Nostalgie-Produkte: Wir lassen uns gerne unsere Kindheit verkaufen. Retro-Produkte schmecken und riechen nach Geborgenheit. Damit werden Milliarden gemacht.
Bestseller
Als vor fast 15 Jahren das Buch "Wickie, Slime & Paiper“ erschien, wurde eine gewaltige Nostalgiewelle ausgelöst. Es sollte aber erst der Beginn des Retro-Booms sein. Denn vor allem die Industrie hat entdeckt, wie sie unsere Kindheitserinnerung in bare Münze verwandelt. Die Neuauflagen der guten, alten Produkte sorgt für Milliardenumsätze und immer wieder neue Überraschungen.
Marktmacht Konsument
Was sich stark verändert hat, das sind die Kommunikationsmittel. Der Konsument war noch nie so mächtig - und auch noch nie so gut überwacht. Wenn heute in Social-Media-Gruppen Tausende Menschen nach einem Produkt von damals rufen, dann hört die Industrie genau zu.
Im Jahr 1999 mussten die Freunde des Paiper-Eislutschers noch Unterschriften sammeln, um die Unilever-Tochter Eskimo zur Wiedereinführung der kalten Nascherei zu bewegen. Die Fans des Tschisi-Eis hatten da weit weniger Aufwand: Eine Facebook-Gruppe sammelte in kürzester Zeit rund 80.000 "likes“. Unilever wusste das zu nützen. Vergangenen Februar wurde das Tschisi-Eis wieder eingeführt und wanderte seither 9,4 Millionen Mal aus den Tiefkühltruhen in Konsumentenhände.
"So schmeckt Glück“ nennt Eskimo seine Homepage und stellt dort perfektes Marketing unter Beweis. "Wir reden hier vom Geruch und Geschmack der Kindheit. Das bedeutet Sicherheit, Geborgenheit und Glück“, analysiert Rainer Gries, Experte für Produktkommunikation und Professor an der Wiener Sigmund-Freud-Universität.
Kalorienbombe mit Fangemeinde
So wird es auch verständlich, wie sich Tausende Menschen innerhalb kürzester Zeit gegen die Schließung der Schwedenbomben-Fabrik Niemetz stark gemacht haben. Die Facebook-Gruppe hatte in wenigen Tagen über 40.000 Fans. Die Seite wurde dann allerdings geschlossen und die Initiatoren vermuten, dass den überwachenden Amerikanern das Wort "Bombe“ zu bedrohlich erschienen war.
Die Welle war allerdings schon in Bewegung und konnte dadurch nicht gestoppt werden. Innerhalb von wenigen Tagen fegte die Nachfrage nach Schwedenbomben die Supermarktregale leer.
Das gab den Verhandlungen um die von der Schließung bedrohte Firma Niemetz neuen Auftrieb. Die Schwedenbombenfirma wurde schließlich um 5,25 Millionen Euro von der Meinl-Tochter Heidi Chocolat gekauft. Julius Meinl V. bekannte sich zum Standort Österreich und zur weiteren Produktion der Schwedenbombe. Inzwischen konnte Meinl 20 zusätzliche Arbeitskräfte einstellen.
Er läuft und läuft und läuft
Um ganz andere Summen geht es in der Automobilindustrie. Gelingt die Neueinführung eines Modells, so bringt das dem Hersteller Millionen. Im VW-Konzern war der Käfer eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Von 1938 bis 2003 wurden insgesamt 21.529.464 VW Käfer verkauft. Was lag also näher, als dem Publikum ein vertrautes Design anzubieten. Seit der Präsenation des neuen "Beetle“ im Jahr 1998 bis 2012 wurden fast 1,3 Millioinen Autos abgesetzt. In Österreich fanden sich von 1998 bis Juli 2013 fast 9.000 Käufer, die von der Käfer-Nostalgie begeistert sind.
Triumph mit zwei Rädern
Zu den größten Erfolgen der Retro-Welle zählt ein Motorrad. Die britische Triumph wurde von der Konkurrenz verdrängt und die Produktion 1983 eingestellt. 1990 startete der Unternehmer John Bloor mit Retro-Modellen neu durch und landete einen Coup. Heute zählt Triumph wieder zu den wichtigsten Zweiradherstellern und hatte eine starke Fangemeinde.
Alte Helden, neue Filme
Zu den größten Profiteuren des Nostalgieboom zählt die Filmindustrie. Dort geht es gleich um hunderte Millionen, die eingesetzt, verloren oder gewonnen werden.
Im Jahr 2000 spielte der Film "Drei Engel für Charlie“ bei Produktionskosten von weniger als 100 Millionen Dollar satte 250 Millionen Dollar ein. Ab da wurden zahlreiche Serien der 1970er und 1980er Jahre gewinnbringend wieder verwertet. Auch die Schlümpfe fanden heuer bereits ihr zweites Comeback. Und obwohl "Die Schlümpfe 2“ beim Start in den USA als Flop galt, wurde er durch die weltweiten Einspielergebnisse noch ein Hit, der weit mehr als seine Kosten alleine durch den Kinoeinsatz wieder hereingespielt hat.
