Sie ekelt sich vor Sex

Barbara hat ein Problem. Sie kann ihrem Mann nicht die Wahrheit sagen. Denn es würde ihn verletzen. Also vertraut sie sich erstmals einem Menschen an. Ihrer Psychotherapeutin. Und das in einer Sexualtherapie, in die sie ihr Mann geschickt hat.

von Sie ekelt sich vor Sex © Bild: Nathan Murrell

Barbara ist eine selbstbewusste Geschäftsfrau. Aber wenn es um die "liebe Liebe" geht, wirkt sie unbeholfen. Beim Sex, sagt sie, habe sie auch immer Angst gehabt, etwas falsch zu machen. In Wahrheit ging es Barbara um den Glanz in den Augen der Männer, das Strahlen der Begierde und darum, umworben zu werden: "Wie hätte ich sonst meine Lebensziele erreichen sollen: Ehe und Kinder?" Sie habe sich daher nach dem Modell von Pornodarstellerinnen verhalten: "Ich habe mich total verstellt, war jemand anderes", gesteht sie, und dass sie noch nie wirklich Lust empfunden habe. Erregung schon, aber eher habe sie sich daran ergötzt, wie die Männer beim Sex förmlich "raketengleich abgegangen" seien. "Sie versicherten mir alle, dass ich im Bett wahnsinnig gut sei." Dabei habe sie die Lust nur gespielt. Beruflich sei alles wie geölt gelaufen. Privat habe sie nie so recht gewusst, ob sie sich zu Männern oder Frauen hingezogen fühlte. Alle Orgasmen waren nur gespielt. "Aber so glaubwürdig", sagt Barbara, "dass ich fast hyperventilierte und schon selbst daran glaubte". Sie habe alles gegeben, um die Frau zu sein, die man heiraten wollte. "Die Traumfrau", sagt sie. Alles Fake. Und jetzt?

Barbara meint, ihr Ehemann habe ihr eine Sexualtherapie "verordnet", da er sie nicht wiedererkennen würde. Die scharfe Rakete von früher sei asexuell geworden. Und ja, auch Barbara selbst teilt diesen Verdacht. Nun der Haken an der Sache: Sie erklärt jetzt, dass sie erstmals im Leben sie selbst sei. Es sei für sie befreiend, keinen Sex mehr haben zu müssen, um sich einen Mann zu sichern. Und wenn sie jetzt daran denke, ekele es sie nur.

Menschen wie Barbara lassen sich oft viel, sehr viel Zeit, sich in ihrer gefühlten Asexualität zu outen. Aus Angst, keinen Partner zu finden und auf den Traum von der eigenen Familie im trauten Eigenheim verzichten zu müssen, verwenden sie ihr halbes Leben darauf, sich -und allen anderen -etwas vorzumachen.

Barbara bereut, und sie bereut auch nicht. Sie ist froh, Kinder zu haben, aber Männer waren nur Mittel zum Zweck. Wie Thomas beibringen, dass sie ihn "nie richtig begehrte"? In der nächsten sexualtherapeutischen Sitzung folgt das Bekenntnis. Diesmal erklärt Barbara ihrem Mann, dass sie nie richtig Lust auf Sex gehabt habe und alles nur dem Traum vom Familienglück zuliebe gemacht habe. Was aber steckt hinter Barbaras sexuellem Desinteresse? Unterschiedliche Erklärungsmodelle erscheinen hier wahrscheinlich: Dass jemand irgendwann sexuell belästigt wurde, nie sexuelle Gefühle zuließ (Sex tabuisierte) und deshalb lang nach dieser Erfahrung Ekel entsteht, sobald es um Sex geht. Barbara mag es nur zweckorientiert lange Zeit überspielt und das Trauma abgespalten haben, um sich an gesellschaftliche Erwartungen anzupassen.

Wichtig zu wissen ist, dass keineswegs immer eine seelische Erschütterung die Ursache von Asexualität ist. Und dass auch asexuell orientierte Menschen ein Liebesleben haben. Dass das Liebesleben auch ohne Liebe zu machen möglich und erfüllend sein kann. Der sexuelle Akt ist zum Leistungssport avanciert, in dem man sich immer noch steigern möchte. Gerade von Personen, die keine herkömmlichen Liebespraktiken anwenden, lernen wir die Zwischentöne der Zärtlichkeit. Die Tiefen eines Blicks und von sachten Berührungen; das Einander-zugewandt-Sein, ohne gleich Potenz, Ausdauer oder Ähnliches beweisen zu müssen. Auch das ist Sexualität und erfüllt das Liebesleben.

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