Der relativ frühe Abgang der erfolgreichen Sabine Haag

Wenn die Direktorin des Kunsthistorischen Museums Ende 2024 aus dem Amt scheidet, blickt sie auf 15 gute Jahre zurück. Ein Gespräch über kunstfernen Cancel-Kretinismus ist Grundlage der dieswöchigen Kolumne

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Seit ich in der Residenz des israelischen Botschafters einer Ehrung der Komponistin Olga Neuwirth durch zwei Physik-Nobelpreisträger beiwohnen durfte, kann ich mich Fragen der Relativität etwas beherzter nähern. Wird zum Beispiel Martin Kusej lang oder kurz im Amt des Burgtheaterdirektors gestanden sein, wenn er selbiges 2024 nach fünf Jahren verlässt? Ich meine: lang, jedenfalls lang genug. Hätte man andererseits Claus Peymann 1999 nach 13 Jahren den gewünschten Nachschlag gewährt, wäre unter anderem sein Nachfolger Klaus Bachler an uns vorübergestelzt. Beim Volkstheaterdirektor Kay Voges wiederum blickt man schon nach zweieinhalb Jahren auf die Uhr. Nicht ohne die Stadt Zürich um die Beherztheit ihres Theaterverwaltungsrates zu beneiden: Das bemühte Leitungs-Duo, das den Zulauf mittels Diversitäts-Allotria auf weniger als 50 Prozent pilotiert hat, nimmt auf ultimative Anregung von der Bewerbung für eine zweite Amtszeit Abstand.

Klaus Albrecht Schröder hätte sich dagegen zum Verbleib in der Albertina gern auch nach 24 Jahren entschließen dürfen. Und jetzt Sabine Haag. Wäre es nach dem damaligen Minister Drozda gegangen, stünde das Kunsthistorische Museum schon seit 2019 unter der Kontrolle eines gewissen Eike Schmidt. Der allerdings beglaubigte den schon bei der Präsentation erzeugten Eindruck gänzlichen Desinteresses alsbald durch ein nicht alltägliches Beweisverfahren: Er hatte bloß um Verlängerung in Florenz taktiert. Worauf der interimistische Kunstminister Schallenberg die düpierte Direktorin um interimistische Wiederkehr anflehte.

Dass die ernennungseuphorische Staatssekretärin Mayer angedeutet hätte, 15 Jahre Haag wären ausreichend, stellt die glückhaft agierende Vorarlbergerin in Abrede. Aus Verbundenheit mit dem Haus und Solidarität mit dem Personal habe sie sich trotz des Drozda-Eklats sehr kurzfristig zur Rückkehr entschlossen, sagt die Direktorin im Gespräch. Lang schon sei sie zum Abgang Ende 2024 entschlossen gewesen. Freilich hatte sie sich ihre dritte Amtszeit anders vorgestellt: Vom Rekordjahr 2019 mit 1,8 Millionen Besuchern und 15 Millionen Euro an Erlösen waren die Ergebnisse unter dem Einfluss der Pandemie ins Bodenlose, Existenzbedrohende gefallen. Doch habe man schon 2022 wieder über den Prognosen abgeschlossen und werde 2023 ausgeglichen bilanzieren. Die Touristen, die 75 Prozent des Publikums stellen, sind zurück. Aber es braucht mehr, als auf sie zu warten: Kluge Programmierung und differenzierte Klientelpolitik - bis zur Einladung, das Gesehene via TikTok unter die Zielgruppe zu befördern - seien erforderlich, um die Leute vom Sofa zu entwöhnen. Nur die Suppenschütter sind, ohne deshalb die Kalamitäten des Heimatplaneten in Abrede stellen zu wollen, nicht willkommen.

Und die plötzliche Dringlichkeit, die Kunst den Zeitthemen unterordnet! Freilich seien aktuelle Fragestellungen nicht auszublenden. Aber auch nicht die Vision des Schönen, so rasant, wie sich die Themenzyklen verkürzen. Wie lang werden uns Klima, "Gender","Race" noch dermaßen dominant beschäftigen, ehe sie hinter neuen Themen verblassen? Man müsse, sagt die Direktorin, zwei Schritte zurücktreten, um den Überblick zu behalten. Qualität sei das einzige Kriterium.

Helligkeit und Schönheit seien gefragt, und optimistische Schlüsse aus den Krisen der Kulturgeschichte: Als die Bruegels ihre epochalen Werke schufen, war die Klimakrise im Gefolge der Kleinen Eiszeit schon Realität. Hungersnot, Dürre, der Krieg Spaniens gegen Frankreich und die Niederlande und der drohende Dreißigjährige Krieg: "Aber die Kunst ist noch einmal über sich hinausgewachsen und hat dabei das Publikum, den Mäzen angesprochen. Kunst emotionalisiert uns, schlägt eine Brücke zu den Dingen, die uns beschäftigen."

Ihr Wort zum epidemischen Cancel-Kretinismus ist derart makellos, dass ich es unverändert an Sie weiterleite. Die Mörder Caravaggio und Cellini? Die cholesterinreiche Nahrung, die auf Bruegels "Bauernhochzeit" verabreicht wird? Sind Meisterwerke mit Trigger-Warntafeln zu behelligen? "Nein. Ich trenne bewusst zwischen Person und Werk. Wenn ein Publikum mehr zu bestimmten Sachverhalten wissen will, muss man ihm die Hinweise geben. Aber ich sehe uns nicht als Moralapostel. Cellini hat die Saliera sicherlich nicht aus seiner kriminellen Energie geschaffen. Der Besucher muss dazu nichts wissen und braucht nicht belehrt zu werden. Das Publikum soll selbst entscheiden, was es sehen und wissen will. Wir antworten gern." Überhaupt, fährt sie fort, sei es "zu viel verlangt, dass ausgerechnet von Künstlern - und damit sind wir bei der russischen Thematik - ein aktives Statement zu ihrer politischen Haltung verlangt wird. Ich halte das für doppelbödig." Präferenzen für ihre Nachfolge? Nennt sie nicht. Ich hätte eine, die sich schon nach Eike Schmidt bewährt hat.

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