Emanzipation im Tanzsalon

Von Teilen der Öffentlichkeit wurde Volker Piesczek nur als Mann hinter Grünen-Chefin Eva Glawischnig wahrgenommen. Doch nun löst er sich aus dem langen Schatten der Politik. Während sie in ihrer Partei erst für neuen Schwung sorgen muss, wird er als "Dancing Star" so wirklich breitenwirksam. Ein Paar, zwei Porträts

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Power Couple - Emanzipation im Tanzsalon

Im Land des Lächlers

Nein, strahlende Typen sind nicht zwingend oberflächlich und Fußballer nicht zwingend beschränkt - und so macht Volker Piesczek allen Klischees zum Trotz Karriere

Die Erkenntnis ereilte ihn mitten im Paradies: "Du musst was tun - und zwar jetzt", sagte sich der auf Mauritius urlaubende Volker Piesczek halblaut vor. Dann griff er zum Telefon und begann ein neues Leben. Knapp 20 Jahre ist das nun her. Doch die damaligen Weichenstellungen erwiesen sich als durchaus nachhaltig.

Damals war Piesczek noch ein leidlich begabter Fußballer, ein Außenverteidiger im Spätherbst der Profikarriere, und ein gelernter Bankkaufmann ohne echte Berufspraxis. Heute, mit 47 Jahren, ist er ein gut gebuchter Entertainer, der mit seiner Crooner-Band "The Rats are Back" sogar zu Ehren des Bundespräsidenten konzertiert. Zudem hat er es zum erfahrenen TV-Moderator gebracht, zum begehrten Mediencoach -und nun auch noch zum Covermodel der "Kronen Zeitung": Als er kürzlich als Kandidat für die kommenden Freitag startende Neuauflage der ORF-Tanzshow "Dancing Stars" nominiert wurde, hob ihn der Boulevardriese sofort auf die Titelseite.

Zwar posierte er wie üblich an der Seite von Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig, mit der er seit 2005 verheiratet ist. Doch plötzlich war er der Star und nicht nur der fesche Aufputz, als der er in breiten Teilen der Öffentlichkeit immer noch wahrgenommen wird. Und es scheint, als habe sich der Neotänzer mit einem Mal von seinem Image als "der Mann von " emanzipiert. "Dabei ist das doch alles bloß ein Klischee", sagt Piesczek. Sowohl seine Frau als auch er hätten unabhängig voneinander und ohne Mentoren Karriere gemacht. "Aber offenbar gibt es für die Partner von Politikerinnen eine Art Verhaltensscharia." Einige, meint Piesczek augenzwinkernd, würden ja noch immer glauben, dass er, der Ex-Kicker, erst durch seine Verbindung mit der Politikerin aufrecht gehen und bis drei zählen gelernt hätte.

Abpfiff noch vor dem Ankick

Weiter Rückpass in die zweite Hälfte der Neunzigerjahre, zurück in jenen Sommer, als Piesczek seine Füße noch arglos in den feinkörnigen Sand von Mauritius steckte: Damals erreichte ihn aus heiterem Himmel der Anruf seines Managers. "Tut mir leid, der neue Trainer plant nicht mit dir." Dabei war eigentlich alles geregelt: Der schnörkellose Ausputzer, bisher vornehmlich in der Regionalliga und der zweiten Liga im Einsatz, hätte 28-jährig beim Erstligisten Admira Wacker durchstarten sollen. Doch nun erfolgte der Abpfiff noch vor dem Ankick.

Fassen wir also kurz zusammen: Mauritius 1997: ganz große Karriere weg und, flankierend dazu, auch noch die damalige Freundin. Zukunft: mehr als vage. "Doch anstatt in tiefe Verzweiflung zu verfallen, verspürte ich nur Erleichterung." Denn während die Nation trotz der erwiesenen Managementqualitäten eines Peter Stöger oder Ralph Hasenhüttl Fußballer noch immer für "Vollidioten" halte, war Piesczek schon damals anderer Meinung.

