"Die Monarchie ergibt keinen Sinn"

Nach "The Queen" hat Peter Morgan nun auch die Serie "The Crown" über Elisabeth II. geschrieben. Seinen Besuch im Buckingham-Palast beschreibt der Drehbuchautor dennoch als "komplett plemplem"

von TV-Serie - "Die Monarchie ergibt keinen Sinn" © Bild: News Reich Sebastian

Seit zehn Jahren erzählen Sie erfolgreich über das britische Königshaus - im Film "The Queen", dem Theaterstück "The Audience" und jetzt in der Netflix-Serie "The Crown". Die königliche Familie scheint Sie ja sehr zu faszinieren, Herr Morgan!
Ein entsetzlicher Gedanke! Die Royals könnten mir nicht gleichgültiger sein. Hätten Sie mir vor zwölf Jahren gesagt, dass ich dafür bekannt würde, wäre ich von einer Brücke gesprungen. Zunächst war es ein Fernsehfilm über die Rivalität zwischen Gordon Brown und Tony Blair, den ich schrieb ("The Deal", 2003, Anm.). Er schilderte den politischen Kern britischer Lebenskultur und war in England sehr erfolgreich. Dann sagten die Produzenten: "Warum schreibst du nicht etwas Ähnliches über den Tod von Diana?" Ich fing an zu recherchieren, konnte aber rund um Dianas Tod nichts finden, das mich interessiert hätte. Was ich spannend fand, waren die Tage nach ihrem Tod. Die Produzenten hatten mich gebeten, Tony Blair dabei draußen zu lassen, also schrieb ich über die königliche Familie. Das war fad. Die Geschichte nahm erst Fahrt auf, als ich Tony Blair einbaute. Und weil es derart Spaß machte, die Szenen zwischen der Königin und dem Premierminister, die traditionellen privaten Audienzen, zu schreiben, entwickelte ich daraus das Theaterstück "The Audience". Auch in "The Crown" schreibe ich nicht über die Queen, sondern über die Queen im Wechselspiel mit den politischen Kräften. Gerade die Szenen zwischen Churchill und der jungen Queen begeisterten mich, weil er wie ein Großvater war.

Gibt es noch andere Missverständnisse zu "The Crown"?
Das verbreitetste Missverständnis über die Serie ist, dass manche glauben, ich würde die königliche Familie vermenschlichen und zeigen, dass sie wie wir sind. Das sind sie nicht! Das System, in dem sie leben, ist anders. Die Regeln, nach denen sie leben, sind anders. Alles ist auf eine fantastische Art unlogisch. Kritiker sagen, die Monarchie wurde nie gewählt. Aber würden wir morgen darüber abstimmen, ob wir die Queen behalten wollen, würde es über 90 Prozent Zustimmung geben.

© News Reich Sebastian Peter Morgan im Gespräch mit Lisa Ulrich-Gödel

Ist der Stellenwert der königlichen Familie angesichts von politischen Turbulenzen gewachsen?
Es ist schrecklich, das zuzugeben, aber: ja. Weil uns die Politiker zunehmend im Stich lassen. Die Monarchie ergibt überhaupt keinen Sinn. In einer egalitären, modernen Gesellschaft ist so etwas Verrücktes wie eine Monarchie eigentlich unhaltbar. Aber in England ist die Funktion, die sie für die Menschen erfüllt, unerklärbar stark. In den Tagen rund um den Brexit, als das ganze Land verrückt spielte, war es gut, zu wissen, dass dies nur Politiker sind und wir ein stabiles Staatsoberhaupt haben. Deshalb sind wir auch so brutal zu unseren Politikern, weil wir sie nicht, wie die Amerikaner, mit unserem Staatsoberhaupt verwechseln. Die Royals erlauben uns, Politiker mit größerer Geringschätzung zu behandeln.

