Pizzera & Jaus: "Das Ziel ist Zufriedenheit"

Vor ihrem Konzert-Rekord in der Stadthalle sprachen Pizzera und Jaus über den Weg durch den Erfolgstrubel. Und warum ihrem Erfolg ein gesunder Abwehrmechanismus innewohnt.

von Pizzera & Jaus: "Das Ziel ist Zufriedenheit" © Bild: Ricardo Herrgott/News

Eineinhalb Wochen vor ihrem Rekord-Triple in der Wiener Stadthalle vor weit mehr als 30.000 Zusehern, darunter Bundespräsident Alexander Van der Bellen, war Ruhe gefragt. Oft findet man sie an glamourfreien Orten. Wie der betonierten Zufahrtsstraße an der Rückseite des Hotels nahe der Burg Clam. Auf der belebten Gästeterrasse hätten wir doch keine Ruhe für ein Gespräch gefunden, untermauert Paul Pizzera seinen Vorschlag.

Er und Duopartner Otto Jaus wissen, dass sie ja doch niemanden wegschicken würden, der an den Tisch kommt, um über das Konzert vom Vortag zu plaudern. Dass sie niemanden enttäuschen, der ihnen anvertrauen muss, wie ihre Therapiehymne "Klana Indiana" geholfen hat, den Ehemann knapp vor der Pensionierung zur überfälligen Therapie zu stupsen. Ein gemeinsames Foto? Selbstverständlich, gern.

Der 34-jährige Steirer Pizzera und der 39-jährige Niederösterreicher Jaus sind Vorreiter einer neuen Generation der Stars von nebenan. Es ist keine Koketterie, wenn die beiden den Star-Begriff an sich ablehnen. Das Duo stemmt sich bewusst gegen die Mechanismen, die landläufig mit Erfolg und der damit verbundenen Berühmtheit einhergehen. Das Zelebrieren und Forcieren der eigenen Wichtigkeit durch Statussymbole, Abschottung oder Allüren -alles jahrzehntelang immanente Attribute von Stars und solchen die es werden wollten -hat im Universum von Pizzera und Jaus keinen Platz. Verdiente Millionen fließen in neue Projekte. Mit dem stetig wachsenden Erfolg der jungen Männer, die auch als Autoren, Podcaster und Schauspieler reüssieren, wird dieser Weg zunehmend schwerer. Ein Gespräch über Erfolg, seine Wurzeln und Schattenseiten.

© Ricardo Herrgott/News Otto Jaus (li.) und Paul Pizzera brauchen keine Statussymbole. Aber hin und wieder einen Verband an der Gitarrenhand
trafen einander im Herbst 2013 bei der "Langen Nacht des Kabaretts" in Leoben. Ihr dritter Song "Jedermann" (2016) wurde Nummer eins der Charts und verhalf zum Durchbruch. Binnen fünf Jahren schrieb das Musikkabarett-Duo Austropop- Geschichte. In der ewigen Bestenliste Österreichs erfolgreichster Chart-Alben seit 1973 belegen sie Platz vier (hinter Andrea Berg, Abba und Helene Fischer) vor Ed Sheeran. Im November erscheint das dritte Album "Comedian Rhapsody", die gleichnamige Tour startet Anfang 2023. Ab Oktober stehen sie für den Film "Pulled Pork" vor der Kamera.

Binnen fünf Jahren haben Sie 170.000 CDs verkauft und vor 600.000 Menschen Konzerte gespielt, auf die Donauinsel kamen Hunderttausend auf einmal. Gewöhnt man sich an den Jubel?
Paul Pizzera: Nein. Wir folgen dem Bemühen, dass ein Bogen gespannt sein muss, damit der Pfeil fliegen kann. Würden wir rausgehen und denken, uns kann eh nichts passieren, würden wir nicht so gut abliefern, wie wir es offenbar schaffen. Es ist besser, ein Verhalten zu haben, das von Dankbarkeit getragen ist. Der Friedhof derer, die gerne auf solchen Bühnen spielen würden, ist größer als der von Bands, die es geschafft haben. Wir wollen dem Publikum, den Veranstaltern, der Crew immer wieder beweisen, dass es Sinn macht, dass es uns gibt. Wir sind noch immer nervös vorm Auftritt.
Otto Jaus: Ich wäre lieber nur gespannt als nervös. Wenn wir von der Bühne kommen und jemand sagt "Super wart's ihr!", kann ich nie zustimmen. Gestern haben wir es mit der Band von Wolfgang Ambros umgekehrt erlebt. Wir haben ihnen zum Auftritt gratuliert, als sie von der Bühne gekommen sind, und diese Kapazunder sagen drauf: "Naja. Nein ..." Das hört scheinbar nie auf, egal, wie lange du erfolgreich bist.

