Vorsichtig optimistisch in die Festwochen-Zukunft

Nach Beschreitung bedenklicher Irrwege wurde nun der namhafte Regisseur Milo Rau an die Spitze des einstigen Renommierfestivals berufen. Ob man aufatmen darf, wird sich zeigen. Viel Zeit ist nicht mehr

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Es ist ja nichts passiert. Gott sei Dank oder, dem grassierenden Deppenkürzel folgend: alles gut! Nicht Matthias Lilienthal ist als Intendant der Wiener Festwochen präsentiert worden, sondern Milo Rau. Also ein Regisseur von internationaler Reputation statt eines originellen, derzeit beschäftigungslosen Krawallisierers, der, als er noch in Beschäftigung stand, die Münchner Kammerspiele abgewickelt hat. Ehe ich zur Frage vordringe, ob damit wirklich alles gut ist, lassen Sie mich rekapitulieren, wie die Festwochen überhaupt erst in ihr aktuelles Unglück gerieten.

1951 gegründet, standen die Festwochen sechseinhalb Jahrzehnte für visionäre, publikumsmagnetische Programmierung. Bernstein, Maurice Béjart, Strehler, Peymann, Ariane Mnochkine stellten sich da dem Wiener Publikum vor, Nikolaus Harnoncourt und Karl-Ernst Herrmann ließen mit Mozarts "Entführung" die Hörund Denkschulen kathartisch aufeinanderkrachen. Unter Luc Bondy waren die Festwochen ein Welttheatertreffen, vor dem das damals noch ernstgenommene Berliner Pendant verblasste. Christoph Schlingensief, der ästhetisch in einer anderen Galaxie logierte, konnte unter Bondys Verantwortung seinen Flüchtlings-Container vor der Oper errichten.

Auf Bondy folgte 2014 Markus Hinterhäuser. Niemand wird Glucks "Orpheus" in der Inszenierung von Romeo Castellucci vergessen: die entrückte, unirdische Schönheit der Wachkoma-Patientin, deren Gesicht mit Billigung ihrer Eltern an den Aufführungsort übertragen wurde. Im selben Jahr kreierte Hinterhäuser als Pianist mit dem Bariton Matthias Goerne und dem Künstler William Kentridge eine "Winterreise", die um die Welt ging.

Indes veränderte sich Hinterhäuser 2017 nach Salzburg. Und Tomas Zierhofer-Kin, der mit ihm einst ein Avantgardefestival betrieben hatte, erwies sich nicht als logischer Nachfolger, sondern als präpotenter Amateur, der den weder motivierten noch legitimierten Entschluss fasste, die klassischen Formen zugunsten dilettantischer Performance-Allotria zu entsorgen. Zwei Jahre später beförderte ihn die eben ernannte Kulturstadträtin Kaup-Hasler dankenswert vor die Tür.

Aber das Unvorstellbare wurde Wirklichkeit: Statt als Missverständnis in der Vergessenheit zu versinken, hat Zierhofer dauerhaft die Parameter vorgegeben! Im Grunde nämlich glich sein Konzept dem (ungleich professionelleren) des Steirischen Herbstes unter der seinerzeitigen Intendantin Kaup-Hasler. Das wird seither verhängnisvoll über die Hauptstadtkultur gestülpt. Und so übernahm auch Kaup-Haslers belgisches Pendant Christophe Slagmulylder, ein Zierhofer für Besserverdiener, die Festwochen, die sich hurtig von Zusehern entvölkerten. Es waren wesentlich Kulturjournalisten, die in ihm den Entschluss reifen ließen, sich vor der Zeit heim nach Brüssel zu verfügen.

Die Stadträtin, so hoffte man, habe ihre Lektion gelernt. Da wurde Lilienthals Name ruchbar, und das Dementi las sich eigenwillig: Nicht, dass man einen weiteren Zierhofer-Klon zur Bewerbung ermuntert hatte, wurde in Abrede gestellt (Lilienthal war schon zum Geheimtreffen mit der Festwochen-Geschäftsführerin eingerückt): sondern lediglich, dass drei Wochen vor den so genannten "Hearings" schon alles ausgemacht gewesen wäre! Wieder haben Journalisten Schlimmes verhindert.

Und nun? Milo Rau, erstklassiger Regisseur mit Schweizer Migrationshintergrund wie der Burgtheater-Designatus Stefan Bachmann, ist herzlich, aber auch aufmerksam willkommen zu heißen. Sein Genter Manifest, das er als Intendant des dortigen Stadttheaters verabschiedet hat, wollen wir gleich überhört haben: dass nämlich pro Klassiker-Inszenierung maximal 20 Prozent des Originaltextes auf die Bühne dürften. Seine theatralen Einlassungen zum kongolesischen Bürgerkrieg waren verdienstvoll, sogar aufrüttelnd, können aber nicht Kernmaterie eines österreichischen Kulturfestivals sein. Mit anderen Worten: Nicht so sehr an dem, was er selbst herstellt - an dem, was er zulässt, wird seine Intendanz gemessen werden.

Kann es sein, dass Andrea Breths "Salome" aus Aix-en-Provence noch nicht eingeladen wurde? Aus London David Hares "Straight Light Crazy" mit Ralph Fiennes? Aus Berlin Lars Eidingers Einmann-"Peer Gynt"? Ist man schon mit Philipp Hochmair wegen eines Solos im Gespräch? Mit Paulus Manker, dessen "Letzte Tage der Menschheit" in Wiener Neustadt herauskommen mussten? Ließ sich für Elfriede Jelineks "Königsweg", in der Inszenierung von Nikolaus Habjan von der "New York Times" unter die zehn europäischen Produktionen des Jahres gewählt, kein anderer Erstaufführungsort als St. Pölten finden? Mit der Erschießung des Ehepaars Ceausescu, von Rau einst engagiert auf die Bühne gehoben, beschäftigen wir uns, wenn das andere erledigt ist.

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