Das 172-cm-Luxus-Sexspielzeug

Mir begegnet äußerst Erstaunliches in meiner beruflichen Tätigkeit. Kaum etwas reißt mich noch vom Hocker. Aber das Geburtstagsgeschenk von Sophie an sich selbst hat mich baff gemacht. Ein menschengroßes Riesenpaket wurde angeliefert. Was in dem Paket war, benennt sie mit „mein ultimatives Luxussexspielzeug“.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Sophie hörte vor einiger Zeit auf, mit ihrem Mann zu schlafen. Denn eigentlich stehe sie mehr auf Frauen. Aber mit einer Frau so wie in der Jugend eine Beziehung einzugehen, liegt Sophie indessen fern: „Zu kompliziert, zu stressig und zu riskant.“ Sie bekennt vor sich ihre Angst vor großen Gefühlen. In meinem Buch „Die Beziehungsformel“ beschreibe ich Ehen wie die von Johannes und Sophie mit einem unmissverständlichen Wort als Pseudobeziehungen. Pseudo, weil es nach außen hin so scheint, als passe alles. In Wahrheit ist aber alles ganz anders. Für Johannes ist das WG-Leben mit seiner Frau schon fast zur Routine geworden. Er hat sich damit arrangiert und begehrt nur ab und zu auf, wenn Sophie die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbringt.

Jetzt wollen Sie wissen, was sie sich geschenkt hat? Sie hat sich von einem einschlägigen Anbieter im Internet eine lebensechte ein Meter und zweiundsiebzig Zentimeter große und sechsundvierzig Kilo wiegende Sexpuppe gekauft, die aber rein gar nichts mit herkömmlichen Sexpuppen gemeinsam hat. Die Puppe sieht wunderschön und menschlich aus. Sie fühlt sich von oben bis unten so an. Mitbestellt wurde von Sophie ein zweiter Kopf zum Wechseln, auswählen konnte sie Wunschaugenfarbe, Haarfarbe und Frisur sowie Beschaffenheit der lebensechten Gelfingernägel. Das künstliche Geschöpf hat eine von feinen Blutgefäßen durchzogene Haut und Silikonbrüste. Dann gibt es noch Reinigungsmittel für die Vagina. Und einen Dildo zum Umschnallen für das wundersame Sextoy. Was sind Sophies Beweggründe, als erwachsene Frau mit einer Sexpuppe zu spielen, die sie in der Bettlade versteckt?

1. Bindungsangst. Eine Puppe führt kein Eigenleben. Sie löst, wenn überhaupt, allerhöchstens innere Konflikte aus, wenn man sich schämt, von einer Puppe erotisch angezogen zu sein. Wobei es bei Sophie paradox ist: Es bestehe entgegen den eige-nen Erwartungen keine so sehr erotische Anziehungskraft, vielmehr eine ästhetische, weil die Puppe so unsagbar schön anzusehen sei.

2. Autonomie. Es besteht weder die Gefahr, verlassen zu werden, noch das Risiko, vereinnahmt zu werden, wenn die Partnerin kein realer Mensch ist.

3. Soziale Überangepasstheit. Das etablierte Leben muss nicht aufgegeben werden. Es braucht kein Outing, das mit einer echten Partnerin irgendwann fällig wäre. Die Puppe befriedigt Sophies geheimen Wunsch, „eine Frau zu haben“, ohne einen Tabubruch zu begehen. Es ist ja nur ein lebloser Gegenstand.

4. Thrill-Faktor. Wenn jemand in seiner Partnerschaft ein Geheimnis hütet, ist damit häufig ein Sonderstatus und eine emotionale Aufwertung verbunden. Somit bleibt es aufregend – und erregend – hinter verschlossenen Türen in aller Heimlichkeit ein Sextoy zu hüten.

5. Safer Sex. Eine Puppe, die einer Person vorbehalten bleibt, scheidet bei sachgemäßer Handhabung als Infektionsquelle aus.

6. Moral. Heimlichkeit ist gut und schön. Aber in Wahrheit kann einem doch nur Puppenspielen nachgewiesen werden – Und was ist daran moralisch verwerflich?

Gefahren von Sex mit Puppen:

  • Soziale Isolation. Man kann sich durch die Beziehung zu Puppen von echten Menschen komplett entfernen und entfremden.
  • Fixierung. Wenn die Puppe zum Fetisch oder Zauberding wird und eine Person an nichts anderes mehr zu denken vermag, kann das bedenklich werden. Wie immer kommt es auch hier auf den Grad der Ausprägung an, ob es sich um einen gesunden und spielerischen Umgang handelt oder eine zwanghafte Fixierung und Leid bringende Obsession.
  • Abstumpfung. Wer der Objektophilie – der Liebe zu leblosen Gegenständen – zugetan ist, verliert seine Liebesfähigkeit zu realen Menschen oder entwickelt sie erst gar nicht.
  • Doppelleben. Sophie lässt ihren Mann aus Bequemlichkeit und Harmoniebedürfnis beim Sex außen vor. Authentischer wäre freilich, Johannes die Puppe vorzustellen und ihm diese Neigung mitzuteilen.

Fazit: In einer Sexualtherapie können beide einander reinen Wein einschenken. Und dann gemeinsame Perspektiven sehen oder eben nicht. Bequemer ist freilich die Variante, Unlust vorzugaukeln und ein geheimes Liebesleben mit einer Kunstfrau zu teilen.

Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis <AT> wogrollymonika.at