Meister und Margarita

80 Jahre nach dem Tod des Autors Mikhail Bulgakov hat sein satirischer Roman, einst von Stalin verboten, die Aktualität nicht verloren

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

Bereits 2021 war der Film fertig. Er zeigt eine geschickte Verflechtung der Handlung des Romans mit dem Schicksal des Autors während der Herrschaft Stalins. Die Aufführung in Moskau wurde wegen des Kriegs gegen die Ukraine immer wieder verschoben, doch am 25. Jänner 2024 kam es zur Premiere der neuen Verfilmung des Meisterwerks unter der Regie von Michael Lockshin – in den USA geboren, jedoch in Russland aufgewachsen.

Der Ruf nach Verbot folgte der verspäteten Premiere. TV-Sprecher Vladimir Solovyov kritisierte den Film als „anti-sowjetisch“ und er „verhöhne das moderne Russland“. Mehrere Politiker, unter ihnen der Abgeordnete Aleksandr Sholokhov, verlangten ein Aufführungsverbot und bezeichneten den Regisseur als „gefährlichen Terroristen“.

Protest

Lockshin antwortete seinen Kritikern: „Es ist ein Wunder, dass der Film endlich gezeigt wird, die Vorstellungen sind ausverkauft, der Besuch ist ein stiller Protest, die Handlung eine Metapher über ein Russland, das im Totalitarismus versinkt, ich warnte den Produzenten, dass ich das Drehbuch nicht zensurieren lasse. Jene, die mich und meine Arbeit kritisieren, wiederholen fast wörtlich, wie Bulgakov einst angegriffen wurde.“ Zahlreiche Schauspieler und Schauspielerinnen lehnten die Mitarbeit aus Angst vor politischen Konsequenzen und Arbeitsverbot in Russland ab.

Das zwölfte Kapitel des Romans – es beschreibt den Besuch des Teufels in Moskau, getarnt als Woland, Professor für Schwarze Magie, begleitet von seinen Gehilfen, unter ihnen der gigantische Kater Begemont – erfasst eindrucksvoll die Absurdität dieses Werks:

Während einer Vorstellung im Varieté wirft Woland und sein Gefolge Geld in die Zuschauerreihen, um die Begeisterung des Publikums zu gewinnen. Frauen und Männer springen auf und beginnen um die Geldscheine zu raufen. Der Ansager Bengalski gerät in Panik und warnt die Zuseherinnen und Zuseher, dass sich die Geldscheine nach der Aufführung einfach auflösen würden. Korowjew, ein Gefährte des Teufels, genervt von der Störung des Ansagers, fragt das Publikum, was mit dem Störenfried geschehen sollte. Eine Besucher schreit: „Reißt ihm den Kopf ab!“ Der Kater Begemont geht auf den Ansager zu und reißt ihm tatsächlich den Kopf ab. Die Zuseher sind entsetzt und bitten ängstlich um Gnade. Darauf setzt ihm der Kater den Kopf wieder auf den Hals und der Ansager sucht panisch das Weite.

Meister und Margarita
© Mars Media Die neue Verfilmung des Romans ist nach wenigen Wochen bereits der erfolgreichste Film, der je in Russland gezeigt wurde

Zensur

1928 begann Bulgakov mit der Arbeit an dem Roman „Der Meister und Margarita“, eines der verrücktesten Bücher der Weltliteratur. Immer wieder verbrannte er einzelne Kapitel aus Angst vor Stalins Geheimpolizei bis er 1940 kurz vor seinem Tod und bereits schwer krank seiner Frau den derzeit bekannten Text diktierte. Jahrelang verhinderte die Zensurbehörde eine Veröffentlichung, erst 1966 erschien eine gekürzte Fassung als Fortsetzungsroman in der Literaturzeitschrift „Moskwa“ in einer Auflage von 150.000 Stück, die in wenigen Stunden vergriffen waren. Die Hefte wurden wie Juwelen gehütet, weitergegeben, vervielfacht und in Gruppen vorgelesen, die fehlenden Kapitel abgetippt, kopiert und den Heften beigelegt.

Literatur-Kritiker halten das Buch für einen der besten satirischen Roman, der zynisch, verzerrend und sarkastisch das Chaos der Versorgung, Terror und Willkür der Bürokratie in der Sowjetunion unter Stalin beschreibt. Mit dem Teufel als eine der Hauptfiguren verhöhnt Bulgakov auch noch die streng-atheistische Ideologie des Regimes.

Als mein Buch „Schuldig geboren“ auf Russisch erschien, lud mich der Verlag in Moskau zu einer Lesung ein. Den Nachmittag verbrachte ich mit einer Professorin für Literatur, die mir die Orte des Romans zeigte. Teile der Handlung verlegte Bulgakov in die Wohnung Nr. 50 in Sadowaja 302b, in der er selbst von 1921 bis 1924 gelebt hatte. Ebenso findet man einen Park und andere Gebäude in der Gegend, die im Roman vorkommen, und seit dem Tod des Autors von begeisterten Bewunderern des Romans besucht werden.

Ukraine

Bulgakov wurde 1891 in Kiew geboren, studierte Medizin und praktizierte als Arzt in der russischen Stadt Wjasma. Während des russischen Bürgerkriegs schloss er sich der Roten Armee an, zog 1921 nach Moskau und begann, Reportagen, Essays, später Erzählungen, Romane und Theaterstücke zu veröffentlichen. 1930 lehnten plötzlich Zeitschriften und Verlage seine Manuskripte ab, seine Stücke wurden nicht mehr aufgeführt. Verzweifelt ersuchte Bulgakov um Bewilligung auszuwandern – sein Bruder lebte bereits in Paris – bis ihn eines Tages Stalin persönlich anrief und Hilfe versprach. Er durfte wieder arbeiten, doch die Willkür des Regimes verfolgte ihn, manche seiner Stücke, seiner Bücher wurden veröffentlicht, andere Werke ohne Angabe von Gründen verboten. Im März 1940 starb Bulgakov.

Obwohl in Kiew geboren, machte er sich auch in der Ukraine mit seinem Zynismus wenig Freunde. In einer Reportage beschrieb er seine ehemaligen Landsleute als überheblich, rückständig und verlogen. In dem Roman „Die Weisse Garde“ machte er sich über die Ukrainer lustig, die eine Sprache hätten, die eigentlich nicht existiere.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine verschmierten Demonstranten die Bulgakov-Statue vor dem Bulgakov-Museum in Kiew mit roter Farbe und schrieben darunter, der Autor habe Blut an seinen Händen. Der Schriftsteller-Verband der Ukraine verlangte die Schließung des Bulgakov-Museums.

Beschimpft und bedroht flüchtete Regisseur Lockshin nach der Premiere des Filmes in die USA. Er fürchtete, in Russland verhaftet zu werden. „Ich kann nicht mehr zurück, solange dieses Regime an der Macht ist“, sagte er in einem Interview