»Keine Meinung haben zu dürfen, wie die Queen, fordert unglaublichen Tribut von der Persönlichkeit. Sie wird nie wissen, wer die wahre Elizabeth Windsor ist«

Was sind denn die Stärken der Queen?
Sie hat 60 Jahre lang nicht einen groben Fehler gemacht. Das ist unglaublich. Ich mache Fehler in der Sekunde, in der ich den Mund aufmache. Darum bin ich auch nicht in sozialen Netzwerken aktiv, weil ich eine Meinung habe. Keine Meinung haben zu dürfen, wie die Queen, fordert unglaublichen Tribut von der Persönlichkeit. Sie wird nie wissen, wer die wahre Elizabeth Windsor ist. Weil sie nie die Chance hatte, diese Person zu sein.

Ihre Eltern flohen in den 30er-Jahren aus Deutschland und Polen nach England. Welchen Stellenwert hatten die Royals in Ihrer Familie?
Weil meine Eltern Flüchtlinge waren und England ihre neue Heimat, waren sie überzeugte Monarchisten. Die Monarchie brachte die neue Heimat auf den Punkt, war ein Symbol.

Nun schreiben Sie über die Frau, in deren Regentschaft Sie aufwuchsen. Fragen Sie sich oft, wie realitätsnah Ihre Erzählung gelingt?
Mir ist die Verantwortung bewusst, dass es Zuseher geben könnte, die glauben, dass alles tatsächlich so geschehen ist, während es natürlich nur ein Bild davon ist. Doch die Serie schafft ein reales Verständnis für die Herausforderungen, denen sich die Queen und die Premierminister stellen müssen. Interessanterweise wurde mir erst durch das Schreiben bewusst, wie viele Premierminister zurückgetreten sind. Gleich die ersten drei Premierminister unter der Queen traten aus gesundheitlichen und Altersgründen zurück und ließen diese junge Frau mit der Aufgabe zurück, für Stabilität zu sorgen. All diese gebrochenen Seelen, die Downing Street bevölkerten, sind faszinierend. Die Männer, die zerbrechen, und die Frau, die alles zusammenhält, bieten einen guten Rahmen für ein Drehbuch.

Ist Ihr Respekt gewachsen, während Sie an "The Crown" gearbeitet haben?
Ich denke schon. Es gab starke Charaktere in der britischen Geschichte - Königin Elisabeth I., Königin Viktoria, Königin Elisabeth II. - alles Frauen. Und man kann über Margaret Thatcher denken, was man will, aber sie musste zeternd aus Downing Street gezerrt werden, während alle Männer krank oder verrückt rausgetragen werden mussten. Die Queen muss sich still verhalten und erhält deshalb zu wenig Anerkennung. Nicht als feministische Ikone, das ist sie nicht - aber als starke Frau mit Kult-Symbolcharakter.

»Der Buckingham-Palast fühlt sich an wie ein Themenpark. Nichts hat etwas mit der Realität zu tun. Es ist komplett plemplem.«

Anfang des Jahres wurden Sie von Prince Charles zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. Wie seltsam war es, ihn zu treffen?
Es war eigenartig, weil der Buckingham-Palast sich anfühlt wie ein Themenpark. Nichts an so einem Tag hat etwas mit der Realität zu tun. Es ist komplett plemplem.

Dürfen Sie als Brite so etwas überhaupt sagen?
Ich bin vielleicht Brite, aber ich bin nicht blind oder dumm. Natürlich ist es plemplem. Ab dem Moment, in dem man den Palast betritt, tragen alle lächerliche Kostüme, sagen lächerliche Dinge und benehmen sich eigenartig. Es ergibt keinen Sinn. Ich fühlte den Drang, zu sagen: "Stopp! Schaut in den Spiegel und fragt euch: Ist das, wie sich ein vernünftiger Erwachsener 2016 kleiden oder benehmen sollte?" Nein! Aber wir lieben dieses Theater. Es dient dazu, uns einzuschüchtern und zu verunsichern, und es verschleiert die Unlogik der Monarchie.

