest zurück ins Wiener Rathaus geschickt.

Am 7. März 2018 hat Franz in den Spätnachrichten gesehen, was in der Praterstraße passiert war. Minuten, die er unwillkürlich sofort mit jenen Momenten verknüpfte, als die Polizei am 4. Mai 2016 gegen fünf Uhr morgens bei ihm in Wien-Simmering läutete. "Es geht um Ihre Frau -sie hat einen Unfall gehabt."

Unfall? Die Staatsanwaltschaft, die Marias Tod untersuchte, sieht das naturgemäß differenzierter. Der kenianische Obdachlose, protokollierte sie unter dem Aktenzeichen 711 St 30/16d, habe "Maria E. getötet, indem er ihr mit einer 11,5 Kilo schweren Eisenstange zumindest acht Mal auf den Kopf und gegen den Oberkörper schlug, wodurch sie eine letale Schädeltrümmerfraktur erlitt".

Populistisches Potenzial

Die 54-jährige Maria, die sich mit ihrem eigenen kleinen Reinigungsunternehmen selbstständig gemacht hatte, war zu einer Filiale jener Wettbürokette unterwegs, für die sie stadtweit den Putzdienst übernommen hatte. "Wenn sie in der Nacht arbeitete, habe ich sie in der Regel begleitet", sagt Franz. Doch ausgerechnet in dieser Nacht sei er nicht dabei gewesen, weil Maria gemeinsam mit einer Kollegin auf Tour war, die sie einschulen wollte. "Ich war nicht dabei - das werde ich mir nie verzeihen."

Damals wie jetzt stürzte sich die Politik auf das populistisch durchaus brauchbare Thema. Salbungsvollen Beileidsbekundungen folgten vollmundige Ankündigungen: "Wenn man sich die Begleitumstände näher ansieht, dann packt einen der Zorn", sagte der ehemalige Justizminister Wolfgang Brandstetter nach der Attacke vom Brunnenmarkt. Es gelte, "Schwachstellen im System aufzudecken und ergebnisoffen über allfälligen Handlungsbedarf -auch um den Preis neuer Regelungen -zu diskutieren." Nach der Attacke in der Praterstraße sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz: "Ich bin in Gedanken bei den Opfern. Vorfälle wie diese sind unerträglich und dürfen keinesfalls toleriert werden."

Was bisher tatsächlich passierte? Franz E. hat die Republik auf Amtshaftung geklagt. Sein Trauerschaden wurde mit etwa 10.000 Euro taxiert. Die anteiligen Kosten für das Begräbnis seiner Maria sind in der Summe bereits inkludiert.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe von News Nr. 11/2018 erschienen.