Das beinharte
Geschäft der Supermärkte

Niedrige Margen, zähes Tagesgeschäft, Buhlen um jeden Kunden

Der Lebensmittelhandel ist ein beinhartes Business. Die Margen sind niedrig, das tägliche Geschäft ist zäh, um jeden Kunden wird gebuhlt. Verdrängung ist das Zauberwort. Wer nicht mithalten kann, geht pleite - so wie Zielpunkt.

von Supermarkt © Bild: istockphoto

Freitag, 27. November. Die Billa-Filiale in der Wiener Taborstraße. Ein Mann steht in der Feinkostabteilung und bestellt 20 Deka Extrawurst. "Wollen Sie nicht lieber 25 Deka, das wäre günstiger?“, fragt die Verkäuferin. Wer mehr nimmt, zahlt acht Prozent weniger. Das Gefühl, Geld zu sparen, verführt dazu, mehr zu kaufen, als man braucht. So geht Supermarkt.

Erfolg über Marktanteile

Das Geschäft ist umkämpft, das Verkaufspersonal auf die Frage "Darf es ein bisschen mehr sein?“ geschult. Das Kalkül der Geschäftsleitung: Je höher der Umsatz, desto mehr bleibt in der Kassa übrig. Und je mehr Umsatz ein Supermarkt erzielt, desto weniger kriegt die Konkurrenz vom Kuchen ab. "Das Wachstum im Lebensmitteleinzelhandel ist gering. Daher wird der Erfolg über Marktanteile definiert. Diese werden durch die Verdrängung der Konkurrenz erzielt“, sagt Peter Schnedlitz, Professor am Institut für Handel und Marketing an der Wirtschaftsuniversität Wien.

»Darf es ein bisschen mehr sein?«

Im Vorjahr stiegen die Gesamtumsätze der Lebensmittelbranche laut Marktforschungsinstitut Nielsen auf 18,8 Milliarden Euro. Das entspricht einer nominellen Umsatzsteigerung von 0,3 Prozent, rechnet Ernst Gittenberger, Studienleiter der KMU Forschung Austria, vor. Aber: "Wenn man die Preiseffekte im Lebensmitteleinzelhandel berücksichtigt, kommt ein Minus von 1,3 Prozent heraus.“

Brutales Wettrennen

Das Wettrennen um das attraktivere Einkaufswagerl wird immer brutaler. Trotz hoher Machtkonzentration der Marktbeteiligten. Die Branchenprimusse sind Rewe (Billa, Adeg, Penny Markt, Bipa) und Spar. Sie haben einen gemeinsamen Marktanteil von 65,6 Prozent. Rechnet man Hofer dazu, liegen die drei umsatzstärksten Lebensmittelhändler bei einem Marktanteil von 84,3 Prozent. Sie rittern um minimale Gewinne, die in österreichweit insgesamt 5500 Filialen generiert werden müssen. Die Geschäfte werden laufend modernisiert; die grundlegende Renovierung einer mittelgroßen Filiale kostet rund 500.000 bis eine Million Euro. Ganze Abteilungen beschäftigen sich mit der möglichst verkaufsfördernden Anordnung der Waren - in "Bückzone“, "Reckzone“ oder "Sichtzone“. Was unterm Strich bleibt, ist dennoch bescheiden. Peter Schnedlitz: "Wenn ein Lebensmittelunternehmen hundert Euro Umsatz macht, bleiben ein bis zwei Euro Gewinn übrig. Das entspricht einer Umsatzrendite von ein bis zwei Prozent. Wenn man da als Manager etwas falsch macht, rutscht man in der Rentabilität schnell ab oder wird gar insolvent.“

Wie rasch es zum Worst Case kommt, zeigt sich am Beispiel Zielpunkt. Das Unternehmen mit 229 Filialen und rund 2.700 Mitarbeitern schwächelte bereits seit vielen Jahren, als es vor drei Jahren an die Pfeiffer-Gruppe mit Sitz in Traun verkauft wurde. Das oberösterreichische Unternehmen betreibt neben Zielpunkt auch die Unimärkte, Eigentümer ist der 49-jährige Georg Pfeiffer. Wegen einer negativen Fortbestandsprognose zog dieser die Reißleine. Seine Firmengruppe soll 50 Millionen Euro in den Zielpunkt gesteckt haben. Weiteres Geld wollte er nicht in die Hand nehmen. Bleiben Schulden von 237 Millionen Euro.

