"Es ist nicht einfach nur ein schönes Kleid"

Schön ist für Designerin Nina Hollein nicht genug. Mit ihren Kleidern sollen Frauen experimentierten, in ihren Designs einen Raum erobern. Die Wahl-New Yorkerin kreiert Alternativen zur Fast Fashion und kritisiert den Trend zum Korsett als Rückschritt

von "Es ist nicht einfach nur ein schönes Kleid" © Bild: Helga Traxler / @photosalonhelga

Welche Eigenschaften braucht man als Modedesignerin in New York?
Diese Eigenschaften beschränken sich nicht auf die Stadt New York. Es ist überall gut, wenn man als Designerin auf die Gesellschaft reflektiert, in der man lebt. Wie ticken die Menschen? Wie leben sie? Ich habe meine Arbeit über die letzten Jahre stark verändert und den Orten angepasst, wo wir leben. Wir waren davor in San Francisco und in Frankfurt. New York bedeutet für uns ein sehr intensives Sozialleben mit vielen Abendveranstaltungen, Galerieeröffnungen, Galas. Da sind wir mit Leuten umgeben, die mich inspirieren und auch Kundinnen sind. Die New Yorkerinnen, sind modeaffin, experimentierfreudig und interessiert, Unikate zu tragen. Sie haben den Mut, sich extravagant anzuziehen, das kommt meiner Mode entgegen. In Frankfurt und San Francisco war das schwieriger, weil es dort viel konservativer zugeht.

Bei der Eröffnung Ihrer Ausstellung gemeinsam mit Fotografin Elfie Semotan im Austrian Cultural Forum New York („Inspiration Comes from Everyday Life“) war Anna Wintour zu Gast. Die Vermutung liegt nahe, dass man als Designerin das Feedback der Vogue-Chefin fürchtet. War das so?
Im Gegenteil. Ich fand es angesichts ihres vollen Zeitplans unglaublich respektvoll und schön, dass sie sich Zeit genommen hat, zu kommen. Auch, wenn sie nicht mit Bodyguards unterwegs war, ist sie natürlich eine Celebrity. Man muss sie fast ein bisschen beschützen, weil jeder ein Foto mit ihr will. Ihre Anwesenheit hat diesen Event auf eine neue Ebene katapultiert. Dass neben Künstlern, Galeristen und Auktionshäusern auch Menschen aus der Modewelt da waren, freut mich sehr. Sie hat mir gratuliert. Ob ihr meine Designs gefallen, kann ich nicht sagen. Sie sind bestimmt nicht ihr Stil.

Nina Hollein kam in Wien zur Welt und absolvierte ihre Schulzeit in Linz. Nach der Ausbildung zur Architektin an der Technischen Universität Wien arbeitete sie in Architekturbüros in New York und Frankfurt. 2009 gründete sie ihr Modelabel. Seit dem Umzug in die USA 2016 fertigte sie neben Kollektionen auch Film- und Bühnenkostüme. Nina Hollein ist dreifache Mutter und lebt mit ihrem Mann Max Hollein, Chef des Metropolitan Museum of Art, in New York
© Helga Traxler / @photosalonhelga IN NEW YORK gratulierte Anna Wintour (li.) Nina Hollein zur Ausstellung im ACFNY, kuratiert von Gerald Matt (re.)

Bei der Met Gala haben Sie eine Eigenkreation aus der Zero Waste Serie getragen. Warum diese Kreation?
Ich versuche immer, den Standpunkt der Nachhaltigkeit zu unterstreichen. Weil ich keine Celebrity bin, wird das natürlich nur subtil wahrgenommen. Aber es gibt Leute, die bemerken, wenn jemand Alternativen zur High Fashion zeigt. Außerdem wollte ich zeigen, dass es auch mit einem selbstentworfenen Kleid geht, wenn man sich Haare und Make Up selbst macht und nicht eine riesige Produktion im Hintergrund hat. Es macht Spaß! Neben dem Zero Waste-Aspekt, habe ich das Kleid auch gewählt, weil es locker geschnitten und komfortabel ist. Es ist mir wichtig, dass Frauen sich bewegen und atmen können. Der Size-Zero-Trend und die extrem betonte Taille samt Korsett, wie Kim Kardashian es promotet, halte ich für keine erfreuliche Botschaft. Ich hatte gehofft, dass wir als Frauen diesbezüglich weitergekommen sind in den letzten Jahrhunderten.