Ist dieses Getriebenheit immanent für den Erfolg?
Pizzera: Auf jeden Fall. Erfolg ist eine Mischung aus Leistung und Zufall. Für Letzteres muss man dankbar sein. Zur Leistung gehört, dass man sich keinesfalls die Lorbeeren unterm Hintern wegfaulen lässt. Das Leben verliert, wenn man erst mal glaubt, man kann nichts mehr lernen. Es gibt auch Menschen, denen der Erfolg unrecht gibt.

Wie oft hören Sie überhaupt noch, dass etwas verbesserungswürdig war?
Jaus: Ich bin kein Fan von Kritiken, weder guten noch schlechten, denn die wenigsten Kritiker haben Bühnenerfahrung oder je ein Programm geschrieben. Bei Paul höre ich gut zu, wenn er Kritik übt. Und Michael Niavarani ist ein guter Kritiker.
Pizzera: Otto und ich sind einander gegenseitig Lehrer und Schüler, weil der eine Begabungen hat, die der andere nicht hat. Man sollte die eigene Austauschbarkeit immer präsent haben. Dass die Welt sich weiterdreht, wenn es dich nicht gibt. Was mit dem Erfolg mitschwingt, ist, dass man ihn in der Situation oft nicht genießen kann. Es gibt Auftritte, nach denen du zwar die Faust nach oben reißt, weil es so gut war - was auch von Verbissenheit und Ehrgeiz zeugt -, aber du genießt den Moment dann nicht so, wie du könntest, weil dieser Drang nach Erfolg sukzessive die Zufriedenheit schwinden lässt.

»Du genießt den Moment nicht, wie du könntest. Der Drang nach Erfolg lässt sukzessive die Zufriedenheit schwinden«

Laut einer Studie ("Being a Celebrity: A Phenomenology of Fame") erleben Stars vier Phasen des Umgangs mit dem Ruhm. Die erste ist geprägt von Hassliebe, die zweite von Abhängigkeit, dann folgen Akzeptanz und Anpassung. In welcher Phase sind Sie?
Jaus: Mir wäre am liebsten, wenn wir immer ausverkauft wären, aber niemand weiß, wer ich bin.
Pizzera: Der Weinviertler Cro.
Jaus: (Lacht) Es ist für mich noch immer schwierig, wenn Menschen, die eine Eintrittskarte kaufen, glauben, dass sie dich kaufen. Es ist oft schwierig klarzustellen, dass das nicht so ist. Auch bei manchen Interviews muss man immer wieder sagen, dass es eine Grenze gibt, da geht es nicht drüber. Das ist das Privatleben, Frau, Kind. Da wird es mit dem Berühmtsein schwierig, weil viele glauben, sie hätten ein Recht darauf.

Aber Sie haben für Ihren Erfolg absichtlich den Weg vor großem Publikum gewählt.
Jaus: Vollkommen richtig. Ginge es nur um die Freude am Musikmachen, könnten wir das auch zu Hause machen.
Pizzera: Ich glaube, dass jeder und jede, der auf einer Bühne steht, ein bissl einen Tuscher hat. Weil es für mich nicht logisch ist, dass du dir von einer anonymen Masse sagen lässt, wie gut du bist. Jeder und jede im Publikum hat ein gesünderes Psycho-Bewusstsein als der, der oben steht. Andererseits gibt es schlimmere Arten, seinen Tuscher auszuleben, als Leuten eine gute Zeit zu bescheren. Natürlich ist es ein Loch an Liebe, das man füllen will. Ich weiß, dass es bei mir auf jeden Fall ein Insuffizienzgefühl oder Minderwertigkeitskomplex ist, der ein großer Beweggrund dafür war, dass ich mir gedacht habe: Jetzt schau ich, wie gut das ankommt, was ich da mache.
Jaus: Natürlich geht man auf eine Bühne, um zu hören, dass man gut ist. Aber wenn das der Hauptgrund ist, sollte man nicht auf die Bühne gehen. Denn es gibt noch viel mehr Gründe: um zu unterhalten, Musik zu machen, Menschen eine schöne Zeit zu schenken.
Pizzera: Besser aus unlauteren Gründen Gutes zu tun, als aus lauteren Gründen Ungutes tun.
Jaus: Ich verstehe oft nicht, was er sagt. Aber: Ja. Zu sagen in welcher Phase wir stecken, bräuchte eine tagelange Analyse. Es ändert sich ständig. Es hat Zeiten größten Erfolgs gegeben, in denen ich gedacht habe: Ich will nicht mehr, ich will nur zwei Jahre Ruhe. Ich werde jetzt Tierpfleger in Schönbrunn oder mache eine Forstschule auf.