"Unglücklicher Zufall"

Vor Kurzem verkaufte Pfeiffer seine Handelstochter C+C Pfeiffer an den Schweizer Coop-Konzern. In einem Schreiben an die Mitarbeiter am 4. November schrieb er: "Vor uns liegt nun einiges an Veränderungen, auf die wir uns intensiv vorbereitet haben. Ich zähle auf Ihre Bereitschaft, sie mitzutragen und aktiv mitzugestalten.“ 26 Tage später wurde Zielpunkt liquidiert. Dabei hatte Pfeiffer noch im November 70 Immobilien von der deutschen Tengelmann-Gruppe, einst Zielpunkt-Eigentümer, gekauft. Gewerkschaftsboss Wolfgang Katzian vermutet, dass Pfeiffer die guten Standorte behalten und die schlechten über die Insolvenz abgeben will. Pfeiffer dementiert das: "Der Immobilien-Deal ist mehrere Monate in Vorbereitung und Teil des Sanierungskonzepts. Dass dies zeitlich so zusammenfällt, ist ein unglücklicher Zufall.“

Die Macht der Supermärkte reicht noch viel weiter: Rund 500 Lieferanten sind von der Zielpunkt-Pleite betroffen. Einer davon ist die steirische Fleischerei Schirnhofer, die mehr als 37 Prozent ihres Umsatzes über Zielpunkt erzielte. Der Fall von Zielpunkt zwang auch seinen Fleischlieferanten in die Knie: Firmenchef Karl Schirnhofer musste Insolvenz anmelden. Er will das Unternehmen nach dem Konkursverfahren selbst wieder aufbauen.

An Schirnhofer hängen 280 Gläubiger und 269 Mitarbeiter. Weitere Lieferanten sind die Bäckereien Ströck und Anker, die nach eigenen Angaben aber kein Problem haben. Insgesamt stehen mehr als 3.000 Mitarbeiter jetzt, kurz vor Weihnachten, ohne Lohn da. Eine Mitarbeiterin der Zielpunkt-Filiale in der Praterstraße sagt: "Warum ich noch hier bin, obwohl ich kein Gehalt bekomme? Weil ich nicht kündigen und damit meine Ansprüche verlieren möchte.“ Einzige Hoffnung für ein paar Angestellte: Regionalleiter anderer Lebensmittelhändler verteilen schon ihre Visitenkarten bei den betroffenen Mitarbeitern - vor allem die Platzhirsche.

»Warum ich ohne Gehalt noch hier bin? Weil ich nicht meine Ansprüche verlieren möchte.«

So holt sich die Konkurrenz manche Mitarbeiter und verteidigt ihr Revier im Match um Platz eins. Das wird zwischen Billa/Rewe und Spar ausgetragen. Spar ist vor allem im Westen Österreichs stark, im Osten hat Billa die Nase vorne. Um im Kopf-an-Kopf-Rennen zu bestehen, investiert Spar im Osten viel Geld - vor allem in preiswerte Angebote und neue Filialen. "Seit einem Jahr sind in Wien kaum noch freie Gewerbeimmobilien vorhanden. Der Druck wächst“, sagt ein Makler.

Kampf um jede Filiale

Es ist ein Kampf um jede einzelne Immobilie. Ein Beispiel: Die Billa-Filiale am Praterstern ist das umsatzstärkste Geschäft in Österreich. Zwei Gehminuten entfernt, in der Franzensbrückenstraße 20, wurde vor eineinhalb Jahren ein Geschäftslokal frei. Spar zeigte Interesse. Genau gegenüber liegt eine Hofer-Filiale. Billa wollte keine weitere Konkurrenz und zahlte einen hohen Preis für den Vertrag. "Nur damit Spar dort nicht hinkommt. Auch wenn die Filiale wenig Gewinn abwirft“, sagt ein Billa-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte.

Der Wettlauf spielt sich nicht nur über solche DKT-ähnlichen Spiele, sondern auch über Produkte ab. So hat die Drogeriekette DM die Bioprodukte von Alnatura gelistet. Das deutsche Unternehmen ist für seine Qualität bekannt und mehrfach ausgezeichnet worden. Seit Kurzem hat DM selbst eine Bio-Eigenmarke - "DM Bio“ - kreiert und tritt damit gegen den eigenen Partner in Konkurrenz. Angefacht wird die Rivalität dadurch, dass Alnatura seit zwei Monaten auch bei Billa und Merkur in den Regalen steht. Und wieder beißt sich die Katze in den Schwanz, denn erstens hat Billa mit "Ja! Natürlich“ schon eine Bio-Eigenmarke, und zweitens ist Erzrivale Spar auch noch an DM beteiligt.