Gut verpackt ist halb verkauft
Nicht immer ist es der Inhalt, auf den es ankommt. Die Verpackung weckt nostalgische Gefühle ebenso. Das musste Nivea-Hersteller Beiersdorf schmerzlich erfahren, der durch unterschiedliche Logos seine Marke zu stark verwässert hatte. Die verwirrten Konsumenten griffen zu anderen Produkten. Nach einem starken Umsatzeinbruch überdachte Beiersdorf und kehrte zum guten, alten, blauen Logo zurück.
Nostalgie-Produkte: Comeback, bitte!
Diese Produkte wünschen wir uns zurück.
Paiper: Ein Eis wurde Kult
In der ersten großen Nostalgiewelle war der Eisklassiker namensgebend. Die Konsumenten forderten "ihr“ Eis per Unterschriftenaktion schon einmal zurück. Unilever-Tochter Eskimo nahm Paiper im Jahr 2000 wieder ins Programm, setzte es jedoch 2004 wieder ab.
Sunkist: Fruchtsaft-Pyramide
Von 1964 bis 1982 wurden die dreieckigen Fruchtsaftpackerl mit Orangen-, Zitronen- und Grapefruitsaft für den heimischen Markt produziert. Prägend war nicht nur das Trinkhalmgeräusch, sondern der Knall, wenn man auf die leere Packung trat.
Bazooka: Klebrig, künstlich, köstlich
Die Abenteuer von Bazooka-Joe auf kleinen Zettelchen waren die Zugabe zum rosaroten US-Kaugummi. Bis zu den 1990er Jahren war er in Österreich erhältlich.
Blockmalzmann: Hart, aber süß
"Der Kirstein Blockmalzmann, der hat´s mir angetan“, flötete der weibliche Werbechor in den 1970er Jahren. Die Bonbons gehörten zum österreichischen Marktführer Englhofer, der 1997 an die deutsche Storck-gruppe verkauft wurde.
Leckerschmecker: Geflochtener Plombenzieher
Mitte der 1970er Jahre wurde das gut 30 Zentimeter lange Weichkaramelgitter mit Schokoladeüberzug verkauft.
Lift Limonade: Aus der grünen Flasche
"Jetzt Lift und Weg ist der Durst“, hieß es ab 1973. Zur Zitronenlimonade kamen in den 1980ern Kräuter- und Apfelgeschmack. 2004 stellte Coca-Cola die Produktion ein.
Arosa: Schwester des Firn-Zuckerls
Das Eukalyptus-Menthol-Bonbon wurde vom heimischen Marktführer Englhofer in Graz erzeugt. Die Marke wurde nach dem verkauf an Storck eingestellt.
Dauerbrenner
PEZ-Zuckerl
Die PEZ-Zuckerl aus dem Spender sind der Inbegriff der Nostalgie-Produkte. Die original PfEfferminZ (=PEZ) Bonbons wurden eben wieder neu aufgelegt. Sie kommen im Retrospender oder in der Nostalgiedose.
Die Bonbons aus dem Jahre 1927 sind jetzt zuckerfrei, schmecken aber wie damals. Seit 1949 gehören die kultigen Spender zur Kindheit. Waren es in früher die Köpfe von Mickey und Donald, so sind heute Figuren aus Batman, Star Wars, Cars oder Madagascar die Stars. PEZ erzielte im Jahr 2012 einen Umsatz von 75 Millionen Euro. Jährlich werden rund 65 Millionen Spender und 4,2 Milliarden Bonbons hergestellt. PEZ-Produkte sind in 80 Ländern erhältlich.
Casio Uhren: Inbegriff der Coolness
Wer in den 80er Jahren cool sein wollte, der brauchte eine Casio Uhr am Handgelenk. Die sportliche Uhr mit der großen Digitalanzeige war der Verkaufsschlager.
Displaybeleuchtung, Taschenrechner, Tagesalarmfunktion und Stoppuhr waren unentbehrlich. Sie hat die letzten 30 Jahre optisch unbeschadet überlebt, nur das Innenleben wurde modernisiert. Casio hat den Uhren-Klassiker der 80er Jahre immer noch im Programm. Der Retro-Fan ist mit weniger als 100 Euro dabei. Im Vorjahr erwirtschaftete der Japanische Konzern mit seinen Uhren und Kameras einen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro.