Bereits während seiner aktiven Karriere hatte er sich nämlich bei Sat.1 beworben. Der Privatsender war drauf und dran, mit der von Reinhold Beckmann entwickelten Fußballshow "Ran" neue Maßstäbe in der Sportberichterstattung zu setzen, die Spiele der deutschen und später auch der österreichischen Liga aus sechs bis sieben verschiedenen Kameraperspektiven wie Filme zu inszenieren. "Da wollte ich unbedingt dabei sein", erinnert sich Piesczek. An die 700 Bewerber standen damals für eine Handvoll Reporterjobs Schlange, und der gebürtige Korneuburger war nur einer von ihnen. Volker...wer? Hm, ein ehemaliger Ösi-Kicker? In der Münchener Senderzentrale war Sportsfreund Piesczek noch eine völlig unbekannte Größe.

"Kaffee kochen, Aktenkoffer tragen, ich hätte alles gemacht, um da reinzukommen." Doch der telegene Bewerber mit seinen 186 Zentimetern Körpergröße und seinem damaligen Kampfgewicht von 78 Kilo gefiel -und wurde ganz ohne Demutsgesten genommen. Und so war aus dem Athleten außer Dienst ein Sportjournalist und TV-Moderator geworden, der sich beim ORF auch als Chronikreporter (Selbstdefinition: "Witwenschüttler"), bei ATV als Society-Experte und bei Puls 4 als Präsentator des Boulevardformats "iLike" bewährte. "Aber ich wusste von Beginn an, dass Charme, Lächeln und Schmäh nicht ausreichen", erzählt der Umsteiger. Und auch, dass es mit dem "Babyface-Bonus" rasch vorbei sein würde, sei Piesczek, mittlerweile zweifachem Romy-Gewinner, bereits zu Beginn seiner Medienlaufbahn klar gewesen.

Kompetenz als neuer Kick

Deswegen begann er, sich mit Entwicklungspsychologie zu beschäftigen und mit einer Mentaltrainerin intensiv an sich zu arbeiten. Früher, viel früher, hatte er den Sprung von der zweiten in die erste Liga schaffen wollen -und scheiterte. Später, viel später, wollte er den Sprung von der bewussten zur unbewussten Kompetenz schaffen - was mittlerweile schon recht gut funktioniert. "Es geht darum, intuitiv richtig zu handeln und seine Fähigkeiten jederzeit und ohne höhere Konzentration abrufen zu können", erklärt Piesczek.

Früher, viel früher, tanzte er in einer Landdisco namens "Baby'O" auf eine Art, die er mystifizierend "Freestyle" nennt. Später, viel später, steht er auf dem Parkett eines ORF-Trainingsraums und übt mit seiner Profi-Tanzpartnerin Foxtrott, Rumba und Cha-Cha-Cha. "Tänzerisch befinde ich mich noch im Stadium bewusster Inkompetenz", witzelt er. Piesczek weiß: In der Kompetenzstufenentwicklung ist das in etwa die Unterliga. Was er noch weiß: Für einen fokussierten Aufsteiger wie ihn ist das allemal ein achtbarer Anfang.

Nun sitzt Volker Piesczek in der nüchternen Cafeteria des ORF-Zentrums. In kurzen Intervallen werden Schulklassen auf Hausführung vorbeigeschleust, einige Kids grüßen ehrfurchtsvoll, und Piesczek, selbst Vater zweier Buben im Volksschulalter, lächelt strahlend und breit zurück.

© ORF/Roman Zach-Kiesling Piesczek mit seiner Tanzpartnerin, Alexandra Scheriau

Vielleicht ist es ja gerade dieses ein wenig inflationär eingesetzte Lächeln, das seinem Träger das Vorurteil der Oberflächlichkeit eintrug. Nimmt etwa, wer immer lacht, auch das Leben zu leicht? Bei Piesczek ist es wohl eher so, dass er das, was ihn wirklich prägte, zu verbergen versucht.

Erst vor ein paar Jahren ist sein um fünf Jahre jüngerer Bruder Michael, sein engster Begleiter durch mehrere Jahrzehnte, an einer Lungenembolie verstorben. "So ein Schlag macht einem bewusst, wie groß die Angriffsfläche des Schicksals ist." Anfang der Neunzigerjahre war sein Vater, damals Bankangestellter, im Zuge eines Überfalls niedergeschossen worden. "Es war ein glatter Bauchschuss, wir wussten lange nicht, ob er es schaffen wird."