Vernünftigere Kunden

Der Konkurrenzkampf ist aber nur eines der Probleme der Branche. Die Kunden spielen nicht mehr mit und kaufen vernünftiger ein. Früher wurde alles in den Einkaufswagen geschmissen, Hauptsache, es war billig. Was nicht gebraucht wurde, wurde weggeworfen. Dramatisch wirkt sich die Zurückhaltung bei Wurst und Fleisch aus; seit einem Jahr wird davon deutlich weniger gekauft. Kunden, Lieferanten und Gesetze fordern mehr Qualität ein. Alfred Greimel von der Lebensmittelprüfgesellschaft Quality Austria erklärt: "Die Rückrufe bei Lebensmitteln haben sich schlagartig erhöht. Die Produktwarnungen sind im ersten Halbjahr um 19 Prozent gestiegen.“ Grund sei weniger der lasche Umgang mit den Lebensmitteln als vielmehr die Angst der Lieferanten, sie könnten schadhafte Waren ausliefern.

Guter Rat, wie man Kunden fängt, ist teuer. Ein Spar-Manager sagt: "So etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal gibt es bei uns kaum noch. Hat einer eine gute Idee, kupfert sie die Konkurrenz gleich ab. Die Sticker-Alben sind ein klassisches Beispiel.“ Auch beim Thema Luxus sind alle mitgezogen. Mittlerweile bieten auch die Diskonter Lidl und Hofer feinen Prosciutto und Bordeaux-Weine an. Die Lidl-Marke "Deluxe“ wurde vor einem Jahr in Österreich lanciert, die Verpackung erinnert stark an die Spar-Luxusmarke "Premium“ - die es schon länger gibt.

»Hat einer eine gute Idee, kupfert sie die Konkurrenz gleich ab.«

Frank Hensel, Vorstandsvorsitzender der Billa-Muttergesellschaft Rewe, sagt: "Die Grundbedürfnisse der Menschen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert. Produkte müssen einen Mehrwert wie Authentizität, soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit oder Fairness versprechen, denn der Konsument muss für seinen Konsum geradestehen.“ Mit einfachen Rabatten punktet heutzutage keiner mehr - oder zumindest nicht sehr lange.

Hofer als lachender Dritter

Hofer ist als lachender Dritter im Regalstreit einen anderen Weg gegangen, hat sich das Image des dauerhaften Preisbrechers erarbeitet und ist so zu einem mächtigen Player herangereift. Das Credo: "Wir haben unsere Augen und Ohren immer bei den Kunden, um unser Angebot an ihren Wünschen auszurichten und ständig weiterzuentwickeln“, sagt Hofer-Chef Günther Helm. Sein größter Coup war die Einführung der "Backbox“. Dort werden Backwaren auf höchstem Niveau bis Ladenschluss angeboten - und zwar das volle Programm. Das schmerzt jene Supermarktbetreiber, die sich das nicht leisten können und wollen. Der Grund: Wer bestimmte Qualität haben will, muss beim Lieferanten relativ viel Brotteig bestellen und damit rechnen, dass viel davon nicht verkauft wird. Denn die Supermärkte können an ihre Lieferanten, die externen Bäckereien, nur gewisse Mengen retournieren (etwa 15 bis 20 Prozent ihrer Bestellung).

Altbacken ist Hofer schon lang nicht mehr: Vor einigen Jahren hatte der Diskonter nicht einmal Scanner an den Kassen. Aber die Kassierinnen wussten die Nummern der Produkte auswendig und tippten schneller, als ihre Kolleginnen in anderen Supermärkten einscannen konnten.

