Wann wendet sich das Glück der Denunzianten?

Eine Kleinigkeit? Nicht für die Betroffenen: Der erfolgreiche Kultursommer Semmering sollte kriminalisiert werden. Aber es war nichts. So wie einst in Erl und jetzt erwartbar in Florenz

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wieder war nichts, und wer an der Sache interessiert war, konnte die Nachricht in den Souterrains der Meldungsübersichten vielleicht sogar finden: Der Pianist Florian Krumpöck, Intendant des Kultursommers Semmering, ist vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen worden. Er hat, nunmehr amtlich, mit den überschaubaren 65.000 Euro des Landes Niederösterreich nichts anderes begangen, als mit Hilfe eines attraktiven Programms die Besucherzahl um 25 Prozent zu erhöhen. Und das, obwohl er aus dem bewährten Südbahnhotel ins wachkomatöse Panhans ausweichen musste, um einem Konkurrenzfestival Platz zu machen. Wie das alles kam, weshalb sich auf dem überschaubaren Areal plötzlich die Festspielanbieter drängen und welcherart die Interessen der im Immobiliensegment ansässigen Mäzene sind: Das will man als finanziell desinteressierter Kunstfreund lieber gar nicht wissen. Ich möchte keinem der beiden Wohltäter, nicht dem österreichischen und nicht dem ukrainischen, abends auf einem einsamen Panoramaspaziergang begegnen.

Aber das Programm ist beiderseits sehenswert, und wer immer Krumpöck angezeigt hat, ist ein Denunziant, der es sich im Zukunftssegment bequem gemacht hat: Das Denunziantentum, meinerzeit im Wasagymnasium noch schicksalhaft mit Watschen verbunden, ist Grundausstattung des digitalen Zeitalters. Meinungsfreiheit ist degeneriert zu: verleumden, beschimpfen, ehrabschneiden, wie es kein Provinzschmierblatt in seinem analogen Aggregatzustand wagen würde. Informationsfreiheit, jetzt – meines Erachtens unheilvoll – auf dem Gesetzesweg, heißt: Privatkorrespondenzen knacken, das Redaktionsgeheimnis aushöhlen, anonyme Anzeigen publizieren und damit Existenzen auf Zuruf vernichten. Deshalb steht Frau Nehammer, ansonsten strikt außerhalb meines Zuwendungskosmos, für mich im Stand der segmentären Lichtgestalt: Sie hat einen Verleumder aus dem Befüllerkreis der sozialen Medien verklagt und gewonnen. Die ihr zugesprochene Entschädigung hätte sie gar nicht spenden müssen, sie hätte dafür gern nochmals mit den Personenschützern einen heben können (was ich ihr aufrichtig gönne).

Auf der anderen Seite bin ich erleichtert, dass Bürgermeister Ludwig sein Mobiltelephon dem Wiener Untersuchungsausschuss nicht aushändigt: Um Wahrheitsfindung geht es in diesen Institutionen seit Längerem maximal am Rand. Eher um Beschädigung des politischen Gegners jeglicher Farbe. Ein Spitzenpolitiker ist tagesgeschäftlich für die Stabilität des Gemeinwesens verantwortlich. Er hat ein Recht darauf, agieren zu können, ohne vor vier Jahren geäußerte Invektiven in Käseblättern lesen zu müssen.

Wieder und wieder stoße ich in diesen Tagen auf die Konsequenzen des Denunziantentums. Am Sonntag habe ich in der Staatsoper einen mehrheitlich furios besetzten „Tristan“ mit dem Titelhelden Andreas Schager gesehen. Der hat seine heute ins Übernormale ausgreifende Wagner-Karriere seinerzeit in Erl begonnen (wenn auch mit dem bescheiden herausfordernden David in den „Meistersingern“). Intendant dort war der kundige und inspirierte Dirigent Gustav Kuhn, der infolge Blogger-Aktivitäten bildungsferner Mittelgebirgstrolle aus dem Amt befördert wurde. Von keinem der Vorwürfe ist etwas geblieben. Aber Kuhn sitzt als Pädagoge in Italien. Auch dem Burgtheater wäre sein aktueller Zustand erspart geblieben, hätte der sonst tadellose Kunstminister Ostermayer seinerzeit nicht die Nerven verloren, heißt: den erfolgreichen, mittlerweile von allen Vorwürfen zum Finanzskandal exkulpierten Direktor Matthias Hartmann nicht gekündigt.

In Florenz musste gerade Alexander Pereira als Operndirektor demissionieren. Mit identischen Denunziationen, die Spesengebarung betreffend, wurde einst Agnes Husslein aus dem Belvedere befördert. Beiden ist gemeinsam, dass sie ein imperiales Haus geführt, auf diesem Weg aber viele Millionen an Sponsorengeldern lukriert haben. Zudem verbindet beide eine Marginalie, nämlich konkurrenzarmes Fachwissen. Nach solch einem "Fidelio", wie Pereira ihn im Vorjahr gezeigt hat - dirigiert von Mehta, mit Lise Davidsen, Klaus Florian Vogt und Tomasz Konieczny - , müssten sich vielmals größere Häuser verzehren. Inszeniert hat übrigens Matthias Hartmann. Lassen wir es gut sein, bevor ich ernstlich unwirsch werde.

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