Tränen statt Fließwasser

Blickt man noch weiter zurück in die Kindheit des angehenden "Dancing Stars", so offenbart sich eine Welt voller Gegensätze: Zuerst war da das mondäne Umfeld der Operndiva Christa Ludwig, der Piesczeks Eltern als Hausmädchen und Chauffeur dienten und in deren unmittelbarer Nähe Sohn Volker aufwuchs. "Damals entdeckte ich meine Liebe zur Musik." Dann verschlug es die Ludwig plötzlich nach Frankreich, und die Piesczeks wohnten während der Errichtung des eigenen Hauses am Bauernhof der Oma. "Dort herrschten einfachste Verhältnisse, es gab nicht einmal fließendes Wasser."

Die rustikale Phase hat Volker Piesczek übertaucht, der Oper ist er treu geblieben. "La Bohème" ist noch immer sein Lieblingsstück. "Wenn ich Puccini höre, bin ich verdammt nahe am Wasser gebaut." Aber es stimmt schon: Eigentlich lächelt Volker Piesczek lieber im Akkord, als ausufernd über seine Tränen zu reden.

Auf der Suche nach der alten Leidenschaft

Ihr Mann tanzt, Peter Pilz provoziert, und die Parteijugend rebelliert. Dabei müsste sich die Grünen-Chefin Eva Glawischnig eigentlich auf eine Nationalratswahl vorbereiten

Sie kam erst nach der Pause, aber immerhin, sie kam. Als einzige Parteichefin lauschte Eva Glawischnig am Montagabend dem traditionellen Frühlingskonzert der Gardemusik in der Hofburg. Dass sie die Einladung, eher eine Kür als ein Pflichttermin, nicht auslassen wollte, dürfte an den Männern liegen. Am Bundespräsidenten, dem die Garde einen eigenen "Alexander -Van-der-Bellen-Marsch" spielte. Und an ihrem Ehemann, Volker Piesczek, der mit seiner Swing-Band auf der Bühne stand. Nicht immer lässt sich Berufliches und Privates im Leben von Eva Glawischnig so gut kombinieren. Und meistens hat sie auch kein Interesse daran. "Mein Mann und ich sind seit Jahren gewohnt, dass jeder seinen beruflichen Weg geht, und wir unterstützen einander dabei nach besten Kräften", ist ihr einziger Kommentar zum "Dancing Stars"-Engagement von Piesczek. Denn auch wenn das Showbiz ihres Mannes nun auch sie ins Gespräch bringt: Sie hat anderes zu tun. Und zwar gar nicht wenig.

Nach dem Heldenmoment

Im Frühling dieses Jahres, das möglicherweise ein Wahljahr wird, liegt es an ihr, die Grünen aus dem Winterschlaf zu wecken. Dass der bei ihnen etwas länger gedauert hat, liegt ebenfalls an einem Mann: an Alexander Van der Bellen. Die Grünen unterstützten seinen Wahlkampf im Vorjahr mit Geld, Engagement und Hirnschmalz. Die Bundespräsidentenwahl kostete Glawischnig 1,7 Millionen Euro aus der Parteikasse, einige Mitarbeiter, die mit Van der Bellen in die Hofburg wechselten -und viel Aufmerksamkeit. Für ihr internationales Image hat sich diese Investition gelohnt, seit dem Wahlsieg sind die Österreicher prominente Vorbilder in Europas Grün-Bewegungen.

Daheim in Österreich hat Glawischnig allerdings wenig davon. Van der Bellens überparteiliche Amtsführung schadet grünen Positionen zwar nicht, sie stärkt sie aber auch nicht. Zur Fremdenrechtsverschärfung, zur Kürzung der Familienbeihilfe im Ausland oder zur Arbeitnehmerfreizügigkeit sagt der Bundespräsident kein Wort. Und Glawischnig findet das auch richtig: "Regierungskritik ist Aufgabe der Opposition. Dafür sind wir zuständig, nicht der Bundespräsident." Für sie markiert Van der Bellens Wahlsieg eine der schönsten Phasen in der Geschichte der Grünen. Die Frage, was es der Partei bringt, wollte sie sich nicht stellen. "Wir haben unsere parteipolitischen Interessen hinter dieses Anliegen gestellt, damit Österreich keinen blauen Präsidenten bekommt."