© News Reich Sebastian

Haben Sie erwogen, die Ehrung nicht anzunehmen?
Auch wenn Ehrungen lächerlich sind, wäre es kindischer, sie abzulehnen, als sie anzunehmen. Ich verstehe meine Kollegen, die in den 70er-Jahren Ehrungen ablehnten, weil der Klassenkampf damals ein hoch emotionales Thema war. Aber wir haben die Vorstellung, dass die königliche Familie Macht hätte oder es ein Ungleichgewicht gäbe, doch längst hinter uns gelassen. Außerdem wird man von Kollegen für die Auszeichnung nominiert, nicht von der königlichen Familie. Charles hat doch keine Ahnung, wer ich bin.

Sie denken, die Windsors zappen nicht bei Netflix rein und schauen, was dort über sie so läuft?
Die jungen Royals vielleicht. Die anderen eher nicht. Die leben seit Jahrzehnten damit, dass täglich etwas über sie in der Zeitung steht. Warum sollte sie diese Serie kümmern?

Sie zählen immerhin zu den gefragtesten Drehbuchautoren Hollywoods. Wie lautet Ihr Rezept für den Sprung nach Hollywood?
Die Menschen dort arbeiten unglaublich hart und beobachten ständig die ganze Welt: Du kannst eine Radiosendung in Dänemark machen - wenn sie gut ist, ruft Hollywood dich an. Hollywood findet dich, du musst dich nicht um Hollywood bemühen.

Wie erleben Sie den wachsenden Erfolg und Rummel um Ihre Person?
Meine Stimmung auf dem roten Teppich richtet sich danach, ob ich in der Früh eine gute Szene geschrieben habe. Erfolg ist etwas, was du deinem ärgsten Feind nicht wünschst. Nicht, weil er nicht angenehm ist, sondern weil Erfolg wie Misserfolg schwer zu bewältigen ist. Erfolg verursacht Turbulenzen und kann Menschen zerstören. Die Veröffentlichung von "The Crown" in 183 Ländern gleichzeitig war traumatisch für mich. Das ist ein so hoher Grad an Aufmerksamkeit, ich ertrage das schlecht. Die Premierenwoche war wie eine Operation am offenen Herzen. Diese Art von Aufmerksamkeit verursacht Erschütterungen an den Grundfesten meines Lebens. Manche Menschen arbeiten gut im Chaos, ich mag Stabilität. Ich wollte nie Schauspieler oder Regisseur werden. Wenn jemand Autor wird, sagt er damit auch, dass er gerne in Ruhe gelassen werden möchte.

Trotzdem erschienen Sie mit Ihrer Tochter Gioia in London am roten Teppich.
Ich habe ihr gesagt: "Du musst das nicht tun!" Aber sie wollte unbedingt und sagt, es habe ihr Spaß gemacht. Meine anderen Kinder interessiert gar nicht, was ich tue. Sie schauten gestern Netflix, und als "The Crown" auf der Startseite kam, sagten sie nicht mal: "Oh Dad, deine Serie!", sondern zappten einfach weiter. Das ist gut und gesund. Was Eltern tun, ist langweilig.

Sie geben selten Interviews, äußern sich nie zum aktuellen Geschehen. Haben Sie nie das Gefühl, politisch Stellung beziehen zu wollen, als jemand, der gehört wird?
Manche Menschen tun das gerne, ich fühle mich dabei nicht wohl. Natürlich ist der Zustand der Politik deprimierend. Zu allem Schaden hat der Brexit auch noch unser Vertrauen in das politische System erschüttert. Eine katastrophale Serie arroganter, schlechter Entscheidungen. Die Wahrheit ist, dass die Koalition davor gut funktioniert hat. Die Liberaldemokraten hielten die Konservativen bei Verstand, auch wenn sie sich gegenseitig hassten. Dann gab es Wahlen, und Camerons Überheblichkeit nach dem Sieg führte zum Referendum, das es in einer Koalition nie gegeben hätte. Die Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, stimmten nicht für den Austritt aus der EU, sondern wollten ihrer Wut Ausdruck verleihen. Und durch ein Staatsoberhaupt, dessen Priorität darauf ausgerichtet ist, den Commonwealth zu erhalten, verbreitet sich eine Grundstimmung, auch wenn es keine Meinung dazu äußert. Die Queen würde lieber mit einem indischen Stammeshäuptling Zeit verbringen als mit einem europäischen Politiker. Wir dürfen nicht vergessen, dass ihr Vater noch Kaiser war und die Unabhängigkeit all der Staaten ihm Sorgen bereitet hat. Der Zusammenhalt des Commonwealth ist ihre Lebensaufgabe. Das wird sich erst nach ihrem Tod ändern.

