Polit-Talk boomt, aber nicht im ORF

Die politischen Diskussionen des ORF stehen auf dem hauseigenen Prüfstand. Während in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Sender den Polit-Talk fast unter sich ausmachen, ist er in Österreich eine Domäne der privaten Konkurrenz

von Medien & Menschen - Polit-Talk boomt, aber nicht im ORF © Bild: Gleissfoto

Falls Gottes Mühlen wirklich langsam mahlen, ist der ORF einer seiner Stellvertreter auf Erden. Denn den Auftrag an die neue Chefredaktion, alle politischen Talks zu evaluieren, hatte schon vor zwei Jahren einer ihrer Vorgänger, der im November 2022 zurückgetretene Matthias Schrom. Bereits damals war die Reform überfällig bzw. eine Ausweitung notwendig. De facto betreibt der ORF nur eine regelmäßige derartige Diskussion: "Im Zentrum". Dementsprechend fokussierte sich Kritik auf diese Sendung und ihre Moderatorin Claudia Reiterer. Es überrascht nicht, dass ein Grund für den Rückzug von Matthias Schmelzer als Leiter solcher Formate Konflikte im Team von "Im Zentrum" gewesen sein sollen.

Alle weiteren einschlägigen Angebote, von der "Pressestunde" bis zu "3 am runden Tisch" sind Nischenprogramme. Der fallweise "runde Tisch" funktioniert nur als Fortsetzung der "ZiB2". Und das ständig gewachsene Talk-Portfolio von ORF III läuft auf einem Minderheitssender. Lisa Gadenstätters ambitionierter Versuch "Talk 1" für jüngeres Publikum wurde schon zu Schrom-Zeiten eingestellt.

Unterdessen boomen die Polit-Quatschbuden der Konkurrenz. Das parallel zu "Im Zentrum" gezeigte "Links. Rechts. Mitte" von ServusTV war mit durchschnittlich 95.000 Zuschauern im linearen Fernsehen das erfolgreichste Angebot der Privaten. Michael Fleischhacker hat es mit Katrin Prähauser erfolgreich positioniert, obwohl er auch noch am Donnerstag "Talk im Hangar 7" moderiert. So wie Puls 4-Info-Direktorin Corinna Milborn im Wechsel mit Gundula Geiginger am Dienstag "Pro und Contra" leitet und überdies unter ihrem Namensetikett anlassbezogene Politikrunden lenkt. Außerdem läuft von Montag bis Donnerstag "Wild umstritten" und seit dieser Woche davor noch "Heiß umfehdet". Dazu kommen diverse Formate von ATV bis oe24. Abgesehen von ServusTV haben diese Sender weniger Marktanteile als ORF III, aber viele Hunde sind des Hasen Tod. Das erste "Im Zentrum" dieses Jahres hatte nicht einmal mehr dreimal so viele Zuschauer wie "Links. Rechts. Mitte". ORF 2 aber war 2023 insgesamt (21 Prozent) fast fünfmal so stark wie die Konkurrenz von Red Bull (4,3 Prozent).

In Deutschland hingegen ist Polit-Talk eine öffentlich-rechtliche Domäne. Von Sonntag bis Donnerstag matchen sich ZDF und ARD mit Carmen Miosga (folgt ab 21. Jänner auf Anne Will), Louis Klamroth ("hart aber fair"), dreimal Markus Lanz, zweimal Sandra Maischberger und einmal Maybrit Illner. Aus dieser Aufzählung wird schon klar: Diese Formate leben von totaler Personalisierung. Das Starprinzip der Moderation wirkt stärker als Erfolgsrezept denn die Originalität des Formats. Ein solches Prinzip lockt auch entsprechend prominente Gäste. Das mag bloß eine Annahme sein, ohne empirisch belegten Beweis, aber auch die enorme Laufdauer der deutschen Quassel-Hochburgen wirkt als Indiz dafür.

Daraus ergeben sich für den ORF zwei Problemstellungen. Die erste entsteht aus einer weiteren These: Die Vernachlässigung von Politik-Talk geht einher mit der enormen Zahl an Einzel-Befragungen. Weder in den "Tagesthemen" (ARD) noch im "heute-journal" (ZDF) spielt das große Interview eine so zentrale Rolle wie in der "ZiB2". Die relevantesten Personen ziehen diese Soli den Runden vor - und begnügen sich damit. Das verringert die im kleinen Österreich ohnehin begrenzte Zahl an zugkräftigen Gästen.

Auch aus dem ORF drängt sich kaum jemand für Polit-Talk mit Starprinzip auf. Patricia Pawlicki hat zwar spannende Gesprächspartner und erreicht mit "3 am runden Tisch" gute Quoten (mit Marlene Engelhorn schon im Mai 2023 mehr als 200.000), wurde aber im Nachtprogramm versteckt. Gabriele Waldner ist als neue Chefredakteurin aktuell wohl voll ausgelastet, Alexandra Wachter noch zu wenig präsent. Gadenstätter hat sich nicht auf Politik konzentriert. Bleibt Tarek Leitner, der schon bisher einsprang. Oder der ORF holt sich jemanden von den Privaten. Neben schon Genannten kämen auch Thomas Mohr und Manuela Raidl von Puls 4 oder Meinrad Knapp und Sylvia Saringer von ATV infrage.

Der Naheliegendste aber scheidet aus. Ein regelmäßiger Talk mit Armin Wolf würde die Interview-Dominanz der "ZiB2" schmälern und die Diskussionsschwäche beenden - als Sonntagshochamt oder auch mehrmals wochentäglich. Doch die Option gibt es nicht. Wolf will weiter Interviews führen. Denn Talkshows findet er nicht sehr spannend. Auf den ORF bezogen hat er damit vorerst weiter recht.