© Ricardo Herrgott/News
Der studierte Germanist, Jahrgang 1988, startete mit dem Sieg beim Kabarettpreis "Grazer Kleinkunstvogel" (2011 )durch. 2015 und 2016 sahen 122.000 Zuseher seine Soloprogramme. Als Autor reüssierte er 2020 mit "Der hippokratische Neid", die Fortsetzung "König der Möwen" erscheint im Herbst. Seit 2020 plaudert er im Podcast "Hawi D'Ehre" (mit Gabi Hiller, Philipp Hansa, Ö3), das Trio trat u. a. in der Staatsoper auf. Pizzera ist mit Schauspielerin Valerie Huber verlobt.

Was ist schwerer zu verdauen: Ruhm oder Erfolg?
Pizzera: Für mich ist ein Kardinalsymptom, wenn ich niemanden sehen will. Wenn ich zwei Tage nur allein sein will, merke ich, es ist grad a bissl viel mit der Arbeit und dem Selfie-Blödsinn. Dann schotte ich mich ab und bin allein und geh' in den Wald. Wenn ich mich vor zehn Jahren so reden gehört hätte, dass der Wald super ist ... (schüttelt den Kopf).
Jaus: ... stimmt. Du und Wald!
Pizzera: Vielleicht deutet das, darauf hin, dass ich in der Akzeptanzphase bin, in der man spürt, was gut für einen ist und dass Erfolg nicht alles ist. Ich habe vor dem Lockdown wirklich Angst gehabt, dass ich mich nicht mehr mag, wenn ich nicht mehr auftreten kann, weil ich diese Bestätigung nicht in regelmäßigen Dosen erhalten darf. Und dann ist gar nichts passiert. Ich habe meinen kreativen Tuscher im Proberaum und in meinem Buch ausgelebt. Also wenn der Beifall das Einzige ist, woraus du deinen Selbstwert beziehst, wird es sehr, sehr gefährlich. Und Ruhm und Erfolg sind zwei sehr verschiedene Dinge.
Jaus: Exakt. Für mich ist jemand erfolgreich, der zufrieden ist. Zufriedenheit ist das Schönste, das du im Leben haben kannst. Nicht Glück. Zufriedenheit. Du kannst auch einmal unglücklich sein, aber Zufriedenheit ist wichtig. Das ist für mich Erfolg.

Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl: Jetzt haben wir's geschafft!?
Jaus: Ich muss ehrlich sagen, der Gedanke, wir haben es geschafft, ist noch immer nicht angekommen. Wir begreifen ja teilweise noch immer nicht, wie Menschen mit uns umgehen oder was sie in uns sehen. Nach einem Auftritt in Deutschland, in Burghausen, hat sich eine Dame an den Seitenspiegel von Pauls fahrendem Auto gehängt. Bei meinem Auto hat eine andere die Tür aufgerissen, als ich vorbeigefahren bin. Da frage ich mich: Warum tun die das? Das ist gefährlich! Wer bin ich, dass die das tun? Ich habe keine Antwort. Dass wir dreimal die Stadthalle ausverkauft haben, ist noch nicht drinnen im Kopf.
Pizzera: Oder dass es Leute gibt, die sich unsere Liedtexte tätowieren lassen ...

Was machen diese Erfahrungen mit Ihnen?
Jaus: Wenn jemand mit "unerhört solide" am Arm rumrennt, ist das schon seltsam. Purer Wahnsinn. Auch, wenn wir die erste Zeile von einem Lied nicht singen müssen, weil das Publikum alles singt. Wir stehen selten da und sagen, wir haben es geschafft.
Pizzera: Ich glaube, es ist eine in einem Abwehrmechanismus resultierende Hochmutsprävention.