Hätte ein König Charles nicht dasselbe Bestreben?
Er ist eine Generation jünger. Ich habe natürlich nie mit ihm gesprochen, aber ich nehme an, er wäre europafreundlicher. Die Queen würde das nie sagen und niemand hat das je angedeutet, aber ich vermute, ihr Misstrauen gegenüber den Deutschen und Franzosen ist auf eine vererbte Weise groß. Charles ist offener, fortschrittlicher; eine interessante, vielschichtige, intelligente Person.

»In die königliche Familie zu heiraten ist eine Qual. Harrys Freundin weiß das«

Abgesehen von seinen schlechten Entscheidungen in Liebesdingen.
Es ist keine schlechte Entscheidung. Er liebt Camilla. Nur ist sie nicht jene Frau, die die Leute für ihn wollten. Sie war eine unpopuläre Wahl. Aber würden Sie die ganze Geschichte kennen, wären Sie zu Tränen gerührt. Er traf sie noch vor Diana, und die beiden verliebten sich. Doch sein Onkel befand sie als unpassend, weil sie keine Jungfrau war. Er wurde getrennt von dem Menschen, den er liebte.

Wieso wird es noch immer als großartig erachtet, ins Königshaus einzuheiraten?
Keine Ahnung. Das ist doch eine Katastrophe. Eine Qual wie "Rosemary's Baby". Die neue Freundin von Harry, die Schauspielerin, hat nur einen Tag gebraucht, um herauszufinden, wie sich das anfühlt. Aber das ist unsere Schuld. Wir behandeln Popstars besser als die Royals. Popstars kaufen wir ihre Platten ab und zeigen ihnen unsere Wertschätzung. Die Royals behandeln wir wie Zootiere. Würden wir hier mit Harry sitzen, würden wir ihn als außergewöhnlich angenehmen, aufmerksamen Menschen empfinden.


Peter Morgan

wurde 1963 in Wimbledon, London, als Sohn deutschpolnischer Einwanderer geboren. Er studierte an der Universität Leeds und schaffte nach Büchern für TV-Serien und Theaterstücken mit dem TV-Film "The Deal" (2003) den Durchbruch in England. Seine Kinofilme "The Queen" (2006),"The Last King of Scotland" (2006),"Frost/Nixon" (2008) und "Hereafter" (2010) erhielten 13 Oscar-Nominierungen und zwei Oscars. Morgan verfasste das Drehbuch zu "Rush" (2013); sein Theaterstück "The Audience" erhielt zwei Tony Awards. Peter Morgan lebt in London und Wien und hat mit Lila Morgan-Schwarzenberg fünf Kinder.

Die Serie

Leben für die Krone als Politdrama
Mit einem Budget von mehr als 100 Millionen Euro produzierte Netflix seine bislang teuerste Serie, "The Crown", über das Wirken von Queen Elisabeth II. Dabei gelang dem Autor und Produzenten Peter Morgan mehr als bloß die Nacherzählung der Familienchronik, sondern ein fein ziseliertes Porträt der Nachkriegszeit in Großbritannien - mit allen mächtigen politischen und royalen Figuren, die auf vielschichtige Art Einfluss auf die junge Königin nehmen.

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