Tschisi: Eis-Klassiker
Über 80.000 Facebook-Fans sorgten für das Comeback des kultigen Klassikers. 1999 wurde es wegen der sinkenden Nachfrage von der Eiskarte genommen. Produziert wird es heute nach dem Originalrezept, das noch in den Archiven schlummerte. Es schmeckt wie damals nach Vanillepudding. Die Farbe wurde mit Bildern abgestimmt, damit es dem Original entspricht. Bereits in der ersten Verkaufswoche setzte Eskimo 1,7 Millionen Stück an die Eis-Nostalgiker ab. Bis Ende des Jahres rechnet Eskimo mit bis zu 11 Millionen verkauften Tschisis.
Afri-Cola: Das schönste Cola der Welt
Die Marke Afri-Cola wurde im Jahr 1931 in Köln gegründet. Die legendäre, taillierte Flasche mit dem Palmen-Logo wurde nach zweijähriger Entwicklungsarbeit 1962 auf den Markt gebracht. Der Geschmack ist seit unserer Kindheit eine Glaubensfrage, das Design ist heute Kult. 1968 provozierte Afri-Cola mit der mittlerweile legendären Nonnen-Werbekampagne des deutschen Künstlers Charles Wilp. Der hohe Koffeingehalt wurde vorübergehend herabgesetzt, 2006 kehrte man jedoch zur ursprünglichen Rezeptur zurück. Jährlich werden rund 3 Millionen Liter Afri-Cola abgefüllt. Das einstige Kultgetränk schrumpfte mittlerweile zum Nischenprodukt. In Österreich ist Afri-Cola nur in Szene-Lokalen oder bei Veranstaltungen erhältlich.
Schwedenbome: Rettungsaktion
Als der Erzeuger der Schwedenbome pleite ging, kämpften die Österreicher um ihre Kindheitserinnerung. Facebook-Gruppen und Hamsterkäufe ließen die Umsätze wieder steigen. Im Mai wurde die Traditionsfirma Niemetz an die rumänische Meinl-Tochter Heidi Chocolat um 5,25 Millionen Euro verkauft. Der Umsatz stieg zum Vorjahr um 2,3 Millionen Euro. Der Standort in Wien bleibt erhalten, es werden sogar neue Mitarbeiter eingestellt.
Ahoi Brause: Prickelnde Erinnerung
Das Brausepulver wird seit 1925 hergestellt. Der Geschmack von Waldmeister, Himbeere, Orange und Zitrone ist seit Generationen unverändert geblieben. Seit 2002 gehört Frideo zum Katjes-Imperium. Jährlich werden über 200 Millionen Packungen produziert.
Keli: Zisch-Frisch-Keli
Die Österreichische Limonade kam 1960 auf den Markt und wurde in den 70ern und 80ern zum Kultgetränk. Nach unzähligen Eigentümerwechsel setzt Keli seit der Wiedereinführung 2007 auf den positiven Effekt der Kindheitserinnerungen.
Fiat 500: Cinquecento reloaded
Die Idee, den italienischen Volks-Motorisierer Fiat 500 (bei uns: Puch 500) wiederzubeleben, lag auf der Hand. Aber erst nach 31jähriger Produktionspause, nämlich 2007, schritt Fiat zur Tat. Der nuova Cinquecento, der technisch nichts mit dem Vorfahren gemein hat, traf aber schon allein wegen der Retro-Optik - anders als beim VW Beetle - die Fangemeinde mitten ins Herz. Seit Einführung wurden weltweit 1,12 Millionen Autos produziert; in Österreich wurden seitdem 24.412 Cinquecentos verkauft. Fiat-Österreich-Chef Martin Rada: "Mit 56 Jahren ist der Cinquecento jünger denn je. Der Erfolg liegt in der konsequenten Modellpflege und Ausweitung der Modelle.“
Nivea: Blaue Dose
Die legendäre Cremedose aus dem Jahr 1925 ist seit Generationen in Gebrauch. Das neue Logo der Nivea Produkte wurde der klassischen blauen Dose mit den weißen Schriftzug nachempfunden, um die Kunden wieder stärker an die Marke zu binden. Denn der Creme-Tiegel weckt positive Kindheitserinnerungen und vermittelt Beständigkeit. Der neue Retro-Look soll dem Konzern höhere Umsätze bescheren. Das Verwirrspiel der verschiedenen Logos hat damit ein Ende gefunden. Täglich verwenden über 500 Millionen Frauen Nivea Produkte. Diese Kundentreue bescherte Nivea einen Jahresumsatz von 5,05 Milliarden Euro.
Über die Autoren

Axel Meister
Axel Meister ist Auto- und Motorjournalist mit Karriere-Stationen bei "Wiener", "Kronen Zeitung", "ExtraDienst" und "News". Für den trend. führt er regelmäßig Auto-Tests durch und führt Interviews mit Persönlichkeiten aus der Branche.
Herta Scheidinger
Herta Scheidinger ist Wirtschaftsjournalistin, Sachbuchautorin und Kommunikationsberaterin. Als Journalistin arbeitete sie unter anderem bereits für den Kurier, Format und war bis Mitte 2015 in der Wirtschaftsredaktion von News tätig.
Markus R. Leeb