Konkurrenz im Billigsegment

Mit den Jahren ist das Sortiment größer geworden. Neben die Hofer-Eigenmarken Lomee, Milfina oder Martello sind etablierte Handelsmarken getreten. Auch die Obst- und Gemüseabteilung ist mit rund 60 Frischeprodukten enorm gewachsen. Heuer könnte Hofer seinen Marktanteil von derzeit 18,7 Prozent erstmals auf 20 Prozent erhöhen. Der Diskonter kann sich aber nicht ausruhen, denn er hat mit Lidl einen ebenso zähen Konkurrenten im Nacken sitzen. Der Konkurrent im Billigsegment ist Teil der größten Handelskette Europas - der Schwarz-Gruppe aus Deutschland, die einen langen Atem hat. Lidl hat knapp ein Viertel der Marktanteile von Hofer, wächst aber seit ein paar Jahren kontinuierlich. Das Schmuddelimage von einst schüttelte Lidl innerhalb von drei Jahren mit dem Aufputz der Filialen und damit verbundenen Investitionen in der Höhe von rund 370 Millionen Euro ab. Außerdem schlichtete er plötzlich auch Milch, Joghurt, Butter, Käse, Wurst, Wein und Mineralwasser aus Österreich ins Regal. Ein weiterer wichtiger Marktteilnehmer ist M-Preis. Das Tiroler Familienunternehmen wächst stetig. Es konnte seinen Umsatz und die Zahl der Mitarbeiter deutlich erhöhen, ist allerdings nur im Westen aktiv.

Die Branche ist auch personell im Umbruch. Lidl bekam vor zwei Monaten überraschend einen neuen Chef, den 43-jährigen Christian Schug. Bei Hofer geht der 61-jährige Langzeitboss Friedhelm Dold in Pension und machte dem knapp 36-jährigen Günther Helm als Sprecher der Geschäftsleitung Platz. Billa-Chef Volker Hornsteiner, 48, wird im Jänner auch in den Vorstand der Rewe International AG einziehen und eine deutliche Strukturveränderung einleiten. Die Regionalmanager sollen künftig deutlich weniger Filialen betreuen. Dafür wird es weniger sogenannte Frischeberater geben. Wer zum Regionalleiter aufsteigen möchte, muss sich einem Assessment-Center stellen. Hornsteiner dürfte der richtige Mann für Rewe sein. Mit dem Aufbau des Onlinegeschäfts von Billa.at hat er in den vergangenen Monaten ein gutes Händchen gezeigt. Die Zukunft ist auch im Handel digital.

Einkaufen via Mausklick

Die Pfeiffer-Gruppe, die Zielpunkt mit der Insolvenz offline, ihre zweite Handelstochter Unimarkt im April aber österreichweit online stellte, war zumindest hier einen Schritt voraus. Unimarkt-Chef und Pfeiffer-Gruppe-Geschäftsführer Erich Schönleitner sagt: "Wir waren die einzigen Lebensmittelhändler, die flächendeckend in Österreich das gesamte Supermarktangebot ins Internet stellten.“ Bisher war die Nachfrage nach einem Vollsortiment - also auch mit Wurst-, Fleisch- und Fischwaren - via Mausklick noch lau. Doch das ändert sich gerade sehr rasch.

Viele Unternehmen sind auf diesen Zug noch nicht aufgesprungen, ein paar Supermärkte aber haben ihr Onlineangebot deutlich erweitert. Unvermutete Konkurrenz kommt vom Internetriesen Amazon. Der US-Konzern bietet mit dem Service "Amazon Pantry“ seit Kurzem Produkte des täglichen Bedarfs an - auch in Österreich: von Waschmitteln über Duschgel, Packerlsuppen, Reis, Nudeln und Windeln bis hin zu Mineralwasser und Säften.

Steigt Amazon mit ein?

Frische Lebensmittel wie Wurst, Käse und Fleisch werden nicht geliefert. Noch nicht. In den USA beliefert Amazon Haushalte über den Dienst "Fresh“ bereits mit Frischwaren. Österreichische Mitbewerber fürchten jetzt, dass Amazon auch in Österreich bald in die Frischewelt einsteigen könnte, auch wenn das Unternehmen noch dementiert.

Die permanente Öffnungszeit in den Onlineshops lässt die Supermärkte auch die Ladenzeiten hinterfragen. Die Märkte erkennen an den Verkaufszahlen, dass die umsatzstärkste Phase immer mehr in die Abendzeit wandert. Je näher der Ladenschluss, desto besser das Geschäft. Daher müssen Mitarbeiter auch zu später Stunde anpacken. Das will belohnt sein.

Manche Handelshäuser bieten Zuzahlungen für den Kindergarten, manche, wie Hofer, mehr Gehalt. Das Verkaufspersonal bekommt zehn Prozent mehr als andere Handelsangestellte, Uni-Absolventen beginnen als Regionalverkaufsleiter und kommen gleich zu Beginn auf eine Jahresgage von 65.800 Euro brutto - plus Audi-A4-Dienstwagen. Dafür ist aber auch (fast) Schluss mit Freizeit. Das bisschen "Extra“ hat eben immer seinen Preis.

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