»Ein Kleid, in dem man die Treppen raufgetragen werden muss, ist als Botschaft an junge Frauen ein Rückschritt«

Nina Hollein über das Sandkleid von Sängerin Tyla bei der Met Gala

Wird Mode somit zum Spiegel eines neuen Konservativismus?
Ja. Es zeugt von einer konservativen Haltung, dieses Frauenbild und diese Silhouette zu forcieren. Das beginnt bei der Shapewear, die plötzlich jeder zu brauchen scheint. Und wir sehen es am Sandkleid von der Met Gala, dessen Trägerin über die Treppe getragen werden musste, weil sie darin nicht gehen konnte. Das ist ein schöner Stunt, aber als Botschaft speziell für jüngere Frauen ein Rückschritt.

Neben dem Fundraising-Aspekt ist die Met Gala eine Plattform für Selbstdarstellung. Wie blicken Sie auf diese Komponente des Spektakels?
Natürlich ist es eine Riesenproduktion, die sich vor allem nach den Bedürfnissen der Sponsoren aus der Modeindustrie richtet. Wer eingeladen wird, wer wo sitzt, wer wen einkleidet, ist durchgeplant. Neben dem guten Zweck, dem sie dient, ist sie ein riesiger Werbescreen über die USA hinaus. Dass „normale“ Menschen, wie mein Mann und ich, über den Red Carpet gehen dürfen, ist die absolute Ausnahme und eine surreale Erfahrung, weil sich ja alle Fotografen fragen: Wer sind die? Im Grunde geht es darum, wer es mit dem medienwirksamsten Auftritt auf die Titelseiten schafft. Mit Innovation die Mode betreffend hat es weniger zu tun.

Sie selbst haben im Alter von 13 Jahren zu nähen begonnen. Bis Oktober zeigen Sie in Linz im Schlossmuseum in Ihrer Einzelausstellung „Homecoming“ Kreationen aus den letzten 15 Jahren. Was erzählen Ihnen Ihre frühen Designs über sich?
Mein Modelinie habe ich 2009 gegründet. Aus dieser Zeit stammen die ältesten Stücke, die zu sehen sind, die ersten Arbeiten aus Geschirrtuch, Leinen und bäuerlichen Nutzstoffen. Retrospektiv merke ich, dass ich manche Details heute als fehlerhaft und unausgegoren betrachte, andererseits erzählen mir die Stücke von der großen Sehnsucht, etwas Besonderes herzustellen. Ich sehe meine Suche nach der Dreidimensionalität in Kleidern und dem Wunsch nach Kleidern, die transformiert werden können: Aus einem Rock wird ein Oberteil. Das kommt stark aus der Architektur, die war mein Fundament, das erkenne ich in den geometrischen Formen, die ich durchdekliniert habe.

© 2024 Taylor Hill/Getty Images SELFMADE AUF DER MET GALA. Designerin Nina Hollein und ihr Mann Max Hollein, CEO des Metropolitan Museum of Art, beim großen Auftritt. Hollein trägt eine Eigenkreation aus ihrer Zero-Waste-Kollektion als bewusste Alternativ-Botschaft zu High Fashion und Überkonsum

Ihre Mode ist in Museen zu sehen, aber ebenso zum Kaufen und Tragen gedacht. Können Sie diesen nicht alltäglichen Ansatz erklären?
Mode kann ein rein kommerzielles Produkt sein, aber auch eine Kunstform. Für mich ist wichtig, dass sie kunstvoll, aber auch tragbar und komfortabel ist. Meine Modekunst kommt erst zur Vollendung, wenn eine Frau sie trägt. Vor Kurzem war mein glücklichster Moment, als bei einem Konzert im Lincoln Center drei Frauen meine Designs getragen haben. Das ist die Vollendung des ganzen Projekts, ohne dem funktioniert die Kunstform für mich nicht. Es kann nicht nur ein Kleid sein, das als Skulptur ausgestellt wird, es lebt erst, wenn es getragen wird.