»Warum tun die das? Das ist gefährlich! Wer bin ich, dass die das tun? Ich habe keine Antwort«

Können Sie das erklären?
Pizzera: Ja, dass du dich, um dein Seelenheil und dich zu schützen, nicht auf ein Podest stellst, damit du eben nicht arrogant wirst und durchdrehst. Noch einmal: Wir sind völlig austauschbar, aber natürlich können solche Erfahrungen in deinem Mikrokosmos gefährlich sein. Es ist gut, dass wir uns nicht als erfolgreich betrachten. Wenn sich jemand nicht ernst nimmt, dann kann ich ihn ernst nehmen. So möchte ich Leuten begegnen.
Jaus: Oft bedeutet Erfolg, dass du viel Geld hast, ein super Auto, eine super Wohnung, dass man weiß, wer du bist. Das ist Blödsinn. Wenn du in dich reinhörst, merkst du, dass du einfach Spaß haben willst, an dem was du tust, und gut davon leben können willst. Das ist nur schwer zu begreifen, wenn man von klein auf die gesellschaftliche Gehirnwäsche bekommen hat, wie ein erfolgreicher Mensch zu sein hat.

Woran machen Sie Erfolg fest?
Pizzera: Dass ich gut mit mir auskomme. Dass ich mich mag. Jaus: Dass ich sagen kann, es ist okay, wie ich bin. Du bist nur dir selbst Rechenschaft schuldig. Und deinem Kind, da hast du Verantwortung hoch zehn. Sonst ist es okay zu sagen, lass mich in Ruhe, wenn dir jemand Energie raubt. Sich zu sagen, ich hab nur das Beste verdient und das Beste ist, was ich in mir drinnen fühle, ist leider verdammt schwer.

Darf man als Künstler reich sein in Österreich? Oder lieben wir unsere Künstler mehr, solange sie bescheiden sind?
Pizzera: Nein, FM4 hat uns schon immer abgelehnt. (Lacht). Reich sein? Also, ich bin froh, dass ich gut essen gehen kann. Ich bin froh, dass ich nicht schauen muss, ob es eine Autobahn-Tankstelle ist oder eine normale. Meine Urlaube sind alles andere als exklusiv, weil ich mag, dass dort niemand ist. Ich hab alles, was ich brauche.
Jaus: Man muss nicht mehr sorgenvoll schauen, wo man etwas herkriegt. Das ist nicht alles, aber ja, es ist schön. Wir wissen auch, wie es anders war. Hätte es, als wir gemeinsam begonnen haben, nicht funktioniert, wären wir schön in der Scheiße gesessen.

Weil Sie damals um viel Geld Musikvideos gedreht haben, obwohl sie abseits des Kabaretts niemand kannte.
Pizzera: Ja, das erste Video hat 60.000 Euro gekostet, die anderen weniger.
Jaus: Halbherzigkeit war nie eine Option. Wenn, dann Vollgas. Dann weißt du, dass du alles versucht hast, wenn es nicht funktioniert.
Pizzera: Befriedigend an unserem Erfolg ist für mich, dass wir keine Rich Kids sind und kein Vitamin B gehabt haben. Ich weiß, dass wir uns alles mit eigenen Händen und Hirn geschaffen haben. Das ist besonders, weil es ein authentischer, organischer Weg war.

© Ricardo Herrgott/News Otto Jaus
geboren 1983, studierte nach der Ausbildung bei den Wiener Sängerknaben u. a. am Konservatorium. Er spielte im Kabarett Simpl, auf Operettenbühnen (Seefestspiele Mörbisch, Volksoper), am Globe Wien und erhielt für sein Solokabarett 2014 den Österreichischen Kabarettpreis. 2020 spielt er im Film "Hals über Kopf". Eben erschien sein Kochbuch "Jausmannskost" mit Mutter Elisabeth. Jaus ist mit Schauspielerin Eva-Maria Frank verheiratet und wurde 2020 Vater.

Erleben Sie Image und wirtschaftlichen Erfolg als Spagat? Über Geld spricht man ja nicht in Österreich.
Jaus: Ich wüsste aber auch nicht, warum man darüber reden sollte, was man verdient.