Die Macht der Routine

Jetzt, wo das gelungen ist, müssen die Grünen also wieder in Schwung kommen. In den ersten zwölf Wochen dieses Jahres absolvierte Glawischnig deshalb schon genauso viele Pressekonferenzen wie im gesamten zweiten Halbjahr 2016. Sie holte sich einen neuen Bundesgeschäftsführer und baute den Vorstand der Partei um. In diesen Tagen trifft sie Kandidaten aus den Bundesländern, die auf den Listen für die Landtagswahlen 2018 erstmals weit vorne gereiht sind. Sie gründete eine Grünen- Frauenorganisation, die vor allem im ländlichen Raum unterwegs sein soll. Es ist solide Parteiarbeit, die Glawischnig routiniert abwickelt. Überraschungen sind keine vorgesehen. Klingt fad?

In der Partei heißt es, Leidenschaft sei Glawischnigs wichtigstes politisches Instrument. Hinter der altbacken anmutenden Frauenorganisation etwa steht ihre Passion für Gleichberechtigung. Tatsächlich sind nur bei den Grünen alle Gremien paritätisch besetzt. Und nur bei den Grünen konnte die Vorsitzende gleichzeitig Mutter werden und trotzdem Chefin bleiben. Doch nach neun Jahren an der Parteispitze wirkt es so, als hätte sich Österreich zu sehr an sie gewöhnt, um ihre Leidenschaft zu erkennen.

Auch der Klimaschutz ist der Grünen-Chefin ein persönliches Anliegen. Bevor sie in die Politik einstieg, arbeitete sie bei der Umweltschutzorganisation Global 2000. Ihre Dissertation an der Uni schrieb sie über grenznahe Atomkraftwerke. Als vor zwei Wochen allerdings die EU-Kommission grünes Licht für das Atomkraftwerk Paks in Ungarn gab, begnügte sich Glawischnig mit einer Presseaussendung. Sie forderte Bundeskanzler Kern dazu auf, beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen diese Entscheidung einzubringen. Das Gleiche taten auch FPÖ und ÖVP. Darauf angesprochen, sagt Glawischnig: "Wir weisen seit Langem auf das Gefährdungspotenzial von Paks hin." Mit der Renitenz, die im letzten Jahrhundert das Atomkraftwerk in Zwentendorf und das Wasserkraftwerk in Hainburg verhinderte, hat das nichts mehr zu tun.

Bereit für den Kampf

Für Knalleffekte sorgen an ihrer Stelle andere in der Partei. Peter Pilz etwa, der, Eurofighter sei Dank, wieder im Rampenlicht steht. Bei Themen wie der Doppelstaatsbürgerschaft stellt er sich quer zur Parteilinie. Wenige Tage nach der Bundespräsidentenwahl forderte er, die Grünen müssen ihren Politikstil ändern. Noch direkter zielten diese Woche die Jungen Grünen auf Glawischnig. In einem offenen Brief an die Parteivorsitzende nahm die Nachwuchs- Chefin Flora Petrik einen Streit um Studentenvertreter zum Anlass, um Glawischnig zum Rücktritt aufzufordern: "Es wäre ein verantwortungsvoller Schritt, wenn du Platz für andere machst."

Es ist nicht so, dass Glawischnig noch nie über ein Leben nach der Politik nachgedacht hätte. Ein NGO-Job würde sie reizen, aber längst noch nicht jetzt: "Ich bin hochmotiviert, als Spitzenkandidatin der Grünen in die nächste Wahlauseinandersetzung zu gehen", sagt sie, "nachdem wir einen blauen Präsidenten in der Hofburg verhindert haben, will ich das auch in der Regierung und an der Spitze des Nationalrates schaffen." 15 Prozent nimmt sie sich für die nächste Nationalratswahl vor. Das gleiche Ziel hatte sie schon 2013. Damals wurden es nur 12,4 Prozent.

Es sind gute Zeiten für die Grünen, meint man in der Partei. Während alle anderen Parteien nach rechts rücken, könne man Wähler links der Mitte abholen. Jene 23 Prozent der Österreicher, die laut IMAS-Studie zuversichtlich in die Zukunft schauen, wolle man gewinnen.

Damit das gelingt, muss sich Eva Glawischnig bald aus der Reserve begeben. Sie muss sich gegen Angriffe von außen wappnen und sich gegen Querschüsse von innen rüsten. Und unter diesem Schutzpanzer muss sie auch noch beweglich bleiben, kampfbereit, wahlkampfbereit. Es ist keine leichte Übung. Vielleicht hilft ihr der "Alexander-Van-der-Bellen-Marsch" dabei.