Woran erkennt man Kleider von Nina Hollein?
Ich denke, es sind vor allem die ungewöhnlichen Schnitte, die ich entwickelt habe, wie beim Wing Dress, ein Kleid, dessen Ärmel mit dem Rock verbunden sind. Die Idee dahinter ist, dass sich das Kleid erst mit der Bewegung entfaltet. Man soll sich bewegen und darin den Raum erobern. Ein anderes Beispiel ist das Oberteil mit zwei Löchern, das man als Rock tragen kann. Ungewöhnliche Schnitte und spielerische Elemente, die immer mit Bewegung und mit Raum zu tun haben, sind sicher mein Markenzeichen.

Sie haben Architektur studiert und als Architektin gearbeitet, bevor sie Designerin wurden. Was aus der Architektur fließt in Ihre Arbeit als Designerin ein?
Eine große Parallele ist der Weg über das Konzept, den Entwurf und danach in die Detaillösung. Dieser Prozess ist gleich, den kenne ich nicht anders. Auch meine Kleider folgen einem Konzept, einer starken Idee, warum ich sie entwerfen möchte. Es ist nicht einfach nur ein schönes Kleid. Es ist etwas, das die Trägerin animiert, mit dem Kleid umzugehen und sich zur Schau zu stellen. Dazu gibt es aufwendige Details, damit das Kleid verändert und angepasst werden kann. Das braucht Detailverliebtheit. Ich möchte ja Stücke entwerfen, die im Gegensatz zur Fast Fashion Wegwerfkultur stehen, zeitlose Teile, die man nicht mehr weggeben will.

Warum haben Sie 2009 die Architektur aufgegeben und sind Designerin geworden?
Ich habe schon in meiner Studentenzeit meine Kleider genäht, auch weil mir nicht die Stücke leisten konnte, die mir wirklich gefallen hätten. Das habe ich beibehalten und in Frankfurt hat es sich intensiviert. Plötzlich war unser Sozialleben viel dichter dadurch, dass mein Mann ein Museum geleitet hat. Es sind viele Abende angestanden, wo man sich fragt, was ziehe ich an? Damals sind außerdem relativ knapp hintereinander unsere drei Kinder dazu gekommen und ich habe meinen Job im Architekturbüro beendet und war eine Zeit lang zu Hause. Sehr gerne übrigens! Dort habe ich viel genäht, weil ich ein kreatives Ventil gebraucht habe. Mit Geschirrtuchstoffen habe ich eine ganze Kleiderserie genäht. Zuerst vor allem Entwürfe für die Kinder, später auch Kleider für mich selbst. Plötzlich standen in unserem Wohnzimmer zwei lange Stangen voll Kleidern, und mir ist klar geworden: Das ist nicht mehr nur für meinen privaten Gebrauch, das ist meine erste Kollektion. Dann habe ich beschlossen, die Kleider in einer Galerie in Frankfurt zu zeigen und war sehr erfolgreich. Die Leute wollten meine Sachen kaufen.

Wenn Kleidung die Leinwand der Persönlichkeit ist, wie würden Sie Frauen beschreiben, die Ihre Mode tragen?
Das sind auf jeden Fall selbstbewusste, starke Frauen, die sich auch manchmal in die Mitte eines Raums stellen wollen. Sie haben eine Begeisterung für Mode, schätzen gut gearbeitete Stücke und sind experimentierfreudig: Wie trage ich dieses Kleid heute? Ihnen geht es eher um Individualität und Selbstbewusstsein, statt sich von einer großen Marke branden zu lassen.

© beigestellt IN LINZ zeigt Hollein u.a. das Kittelkleid aus Geschirrtuchstoff, mit dem 2010 der Durchbruch gelang ...
© Nina Hollein ... und das Galakleid 2024

Sie sind Tochter des Brillendesigners Herbert Schweiger und Nichte der Architekten Manfred und Laurids Ortner. Diese Sozialisation hat offenbar Ihre Leidenschaft geprägt, richtig?
Es stimmt schon, ich bin wie meine Brüder, die jetzt Architekt und Maler sind, in ein künstlerisches Umfeld geboren. Den großen Einfluss die Mode betreffend hat aber meine Mutter gehabt. Als ich vier Jahre alt war, sind wir nach der Trennung meiner Eltern mit ihr nach Linz übersiedelt. Sie war eine wahnsinnig kreative Alleinerzieherin, die nebenbei sehr viel für uns und sich selbst genäht hat. Sie hat mir ihre Nähmaschine und ihre heiligen Stoffe überlassen und mich in Ruhe werken lassen, ohne mir allzu viel zu erklären: Am besten verwendest du keine gekauften Schnitte. Probier einfach aus!

