Salzburg: Große Oper trifft Amateurtheater

Nach sechs Wochen enden die bedeutendsten Festspiele der Welt mit Rekordauslastung und musikalischen Ereignissen von Rang. Ins Theater geht man besser anderswo.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Zuletzt wurde mir das Abschiednehmen leichter als den beneidenswerten Kollegen vom Konzertfach. Für die könnten die Salzburger Festspiele noch Wochen dauern. Immer vorbehaltlich der Tatsache, dass das Spitzengrüppchen der klassischen Musikausübung heute beunruhigend gelichtet ist. Viel länger als die magischen sechs Wochen wäre das jährliche Konzeptwunder aus Inspiration und Kompetenz nicht durchzuhalten.

Ich hingegen habe mich am 19. August im Morgengrauen froh den Schrecken der Bundesbahn anvertraut. Immer noch war es dort trotz Überfüllung und Chaos heimeliger als am Abend zuvor auf der Pernerinsel, wo ich dem Herzschlagfinale eines besonderen Wettbewerbs beiwohnen musste. Mit Herzblut hatte die Schauspieldirektion die Kontinente nach der beschränktesten Klassiker-Bearbeitung in der hilfsbedürftigsten Regiehand durchkämmt. Die "Überschreibung" des Schnitzler'schen "Reigens" durch zehn Amateure zu Festspielbeginn schien uneinholbar. Dass die Regisseuse Yana Ross die internationale Blamage überhaupt zur Premiere befördern durfte, nimmt wunder: Hatte die Dame doch schon während der Proben gegen einen klimaproblematischen Sponsor polemisiert, überraschenderweise aber auf ihr Engagement samt "toxischer" Gage nicht verzichtet. Wenig später wandte sie sich auch noch gegen russische Festspielkollegen, und jetzt hat sie sogar den Dilettanten-Oscar verloren. Er geht knapp, aber verdient an die Dramatikerin Joana Bednarczyk und die Regisseurin Ewelina Marciniak, die sich, angeblich "frei nach Euripides und Goethe", an der Königstochter Iphigenie vergriffen. Ersparen wir uns die Details auch zum Rest des Schauspielprogramms (wenn Sie es gern streng haben, verweise ich auf die nationale wie die internationale Presse, Genusstipp: "Der Spiegel").

Dennoch bleibt die Frage nach den Erfordernissen eines Festspielprogramms. Hat sie Haeusserman erfüllt, als er Strehler, Noelte, Ingmar Bergman und (für den aufstrebenden Thomas Bernhard) Peymann und Dieter Dorn verpflichtete? Oder Peter Stein dank maßstabsetzender Shakespeare-und Grillparzer-Produktionen mit den besten Schauspielern ihrer Zeit? Ivan Nagel, der für die "Szene Salzburg", heuer Schauplatz des Schnitzler-Debakels, bei Jossi Wieler die unvergessene Uraufführung von Elfriede Jelineks "er nicht als er" in Auftrag gab?

Das Opernprogramm hätte nicht besser beginnen, aber etwas besser enden können. Eines der Hauptverdienste der Intendanz war es, die Hetze aus dem semiprofessionellen Winkel gegen russische Künstler ignoriert zu haben. Kein Hauch des Protests erhob sich, als Teodor Currentzis mit dem Regisseur Romeo Castellucci die furiose Eröffnung finalisierte: Bartoks "Blaubart" und Carl Orffs "De temporum fine comoedia", eine ehrenrettende Wiedererweckung von Rang, ließen keine Wünsche offen. Nämliches gilt für Puccinis "Triptychon" unter Welser-Möst und Christof Loy, die beide das Ideale taten: ohne Gefuchtel und Eskapaden die aufregenden Wahrheiten der drei Partituren freizulegen und alle Aufmerksamkeit auf das Können der Sänger zu richten. So gelang Asmik Grigorian ein Hattrick, den man nicht vergessen wird. Mit vergleichbar minimalistischer Meisterschaft näherte sich Barrie Kosky Janaceks genialer "Kat'a Kabanova". Die Amerikanerin Corinne Winters, der zum Weltereignis nur ein Tupfen unverwechselbarer Stimmfarbe fehlt, konnte sich da mit tollem Resultat die Seele aus dem Leib spielen.

Doch machte sich in dieser Produktion das Problem unserer Zeit bemerkbar: Jakub Hrusa ist ein international gefragter, erster Mann am Pult. Aber den erhofften Originalklang aus tränenschwerer Folklore und avantgardistischer Messerschärfe konnte er den Philharmonikern nicht abringen. Auch Alain Altinoglu, der die (zumindest mit Piotr Beczala und Eve-Maud Hubeaux weltformatig besetzte) "Aida"-Wiederaufnahme leitete, ist ein gesuchter Dirigent, erzielte aber nichts Erwähnenswertes.

Wobei ich mich frage, ob derlei Details überhaupt noch zu erörtern sind: In Bayreuth improvisierte man sich mit einem offenbar entgleisten szenischen Viertelgenie durch den "Ring", verschliss einen Sänger und einen Hinterprovinzdirigenten nach dem anderen und unternahm alles, um Thielemann zu vertreiben. Und was entnehme ich immerhin der "Welt"? In Salzburg, wo bis auf etwas Lärm um Currentzis kaum Aufruhr zu verzeichnen sei, könne man sich an dem plärrenden Bayreuther Tohuwabohu marketingtechnisch nur ein Beispiel nehmen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at