Warum wir es nicht lassen, betrunken miteinander zu schlafen

Ein Gläschen - ob Wein, Prosecco oder gar Champagner - in Ehren kann in aller Regel durchaus enthemmend, Lust steigernd, ja aphrodisisch wirken. Aber wo ist die Grenze?

von LIEBES LEBEN - Warum wir es nicht lassen, betrunken miteinander zu schlafen © Bild: Nathan Murrell

Man gleitet eher, wohl auch geschmeidiger vom Alltagsmodus ins Liebesleben, aber nicht ohne, jetzt kommt das moderne Zauberwort: Selbstachtsamkeit und Eigenverantwortung. Wie Paracelsus schon im Mittelalter wusste, macht ja stets die Dosis das Gift. Eine achtsame Dosierung von Alkohol kann nun eine durchaus positive Wirkung auf die Sexualität haben und wird daher von vielen Menschen zur Überwindung der persönlichen Hemmschwelle und der Kopflastigkeit zum Umschalten oder "Switchen" genutzt. Denn niedrig dosiert wirkt Alkohol tatsächlich bei vielen Menschen nicht nur enthemmend, sondern auch Angst lösend, Sensibilität dämpfend, Schmerz lindernd und euphorisierend.

So geschehen bei Jana und Oliver, die von selbst nicht richtig in Stimmung kommen und daher zu Wein oder Sekt greifen, um aus der Lethargie nach einer langen Arbeitswoche raus - und in Stimmung zu kommen. Endlich Wochenende, und die Lage ist kritisch: So richtig locker machen können sich die beiden erst nach einem Glas Wein. Und so richtig entkrampft und erotisch wird das Setting erst nach ein, zwei weiteren Gläsern. "Warum lassen wir es nicht, betrunken miteinander zu schlafen?", fragen mich Paare wie dieses. Die möglichen Antworten: Die mannigfaltige Wirkung von Alkohol scheint ein probater Türöffner der Lust zu sein.

Wissenschaftlichen Studien zufolge werden Verhaltensweisen und persönliche Eigenschaften durch Alkoholkonsum zwar nicht verändert, aber verstärkt. Je mehr getrunken wird, desto enthemmter, selbstsicherer und angstfreier fühlen sich viele. Allerdings kippt die Stimmung ab einer bestimmten Menge Alkoholkonsum schnell von euphorisch zu depressiv. Warum Menschen betrunken miteinander schlafen, liegt am Side-Effect der Enthemmung. Mit etwas Alkohol als Starthilfe kommt die Libido in Schwung! Andererseits kann Alkohol, der prinzipiell auch stimmungsaufhellend und antidepressiv wirkt, in einer Überdosis förmlich zum sexuellen Desaster werden und zu sexuellen Funktionsstörungen führen. Wie jemand auf Alkohol reagiert, hängt häufig auch von der Tagesverfassung und der Grundstimmung ab. Bei manchen Paaren triggern Nähe und Sexualität verdrängte Ängste, wie die Angst davor, sich einem anderen Menschen anzuvertrauen, sich fallen zu lassen und die Kontrolle aufzugeben. Bei Männern stehen Versagensängste im Vordergrund, bei Frauen Penetrationsängste und das Unbehagen, wenn eine Körpergrenze überschritten wird und es zur Verschmelzung kommt. Allen Betroffenen gemeinsam ist die Angst, keine "gute Performance beim Sex" zu geben, dem gesellschaftlichen Idealbild nicht gerecht zu werden.

Vor diesem Hintergrund kann man sagen, dass Alkohol das Liebesleben fördern kann, nicht muss. Solange die dämpfende Wirkung noch gering ist und die euphorisierende und die Angst lösende Wirkung überwiegen, wird der Sex nach mäßigem Alkoholkonsum als eher angenehm und beglückend erlebt. Mit zunehmendem Konsum nimmt die dämpfende Wirkung zu. Und damit geht die Empfindungsfähigkeit zurück. Bei Frauen sind Erregungsstörungen eine mögliche Folge, begleitet von Scheidentrockenheit, bei Männern Erektionsprobleme, aber auch eine verzögerte Ejakulation und Orgasmusschwierigkeiten. Das Fazit: Beim Sex sollte Alkohol nicht gewohnheitsmäßig als Einstiegshilfe eingesetzt werden, da seine dämpfende Wirkung zu Sensibilitätsstörungen führt. Im Liebesleben geht es nicht um Leistung. Sondern um Zwischentöne der Empfindsamkeit, die durch ein Gläschen, aber nicht mehr, gelegentlich illustriert, aber nicht gewohnheitsmäßig überhaupt erst geweckt werden sollten.