Der Titel „Homecoming“ betont den Stellenwert von Heimat. Ist Linz Heimat?
Linz war ein extrem inspirierendes Umfeld. Die Mädchen aus der Modeklasse der Kunsthochschule waren meine großen Vorbilder. In ihren total verrückten Eigenkreationen habe ich sie immer wieder beim Fortgehen am Abend gesehen. Unsere junge Nachbarin war Modedesignerin und hat Kostüme aus Cellophanfolie entworfen, die fand ich unglaublich cool. Im Sommer im Parkbad habe ich meinen ersten selbst genähten Bikini ausgeführt. Natürlich ist es eine Rückkehr in die Stadt, die Heimat war. Der Titel bezieht sich aber auch auf die Stoffe aus Oberösterreich, die ich verwende. Er soll umschreiben, dass Stoffe, die als Nutzstoffe – Tischtücher, Matratzenstoffe – nie beachtet werden, aus ihrem Kontext gehoben werden und eine neue Funktion erfahren. Man könnte es als Homecoming bezeichnen, dass ein wunderschöner Matratzenstoff mit grünen Streifen endlich als Galakleid auf dem roten Teppich landet.

Verändert sich der Heimatbegriff, wenn man so oft umzieht wie Sie?
Das ist genau, was ich mich auch oft frage. Ich komme immer darauf zurück, dass Heimat am ehesten dort ist, wo die Familie lebt. Meine Mutter ist leider verstorben, aber meine Brüder und mein Vater leben in Wien, insofern ist das am ehesten Heimat, auch wenn New York unser Zuhause ist und wir uns hier sehr wohl fühlen. Mein Mann und ich werden oft gefragt, wo wir im hohen Alter leben möchten. Wir wissen es nicht genau, aber es kann gut sein, dass wir am Ende nach Österreich, nach Wien oder ins Mühlviertel zurückkommen, wo immer noch der Bauernhof steht, an dem ich die Sommer meiner Kindheit verbrachte. Heimat ist dort, wo die Menschen sind, die einen am längsten kennen – und, wo man sich nichts vormachen braucht.

Hat der Blick auf 15 Jahre ihres Design-Schaffens eine Art Selbstreflexion mit sich gebracht? Wie anders war jene Nina Hollein vom Karrierebeginn?
Ich bin 53 und weiß, wie viele Frauen mit dem Älterwerden hadern. Aber die wirklich tolle Komponente am Älterwerden ist, dass mit den Jahren auch viel Selbstsicherheit und Gelassenheit kommen. Plötzlich wird es selbstverständlich, dass man zu einer Idee oder Meinung stehen kann und diese auch präsentieren möchte. Diesbezüglich war ich vor 15 Jahren wohl noch unsicherer und habe hinterfragt: Wo stehe ich jetzt? Wie wird meine Arbeit von außen betrachtet oder bewertet? Heute bin ich entspannt, auch wenn einmal etwas nicht gelingt. Vielleicht hätte ich mich auch mit 25 auf einer Met Gala gar nicht so wohl gefühlt – soviel Glamour, Trubel und Prominenz könnte einen auch einschüchtern. Nun sind wir ab und zu bei Dinners, wo du denken kannst: Worüber spricht man bloß mit Mario Draghi oder Serena Williams!? Da bin ich heute gelassener als früher, weil ich weiß, wer ich bin und wo ich stehe: Niemand ist besser, niemand ist schlechter, alle kochen mit Wasser.

Ausstellung Homecoming
Die Einzelausstellung der Autodidaktin im Schlossmuseum Linz zeigt Arbeiten aus 15 Jahren, von ersten Kleidern aus Geschirrtuchleinen über recycelte Anzüge bis zu Seidenkleidern. Kuratiert von Genoveva Rückert (23. 5. bis 23. 10. 2024)

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 21/2024 erschienen.