In den USA ist es ganz normal, seinen Erfolg stolz in Statussymbole zu gießen.
Pizzera: Stolz sein und angeben sind zwei verschiedene Dinge. Wenn dich wer fragt, ob das deine Wohnung ist, kannst du ja dazu stehen, aber den Autoschlüssel offen auf den Tisch zu legen, ist eine andere Sache.

Laut der US-Studie hat Berühmtheit und Reichtum Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Beides kann zu Persönlichkeitsspaltung, Misstrauen, Isolation und der mangelnden Bereitschaft, den Ruhm aufzugeben, führen. Wie wichtig sind die Menschen im privaten Umfeld auch als Korrektiv?
Pizzera: Ein sicherer Hafen, jemand, wo du dich anlehnen kannst, ist das A und O. Billie Eilish hat dazu gesagt, sie fühlt sich, als würde sie sechs Leben gleichzeitig leben. Nicht falsch verstehen, sie ist ein Weltstar, aber manchmal habe ich auch in unserem Mini-Kosmos das Gefühl, es zerreißt mich. Konzerte, Interviews, Text-Lernen, der Freund, der Freikarten möchte. Mich dann einfach mit der Partnerin oder einem Freund zusammenzusetzen, das sortiert mich.
Jaus: Voriges Jahr im Sommer war die Hölle. Ich war mit mir selbst überfordert und mit allem anderen auch. Ich bin Papa geworden und hab nicht mehr gewusst: Wo bin ich? Wo ist meine Beziehung? Wo ist Pizzera und Jaus? Wo stehe ich als Privatperson? Ich war dankbar für die vielen Konzerte, aber es war auch eine Katastrophe. Ich war komplett überfordert.
Pizzera: Ich habe kein Kind, aber verstehe diese Gefühle und es ist wichtig, dass man sie zulassen kann. Dass du nicht sagst, ich muss das schaffen, weil die anderen schaffen es auch.
Jaus: Man muss sagen dürfen, dass man überfordert ist. Dann ist es wichtig, die richtigen Menschen um sich zu haben, für die es okay ist, dass du auch einmal schwach bist. Ich habe eine Therapie gemacht und bin viel spazieren gegangen. In den Wald. Stundenlang. Ich habe mit der Wim-Hof-Methode angefangen. Die kann ich jedem nur ans Herz legen. Das hat mir wirklich geholfen. Ab einem gewissen Level kann man niemandem erklären, was der Erfolg mit dir macht. Sobald sich Träume erfüllen, wird es schwierig. Es passiert etwas mit dir, wenn du vor 11.000 Leuten spielst und am nächsten Tag ...
Pizzera: ... den Geschirrspüler ausräumst.

» Man muss sagen dürfen, dass man überfordert ist«

Was passiert denn?
Pizzera: Ich hab mich wertlos gefühlt. Und ich hab nicht gewusst, wo das herkommt. Das ist ein Hoch und danach ist es die große Leere. Heute weiß ich, dass die Leere normal ist nach einem großen Konzert. Und mir ist zehntausendmal lieber, das Hoch und die Leere zu erleben, als auf einem Level zu stagnieren.

Daher kam es zur Therapie-Hymne "Klana Indiana".
Pizzera: Ja, wir haben beide Therapie in Anspruch genommen und schließen nicht aus, es wieder zu tun. Es hat uns geholfen. Und wenn wir mit unserem Z-Promistatus helfen können, das Thema zu enttabuisieren, ist das ein Riesenerfolg.

Was ist Ihr größter Misserfolg?
Jaus: Die besten Aufführungen sind die, die nicht funktionieren. Wir sind erfolgsverwöhnt, aber es hat auch anstrengende Aufführungen gegeben, bei diesen lernt man am meisten.
Pizzera: Man kann nicht von Misserfolg sprechen, wenn es ständig bergauf geht. Aber wenn es ständig bergauf geht, fühlt sich auch eine Gerade wie ein Abstieg an. Wenn ich denke, das Lied ist unfassbar geil, und es landet nur im Mittelfeld ist das schwierig für mich. Aber auch ein Übung, wenn du diese Hybris hast und dann den Dämpfer bekommst.

Müssen die Ziele größer werden?
Pizzera: Es geht immer mehr, klar. Aber wir wollen uns als Personen nicht verlieren. Woran scheitern Bands? An Befindlichkeiten oder am Geld. Wir stehen wirklich gern gemeinsam auf der Bühne. Das muss keine Stadiontour sein, um uns noch glücklicher zu machen. Erfolg ist auch, dass wir uns mögen und gern miteinander unserer Kunst nachgehen.
Jaus: Wer glaubt, dass Erfolg mit großem Publikum und viel Geld zu tun hat, irrt. Das macht dich nicht glücklich, außer vielleicht für eine Woche. Natürlich kann man mir vorwerfen: Du hast genug Geld, da ist leicht reden. Mich hat es nicht glücklich gemacht. Das Ziel ist die Freude an dem, was wir tun.

222 Millionen Streams sind die digitale Erfolgsbilanz der Alben und Songs des Duos auf YouTube und Audio-Plattformen. "Eine ins Leben" hat alleine mehr als 20 Millionen Streams.

11 Platin-Auszeichnungen erhielten die Alben ("Unerhört solide" und "Wer nicht fühlen will, muss hören"), sowie die Hits "Eine ins Leben","Jedermann" und "Unerhört solide".

255 Wochen in den Charts. Seit knapp fünf Jahren sind Pizzera und Jaus' Hits durchgehend in den Charts, oft mehrere gleichzeitig.

Dieses Mindset haben Sie sich erarbeitet. Wie oft und wo reden Sie miteinander?
Jaus: Wir waren leider viel zu lange nicht mehr gemeinsam auf Urlaub. Aber wir haben Tage verbracht, an denen plaudern wir viel, abseits vom Beruf. Die Freundschaft zum Pauli ist wichtiger als der Beruf. Wenn der Pauli sagt, ich will nimmer, wäre das trotzdem noch immer die wichtigste Freundschaft meines Lebens und ich würde mich über alles freuen, was ihm gelingt.
Pizzera: Es kann niemand nachvollziehen, was wir gemeinsam erlebt haben. Das wird uns immer verbinden.
Jaus: Möglich, dass einer von uns einmal sagt, ich hätt' gerne zwei Jahre Ruhe von der Band. Aber generell denke ich, dass man uns noch im Rollator auf die Bühne schieben wird.

Mit dem Erfolg kommt Verantwortung. Warum haben Sie beim Ukraine-Benefiz die Freiheitshymne "Die Gedanken sind frei" gesungen?
Pizzera: Das Lied wurde von den Geschwistern Scholl für den inhaftierten Vater gesungen. Uns ist es um die Liebe zur Freiheit gegangen und darum zu zeigen, dass Krieg immer ein Fehler ist. Die Ukraine muss gewinnen? Da gibt es nichts zu gewinnen, es muss einfach aufhören. Es wird hier zu sehr in Schwarz-Weiß gedacht. Das war ein Grund für diese Lied. Nichts rechtfertigt die Gräueltaten von Putin und dieses unfassbare Leid, die sie nach sich ziehen, aber auch die Gleichschaltung von Gedankengut, die westlich gesteuert ist, ist falsch.
Jaus: Wenn auf Facebook jemand bejubelt wird, der andere Menschen in einem Krieg getötet hat, habe ich das Gefühl, es läuft etwas falsch.

Manche Botschaften brauchen Mut, Stichwort Cancel Culture. Wie genau müssen Sie überlegen, was Sie sagen?
Pizzera: Leider Gottes viel zu viel momentan. Dass uns gleich ist, wo jemand herkommt, wen wer liebt oder welchen imaginären Freund man anbetet, ist hier, bitte, vorausgesetzt. Und es ist völlig klar, dass Achtsamkeit notwendig ist. Aber die Empörung wird momentan so dermaßen mit der Muttermilch aufgesogen, dass ich oft denke, hier werden die Bekehrten belehrt. Zu - in meinen Augen sehr achtsamen - Menschen wird gesagt: Aber das eine machst du noch immer falsch! Dabei vergisst man, dass es um die anderen geht, die es zu gewinnen gilt. Wenn bei einem Reggaefestival eine Band gecancelt wird, weil ein weißer Mensch Dreadlocks trägt und die Veranstalter sich für dessen rassistischen Akt entschuldigen, weil dieser eine kulturelle Aneignung darstellt, ist das einfach nicht nachvollziehbar.

Das Interview erschien ursprünglich im News 34/2022.